Blick auf die Villa Esche im Südwesten von Chemnitz.
Die Villa Esche in der Parkstraße in Süden von Chemnitz diente einst als Wohnsitz des Textilunternehmers Herbert Esche und seiner Familie. Heute ist sie Museum und Veranstaltungsstätte. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Kulturhauptstadt entdecken Die Villa Esche – ein Jugendstil-Juwel in Chemnitz

13. Dezember 2024, 04:00 Uhr

Die Villa Esche ist ein Jugendstil-Meisterwerk in Chemnitz und für Architektur-Fans bei einem Besuch in der Kulturhauptstadt 2025 ein Muss. Entworfen für den Textilfabrikanten Herbert Esche gilt sie heute als einmaliges Zeugnis für die Arbeit des vielfältigen Künstlers und Architekten Henry van der Velde. Der Bau des belgischen Architekten Henry van der Velde für den Textilfabrikanten Herbert Esche beherbergt heute ein Museum über den vielfältigen Künstler van den Velde. Gleichzeitig kann man entdecken, wie die Familie Esche damals gelebt hat.

Im Süden von Chemnitz auf einer Anhöhe ragt die Villa Esche über dem Chemnitztal – eine gelbe zweigeschossige Jugendstilvilla, inmitten einer großen parkähnlichen Gartenanlage mit Orangerie. Das imposante Gebäude ließ sich der international erfolgreiche Chemnitzer Strumpffabrikant Herbert Eugen Esche 1902/1903 für seine Familie errichten. Zu dieser Zeit war Chemnitz florierende Industriemetropole und viele reiche Industrielle ließen sich in der Stadt prächtige Familienvillen bauen, die damals mit den Fabrikgebäuden das Bild der Stadt prägten. Heute gilt die Villa Esche als Baudenkmal von europäischem Rang und dient als Kulturforum mit Konzerten, Lesungen und Vorträgen sowie als Museum.

Als Architekten beauftragte Herbert Esche den belgischen Gestalter Henry van de Velde. Von ihm hatte er sich bereits für seine Wohnung auf dem Kaßberg, in der er bis dato mit seiner Familie lebte, Möbel entwerfen lassen. Nun ließen sich die Esches von van de Velde mit der Villa einen als Gesamtkunstwerk gestalteten Lebensraum erschaffen. Sie war nicht nur van de Veldes erstes architektonisches Auftragswerk in Deutschland, er bekam zudem völlig freie Hand bei der Gestaltung. Er entwarf alles von der Fassade und Raumanordnung, Wandgestaltung und -bespannung, Lampen, Teppichen um Mobiliar, ja sogar bis zum Porzellan und Brieföffner. Das macht die Villa Esche zu einem einmaligen Zeugnis für die Arbeit van de Veldes.

Henry van de Velde: Ein Pionier der Moderne

Der Architekt gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den gefragtesten Künstlern Europas. "Er war nicht nur ein wichtiger Vertreter des Jugendstils, sondern auch eine zentrale Figur der europäischen Reformkunstbewegung", sagt Anika Reinicke, Direktorin des Henry van de Velde Museums, das sich seit 2001 in einem Teil der Villa Esche befindet und eine Dependance der Kunstsammlungen Chemnitz ist.

Musiksalon der Villa Esche mit schwarzem Flügel, gelben Sesseln sowie drei bodentiefen Fenstern mit Blick in den Garten
Aus jedem Zimmer bietet sich der Blick in die Gartenanlage, wie hier im Musiksalon. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

"Van de Velde war zu Beginn Maler, doch davon hat er sich irgendwann abgewandt, denn die Malerei hat nicht die dringenden Fragen der Zeit beantwortet. Er wollte sich den Fragen widmen: Wie wollen wir leben? Was hat Kunst mit Gesellschaft zu tun und wie gehen wir mit der Industrialisierung um?", so Reinicke weiter. Sein Ziel war es, Funktion und Ästhetik in Einklang zu bringen, einen neuen Lebensstil zu kreieren und damit eine Reform aller Lebensbereiche zu erreichen. Damit gilt van de Velde heute als Pionier der Moderne und Wegbereiter des Bauhauses.

Originales Mobiliar der Famile Esche

Wie er seine Ideen damals umgesetzt hat, lässt sich heute im Museum überall entdecken. Im Erdgeschoss vermitteln das ehemalige Speisezimmer – mit originalem Tisch und Stühlen und einer Ahnengalerie der Familie Esche an den Wänden – sowie der Musiksalon mit Flügel, Sofa und Blick in den Garten einen Eindruck des ursprünglichen Ambientes. Genauso die zentrale Eingangshalle mit Kamin und dem repräsentativen Treppenhaus. Ein Highlight ist hier die grün-weiße Glasdecke, die der Museumsdirektorin zufolge angelehnt an den Familiennamen ein Eschenblatt darstellen soll.

Die Villa der Familie Esche war für damalige Verhältnisse sehr modern, wie Reinicke erzählt. "Nicht nur, dass es elektrischen Strom gab, sondern van de Velde setzte die Elektrizität in seinen Entwürfen in den Fokus: So waren die Leuchtmittel nicht verdeckt, sondern die Glühbirnen wurden zum zentralen Element der Leuchten", erklärt die Direktorin mit Blick auf die große Deckenleuchte, die mit ihren geschwungenen Formen und goldenen Elementen ein wahrer Blickfang an der Decke des Musiksalons ist. 

Auffällige Deckenleuchte im Musiksalon der Villa Esche
Van de Velde setzte die Glühbirnen bewusst als Stilmittel ein, statt sie zu verstecken, wie hier in der imposanten Deckenleuchte im Musiksalon. Bildrechte: IMAGO/ecomedia/robert fishman

Van de Veldes Vorliebe für geschwungene Linien ließen sich in vielen Details des Hauses, aber auch in vielen weiteren Arbeiten van de Veldes erkennen, sagt die Direktorin während sie auf weitere Wandleuchten im Speisezimmer deutet. Er habe diese gerne mit geometrischen Formen verbunden und gleichzeitig aber alles immer reduziert zu halten. Wie er diesem Stil treu geblieben ist und sich dennoch weiterentwickelt hat, kann man unter anderem auch an den beiden hochwertigen Holz-Schreibtischen sehen, die sich im ehemaligen Schlafzimmer der Esches gegenüberstehen.

Ausstellung wirft neuen Blick auf den Künstler

Das Schlafzimmer befindet sich gemeinsam mit dem der Kinder und dem 60 Quadratmeter großen, marmorverkleideten Badezimmer im Obergeschoss der Villa. Hier gibt eine Ausstellung Einblick in das Schaffen des vielfältigen Künstlers. Während die Exponate in den Schlafräumen chronologisch von der Entwicklung van de Veldes erzählen, widmet sich das ehemalige Badezimmer weiteren Werken, die der Architekt in Chemnitz geschaffen hat. Im Zentrum ein Modell des Clubhaues für den Lawn Tennisclub, das van de Velde im Auftrag für Herbert Esches Bruder Fritz Esche entworfen hat und das heute nicht mehr existiert.

Das Speisezimmer in der Villa Esche mit rundem gedeckten Tisch in der Mitte und einer Gemäldegalerie entlang der Wände.
An diesem gedeckten Tisch versammelten sich die Esches für ihre Mahlzeiten – umgeben von den Vorfahren der Unternehmer-Dynastie Esche. Bildrechte: IMAGO/ecomedia/robert fishman

Anlässlich der Kulturhauptstadt 2025 haben die Kunstsammlungen Chemnitz die Dauerausstellung in der Villa Esche überarbeitet. Bis Dezember 2025 ist sie als Teil der Sonderausstellung "Reform of Life" zu sehen. "Die Ausstellung wirft jetzt einen neuen Blick auf den Künstler, den es so in den letzten Jahren in Deutschland nicht gegeben hat – unter anderem mit neuen Leihgaben und Exponaten aus dem Depot", so Reinicke.

Nicht nur für Kunst- und Architekturexperten

Neu sind auch die Stelen, die in jedem Zimmer in Deutsch, Englisch und in einfacher Sprache darüber informieren, wie das Ehepaar Esche und ihre zwei Kinder die jeweiligen Zimmer damals genutzt haben. Kinder können die Villa zudem per App entdecken. Darin führen Comicfiguren des belgischen Architekten van der Velde, des Fabrikanten-Ehepaares Esche sowie deren Kinder durch die Jugendstilvilla und erklären etwa Garten, Herrenzimmer und Speisesaal. Außerdem gibt es an verschiedenen Stationen Spiele und Quizfragen.

Weitere Informationen zu Adresse, Eintritt und Öffnungszeiten (zum Ausklappen)

Henry van de Velde Museum in der Villa Esche
Parkstraße 58
09120 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Donnerstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Montag bis Mittwoch: geschlossen

Eintritt:
5 Euro, ermäßigt 3 Euro
Frei für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sowie für Studierende der TU Chemnitz
Am ersten Freitag im Monat ist der Eintritt frei.

Barrierefreiheit:
Für Rollstuhlfahrer*innen bis zum zweiten Obergeschoss zugänglich. Da der Zugang über einen Rollstuhllift erfolgt, ist eine Voranmeldung ratsam. Ein Behindertenparkplatz befindet sich ca. 30 Meter vom Eingang entfernt.

Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite des Museums.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. November 2024 | 10:15 Uhr

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