Folgen des Ukraine-Krieges Ölpreis auf Rekordhoch: Droht uns eine Krise wie in den Siebzigern?
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31. März 2022, 14:48 Uhr
Täglich stöhnen Autofahrer derzeit an den Tankstellen. Benzin und Diesel sind teuer wie nie. Der Grund: Der Ukraine-Krieg treibt den Ölpreis in die Höhe. Einen ähnlichen Preisschock infolge eines Krieges gab es schon einmal: 1973. Die Ölkrise von damals endete mit einer schweren Rezession im Westen und wurde zum Sargnagel der DDR-Wirtschaft. Experten sehen "fatale Ähnlichkeiten" zwischen damals und heute. Müssen wir uns auf Fahrverbote, Inflation und einen Konjunktureinbruch einstellen?
Manchmal wiederholt sich Geschichte doch. Ende 1973 schießt der Ölpreis in die Höhe, weil arabische Staaten ihre Fördermenge um fünf Prozent reduzieren. Sie wollen so den ölimportierenden Westen für seine Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg bestrafen.
Wir sehen eine Ähnlichkeit zu den 1970er-Jahren, weil auch jetzt viele ölexportierende Staaten nicht gewillt sind, ihre Ölproduktion zu erhöhen, obwohl dies aus den westlichen Industriestaaten gefordert wird.
Der Ölpreis steigt sofort um 70 Prozent auf fünf Dollar pro Barrel und im Folgejahr auf zwölf Dollar. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in diesem Jahr. Das Fass Öl kostet rund zwei Drittel mehr als vor dem Ukraine-Krieg: 130 statt 79 Dollar.
Auch in einem weiteren Punkt ähnelt die Situation heute dem Jahr 1973, sagt der Leipziger Wirtschaftsprofessor Gunther Schnabl: Vor 50 Jahren trifft der Ölpreisschock eine durch den Vietnamkrieg geschwächte Wirtschaft, heute krankt die Weltwirtschaft an den Folgen der Corona-Pandemie.
Autofreie Sonntage im Westen
Mit der "freien Fahrt für freie Bürger" ist es im November 1973 vorbei. Wenn auch nur an drei Sonntagen. Als Reaktion auf den gestiegenen Ölpreis verhängt die Bundesregierung unter Helmut Schmidt Fahrverbote.
Im Nachhinein war die Wirkung auf den Energieverbrauch der Bundesrepublik Deutschland gering. Allerdings war dies auch von großer symbolischer Wirkung, weil man versucht hat, dass Energiesparen ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.
Der Westen reagiert auf die Ölkrise mit Energiesparen. Auf den Markt kommen sparsamere Autos sowie Haushaltsgeräte mit einem geringeren Stromverbrauch. Der Staat subventioniert außerdem Wärmedämmung an Gebäuden. Im Osten Deutschlands passiert erst einmal nichts. Der Ölhandel innerhalb des RGW, des "Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe", basiert auf den durchschnittlichen Weltmarktpreisen der vergangenen fünf Jahre. Und als die Preissteigerungen schließlich auch in der DDR ankommen, entscheidet man sich für eine andere Lösung des Problems.
Braunkohle im Osten
Der Ölpreisschock trifft erst verzögert ab 1980 die DDR-Wirtschaft. Die Sowjetunion verlangt nun auch von ihren sozialistischen Satellitenstaaten deutlich höhere Ölpreise und drosselt gleichzeitig die Lieferungen. Das hat fatale Folgen für die DDR. Zum einen fallen damit die Einnahmen weg, die die DDR mit dem Weiterverkauf des sowjetischen Öls und seiner Produkte zu Weltmarkpreisen bis dahin erzielen konnte – das Geschäftsmodell "billig eingekauft, teuer weiterverkauft" funktioniert nicht mehr.
Zum anderen, muss die DDR auch auf dem Binnenmarkt die Lücke ausgleichen, die durch gekürzte Liefermengen entstanden ist. Sie setzt jetzt verstärkt auf die heimische Braunkohle, inklusive der wenig effektiven Verflüssigung für Ölprodukte – auch wenn dadurch enorme Umweltschäden entstehen und die Förder- und Verarbeitungstechnik noch aus den 1920er- und 1930er-Jahren stammt und längst verschlissen ist. Außerdem forciert man die Suche nach heimischen Ölquellen und elektrifiziert Bahnstrecken. Im entscheidenden Punkt aber, verliert die DDR hoffnungslos an Boden, urteilt Gunther Schnabl.
Alle Versuche, den Energieverbrauch in der DDR über bessere Technologien, die Energie einsparen konnten, zu senken, sind im Wesentlichen fehlgeschlagen.
Langfristig ruiniert der hohe Ölpreis die DDR-Wirtschaft und trägt damit zum Niedergang des Landes und seiner ohnehin angeschlagenen Wirtschaft bei.
Hoher Ölpreis führt zu Stagnation und Inflation
Die Westdeutschen spüren die Auswirkungen des Ölpreis-Schocks schneller und direkter: Die Firmen heben die Preise an, um ihre höheren Energiekosten auszugleichen, der Bürger hat aber weniger Geld in der Tasche, weil er schon für Heizen und Benzin mehr zahlt. Die Wirtschaft komme 1973 von zwei Seiten unter Druck, sagt Oliver Holtemöller, stellvertretender Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle.
Beides zusammen führt zu dem, was wir Stagnation und Stagflation nennen, also zu einer Situation, in der es realwirtschaftlich holprig wird, wir in eine Rezession kommen und gleichzeitig die Preise steigen.
Um gegenzusteuern, reagiert die Bundesbank mit lockerer Geldpolitik, das Finanzministerium kurbelt zudem die Nachfrage an. Das Resultat ist eine kräftige Inflation von über sieben Prozent. Erst mit dem zweiten Ölpreisschock von 1979 steuern die Notenbanken der Industriestaaten um, setzen auf höhere Zinsen und Preisstabilität. Die Wirtschaft rutscht in eine Rezession.
Ölkrise damals und heute: fatale Ähnlichkeiten
Die Gefahr, dass sich die Geschichte hier wiederholt, ist real, sagt Gunther Schnabl von der Universität Leipzig. Die ökonomischen Situationen ähnelten sich fatal.
Wir haben in den 1970er-Jahren eine wachsende Inflation, angestoßen durch die Finanzierung des Vietnamkriegs durch die Notenpresse der Vereinigten Staaten. Wir haben jetzt seit der Jahrtausendwende, eine zunehmende Finanzierung von Staatsaufgaben durch die Notenbanken. Daraus entsteht ein globaler Inflationsdruck, der sich letztes Jahr beschleunigt hat.
Allerdings hat die Geldpolitik in den vergangenen 50 Jahren viel gelernt. Ölpreisschwankungen lösen seit den 1980er-Jahren keine Inflation mehr aus. Dabei lag der Ölpreis beispielsweise während der Finanzkrise höher als heute, erklärt Oliver Holtemöller. "Das liegt daran, dass die Geldpolitik dem Preisanstieg durch Zinserhöhungen tendenziell entgegengetreten ist."
Experten warnen vor Lohn-Preis-Spirale
Die Amerikaner haben für dieses Jahr drei Zinserhöhungen angekündigt, um die Inflation zu dämpfen – allerdings vor dem Ukraine-Krieg. Die Europäische Zentralbank hat sich dazu bisher nicht durchringen können. Ende 2022 wird aber auch sie reagieren, prognostiziert Oliver Holtemöller. Eine weitere wichtige Lehre aus der Ölpreiskrise 1973: Die sogenannten Zweitrundeneffekte müssen im Blick behalten werden.
Wir müssen aufpassen, dass sich dieser Preisanstieg nicht übersetzt in beispielsweise Lohnforderungen bei den Gewerkschaften, die den vollständig ausgleichen, weil das zu einer Lohn-Preis-Spirale führen kann.
Ein anderer Zweitrundeneffekt kann von Deutschland aus nicht beeinflusst werden. Viele ölfördernde Länder haben große Dollarreserven. Eine weltweite Inflation senkt auch deren Wert. "Das gibt den Anreiz Preise zu erhöhen, und das können sie, weil es eine vergleichsweise kleine Gruppe von Ländern ist. Das ist ein Muster, das konnte man 1973 beobachten und das kann man heute auch wieder beobachten", warnt Gunther Schnabl.
Benzinpreis-Rabatte treiben Inflation an
Sonntagsfahrverbote müssen wir hingegen eher nicht befürchten – ihr Sparpotential ist gering, sie hatten vor allem eine Signalwirkung für die Öffentlichkeit. Die haben auch die geplanten Benzinrabatte und Heizkostenzuschüsse. Statt zum Sparen zu ermuntern, signalisiert die Regierung diesmal aber, dass sie Bürger vor zu hohen Kosten schützen will. Allerdings: Die Zuschüsse erhöhen die Staatsschulden und heizen perspektivisch die Inflation an, warnt Gunther Schnabl.
Welch teures Gut Energie ist, wurde den Deutschen erstmals durch die Ölkrise von 1973 bewusst. Seither ist das Energiesparen in den öffentlichen Fokus gerückt – nicht ausreichend, wie wir gerade schmerzhaft merken. Aber das ändert vielleicht die Ölpreiskrise von heute.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 16. März 2022 | 21:14 Uhr