Gewandhaus Leipzig Kanzler Scholz eröffnet Leipziger Buchmesse mit Plädoyer fürs Lesen
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20. März 2024, 15:01 Uhr
Von Buhrufen bis Beethoven war alles dabei bei der feierlichen Eröffnung der Leipziger Buchmesse 2024 am Mittwochabend. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz waren weitere prominente Gäste wie der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte im Gewandhaus zu Gast. Bei der Rede des Kanzlers kam es immer wieder zu Zwischenrufen. Am Ende des Festaktes wurde der Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung verliehen. Der Preis ging in diesem Jahr an den deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm.
- Im Leipziger Gewandhaus ist die diesjährige Buchmesse mit einer Rede von Kanzler Scholz eröffnet worden.
- Omri Boehm erhielt den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung.
- Es ist die erste Buchmesse unter der neuen Direktorin Astrid Böhmisch.
Mit einer festlichen Zeremonie ist am Mittwochabend die Leipziger Buchmesse eröffnet worden. Im vollbesetzten Gewandhaus waren prominente Vertreter aus der Politik und der Literaturbranche anwesend. Die Rede von Kanzler Olaf Scholz wurde mehrfach von lauten Zwischenrufen unterbrochen. Mehrere Aktivisten hatten sich dafür im Saal verteilt. Laut MDR-Reportern riefen sie unter anderem die Worte: "Es ist keine humanitäre Katastrophe, es ist ein Genozid." Dabei soll es um den israelischen Einsatz im Gazastreifen gegangen sein.
Ich glaube, dass es nicht richtig ist, Demokratie mit lautem Brüllen zu verwechseln.
Olaf Scholz konterte das, indem er stoisch weiterredete. Der Kanzler sagte: "Ich glaube, dass es nicht richtig ist, Demokratie mit lautem Brüllen zu verwechseln. Deshalb bitte ich nochmal allen die hier anwesend sind, die Möglichkeit zu geben, an diesem Gespräch und dieser Veranstaltung teilzunehmen." Scholz wurde vom Publikum durch langen Applaus unterstützt. Die Protestierenden wurden des Saales verwiesen.
Scholz: "Literatur verändert die Welt."
In seiner Rede hob der Bundeskanzler die Kraft der Literatur hervor, welche die Welt zugänglich mache und sich mit den Problemen der Zeit auseinandersetze. "Die Literatur verändert die Welt. Dieser Satz gehört hierher auf die Leipziger Buchmesse." Er lobte das Lesen, das die Möglichkeit biete, aus der eigenen Blase hinaus zu schauen.
Eine auffallend politische Rede hielt zuvor die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. Sie schlug einen Bogen von den Demonstrationen in Leipzig 1989 zu den Menschen, die in den vergangenen Wochen für Demokratie auf die Straße gegangen waren – um schließlich für offene Debatten auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse zu werben.
Gastländer Niederlande und Flandern – "Alles außer flach"
Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der Ministerpräsident von Flandern, Jan Jambon, waren zu Gast. Die Niederlande und Flandern sind mit dem Slogan "Alles außer flach" das Gastland der diesjährigen Buchmesse. Die Bühne des Gewandhauses – geschmückt mit gelben, orangenen und roten Tulpen – war wohl als Geste in Richtung Gastland zu verstehen.
Auszeichnung für Omri Boehm
Traditionell wird bei der Eröffnungsfeier der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen. In diesem Jahr erhielt ihn der deutsch-israelische Philosoph und Autor Omri Boehm. Die Jury lobte Boehm im Vorfeld für "die Konsequenz, mit der er den Kern des humanistischen Universalismus, die Verpflichtung zur Anerkennung der Gleichheit aller Menschen, gegen jegliche Relativierung verteidigt." Die Auszeichnung ist mit 20.000 Euro dotiert. Überreicht wurde sie von Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung.
Die Laudatio hielt die französisch-israelische Soziologin und Philosophin Eva Illouz. Im Zentrum ihrer Rede stand die viel diskutierte Identitätspolitik. Böhm sei einer, so Illouz, der über dem Begriff der eigenen Identität hinausdenke und damit gerade auch angesichts des Krieges im Gaza Streifen einen Weg in die Zukunft weise. Seine Erklärungen und Umdeutungen würden "die moralische und politische Vorstellungskraft erweitern."
Harte Wahrheiten müssen ausgesprochen werden. Denn wir sollen, sollen Freunde bleiben.
In seiner Preisrede konstatierte Boehm Fehler auf allen Seiten im Nahost-Konflikt und beklagte "katastrophales Versagen". Ausgehend von Lessings Drama Nathan der Weise sprach er unter anderem über die Freundschaft, über Grenzen und Identitäten hinweg, zwischen Israelis und Palästinensern, Deutschen und Juden, und schloss mit den Worten: "Harte Wahrheiten müssen ausgesprochen werden. Denn wir sollen, sollen Freunde bleiben."
Boehm kritisiert Protest bei Kanzler-Rede
Zu Beginn seiner Dankesrede ging Omri Boehm auch kurz auf die Störer ein, die die Rede des Bundeskanzlers unterbrochen hatten. Sie haben einen "furchtbaren Fehler" begangen, sagte der Philosoph. Die freie Meinungsäußerung sei nicht selbstverständlich und daher könne man diese Art von Störungen auch nicht akzeptieren.
Anschließend hielt Boehm ein Plädoyer für die Freundschaft: "Freundschaft war immer der Test, der uns vor den katastrophalen Misserfolgen der Brüderlichkeit und dem grotesken Missbrauch abstrakter Ideen über bewaffneten Widerstand und Selbstverteidigung schützte." Er erhielt stehende Ovationen.
Am Ende der Eröffnungsfeier der Leipziger Buchmesse 2024 schickte das Gewandhausorchester das Publikum mit der Ouvertüre von Beethovens "Egmont" kraftvoll in die anstehenden Buchmessetage.
Erste Buchmesse für neue Direktorin
Eröffnende Worte richtete kurz vor der Veranstaltung die neue Buchmesse-Direktorin Astrid Böhmisch ans Publikum. Sie betonte die Wichtigkeit der Literatur für die Demokratie. Böhmisch hatte das Amt im Januar vom langjährigen Buchmesse-Chef Oliver Zille übernommen. Sie möchte den Branchentreff als Ort der Demokratie stärken, sagte sie am Mittwoch.
Die Messe verzeichnet laut Veranstaltern mit 2085 Ausstellern ein leichtes Plus im Vergleich zum Vorjahr. Auch der Ticketvorverkauf deute auf eine Steigerung bei den Besucherzahlen hin. Im vergangenen Jahr hatten 274.000 Menschen die Buchmesse besucht. Die Buchmesse 2024 ist die zweite nach drei Jahren Corona-Pause.
Quellen: MDR KULTUR (Ben Hänchen), ARD (Katja Weise), dpa, epd
Redaktionelle Bearbeitung: bh, pb
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. März 2024 | 21:00 Uhr