Ein Karnevalswagen des Bildhauers und Wagenbauers Jacques Tilly zieht am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten vorbei und zeigt einen Wladimir Putin aus Pappmache mit der Aufschrift Erstick Dran
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Ukraine-Krieg Warum gibt es einen Krieg in der Ukraine? Putins Träume vom Sowjetimperium

05. April 2022, 19:12 Uhr

Begann Wladimir Putin den Krieg aus strategischen Kalkül oder ist er wahnsinnig geworden? Was den russischen Einmarsch in der Ukraine unmittelbar auslöste, ist unklar. Die historischen Ursachen liegen aber auf der Hand. Für Putin ist der Zerfall der Sowjetunion 1991 eine Katastrophe. Er will das Imperium zurück, doch die Ukraine entschied sich für einen Weg gen Westen. Nun versucht Putin gegenzusteuern – und hofft nebenbei möglicherweise auf einen innenpolitischen Bonus. Denn im Krieg stellt sich das Volk oft hinter den Machthaber.

Krieg sei die typische Reaktion eines Autokraten, wenn er sich bedrängt fühlt, sagt die Schweizer Politologin, Osteuropa- und Kaukasusexpertin Dr. Sabine Jenni. "Was genau im Kreml am 24. Februar passiert ist, wird man erst in einigen Jahren herausfinden. Fest steht aber: Durch den Krieg gelingt es Putin, die Reihen zu schließen und die Bevölkerung gegen einen äußeren Feind zu mobilisieren. Das ist eine Strategie, die Putin seit Beginn seiner Präsidentschaft verfolgt." Tschetschenien, Georgien und nun auch die Ukraine sind die Opfer dieser Politik. Die Ursachen reichen weiter zurück – bis ins Jahr 1991, als die Sowjetunion zerfällt.

Putins Trauma: das Ende der Sowjetunion

In einem Jagdhaus der sowjetischen Regierung in der Belowescher Heide besiegeln drei Männer das Aus für das größte Reich der Welt. Die Staatspräsidenten von Russland, Boris Jelzin, Belarus, Stanislaw Schuschkewitsch, und der Ukraine, Leonid Krawtschuk, einigen sich Anfang Dezember 1991 darauf, die Sowjetunion aufzulösen und dafür eine "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" zu gründen. Auf den Terminus "unabhängig" besteht die Ukraine. In Moskau bleibt dem sowjetischen Präsident Michail Gorbatschow nichts weiter übrig, als sich – widerwillig – mit dem Geschehen abzufinden und zurückzutreten.

Wladimir Putin hat das Ende der Sowjetunion als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. 40 Prozent seines historischen Gebiets habe Russland dadurch verloren, sagte er in einer Dokumentation des russischen Staatsfernsehens, die 30 Jahre später ausgestrahlt wurde.

Das, was wir uns in 1.000 Jahren erarbeitet haben, war zu einem bedeutenden Teil verloren.

Wladimir Putin über das Ende der Sowjetunion

Für viele Beobachter im Westen steht fest: Wladimir Putin will seit Jahren das Rad der Geschichte zurückdrehen und das sowjetische Imperium restaurieren.

Ukrainer, Kleinrussen und Russen: Ein Land sucht seine Identität

Ausnutzen wolle Putin dabei die fragile Identität der Ukrainer, die einen eigenen Staat erst 1917 gründen konnten. Schon drei Jahre später wird er ein Teil der Sowjetunion. Der Westteil des Landes kommt zudem erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Ukraine – er war zuvor jahrhundertelang polnisch, mit einer 146-jährigen österreichischen Episode nach den Teilungen Polens (1772-1918). Im Osten der Ukraine wird vorwiegend Russisch gesprochen und es gibt eine kulturelle Verbundenheit gegenüber Russland. Und doch sei es falsch, von einem zweigeteilten Land zu sprechen, meint der Jenaer Osteuropahistoriker Dr. Immo Rebitschek.

Die sprachlich-kulturelle Nähe zu Russland im Osten der Ukraine war kein Bekenntnis gegen den eigenen Staat. Der innerukrainische Ost-West-Gegensatz wurde vor allem in Wahlkämpfen und durch die desolate wirtschaftliche Situation im Osten befeuert und überzeichnet. Zugleich votierten schon 1990 alle Landesteile mit überwältigender Mehrheit für die ukrainische Unabhängigkeit.

Immo Rebitschek, Universität Jena

Ukraine zwischen Russland und dem Westen: Ein Konflikt wird erfunden und aufgeheizt

Machtmissbrauch, Korruption, eine intransparente Privatisierung, die Entstehung einer Oligarchenkaste und die Verarmung vieler Ukrainer – die 1990er-Jahre unterscheiden sich in der Ukraine nicht von Zuständen in anderen Ex-Sowjetrepubliken. Politisch pendelt die Ukraine seit der Unabhängigkeitserklärung von 1991 zwischen prowestlichen Premiers wie Leonid Kutschma und Viktor Juschtschenko, die das Land in die EU und die NATO führen wollen, und russlandorientierten Ministerpräsidenten wie Viktor Janukowitsch.

Als Janukowitsch sich weigert, ein seit 1998 verhandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben, und stattdessen auf eine Zollunion mit Russland setzt, brechen auf dem Maidan in Kiew Proteste aus. Im Februar 2014 flieht Janukowitsch nach Russland und Putin lässt noch im gleichen Monat die ukrainische Krim besetzen – laut Rebitschek eine Reaktion auf den drohenden Einflussverlust in Kiew.

In dem Moment, als mit Janukowitsch eine Schlüsselfigur für die Interessen des Kreml verloren gegangen war, als die Massendemonstrationen in Kiew zu einem Votum für Europa wurden und Putin glaubte, die Ukraine insgesamt politisch zu verlieren, da griff er dann auf militärische Gewalt zurück.

Immo Rebitschek, Universität Jena

Noch testet Putin, wie weit er die internationale Gemeinschaft provozieren kann. Die "grünen Männchen", die die Krim besetzen, tragen keine Hoheitsabzeichen und anfangs leugnet Moskau jede Beteiligung.

Im Mai 2014 wählen die Ukrainer den Oligarchen Petro Poroschenko zum neuen Staatsoberhaupt. Der will Frieden mit Russland und die Annäherung an den Westen. Doch der Spagat misslingt. Nach prorussischen Demonstrationen in den ostukrainischen Gebieten von Lugansk und Donezk, beginnen prorussische Separatisten, unterstützt von russischen Truppen, einen Bürgerkrieg im Osten der Ukraine.

Außenpolitisch hat Wladimir Putin ein Ziel damit erreicht: die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern. Der Nordatlantikpakt nimmt kein Land auf, dessen Territorium besetzt und das in militärische Auseinandersetzungen verwickelt ist. Die NATO-Erklärung von 2008, die Georgien und der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht stellt, hat aber weiter Bestand. Und auch innenpolitisch schlägt Putin Profit aus dem Krieg, urteilt Immo Rebitschek.

Er ist immer auf der Suche nach Narrativen und Lesarten, mit denen er einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich versammeln könnte. Und eine Bedrohung durch die westliche Militärallianz, die wie zu sowjetischen Zeiten quasi an der Haustür Russlands steht, kommt ihm sehr gelegen.

Immo Rebitschek, Universität Jena

Krieg in der Ukraine: Beleg für Putins Schwäche?

Der Überfall auf die gesamte Ukraine ist nun die nächste Eskalationsstufe, um die Russen hinter sich zu bringen, glaubt die Schweizer Russlandexpertin Jenni. Die Politikwissenschaftlerin sieht darin ein Zeichen der Schwäche des "Putinismus" und ein Anzeichen für Konflikte in den innersten Machtkreisen.

Putin braucht den Konflikt, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Es sind wirtschaftliche Probleme, aber auch die ungelöste Nachfolgefrage. Wir wissen nicht genau, welche Konflikte es innerhalb der russischen Eliten gibt, klar ist aber, dass Autokratien keine effektiven Mechanismen haben, solche Konflikte zu lösen.

Sabine Jenni, Politologin

Die inneren Konflikte würden so nach außen exportiert, so Jenni. Die "Heimholung der Krim" schweißte Volk und Machthaber zusammen. Dasselbe habe sich Putin möglicherweise vom Ukraine-Krieg erhofft. Der Feind im Westen war und ist wichtig vor allem für die eigene Popularität im Inneren.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 01. März 2022 | 16:36 Uhr

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