Bombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 Werden die Schrecken des Krieges bis in die heutigen Generationen vererbt?
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Traumaforschung
27. Oktober 2023, 10:27 Uhr
Dresden ist in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 zerstört worden. Für diejenige, die es erlebt haben, eine traumatische Erfahrung. Doch kann ein Erlebnis wie die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs Menschen beeinflussen, die diese nie erlebt haben, auf die zweite und dritte Generation nach dem Weltkrieg? Diesen Fragen gehen die Leipziger Psychologin Heide Glaesmer und die Schweizer Neurobiologin Isabelle Mansuy mit unterschiedlichen Ansätzen nach.
Was der Krieg mit der Seele angerichtete hatte, darüber haben viele der Betroffenen lange geschwiegen. Nach der Zerstörung der deutschen Städte gab es nur eines: Überleben. Irgendwie zurecht kommen im Nachkriegsdeutschland und die Städte wieder aufbauen. Zeit, sich mit den psychischen Schäden, die der Krieg angerichtet hat, zu beschäftigen gab es nicht. Doch nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die im Krieg geborenen Kinder, hatten die Bombennächte, Vertreibung, Flucht, Hunger und Kälte erlebt. Viele der Väter kamen nicht mehr nach Hause oder wenn, dann selbst traumatisiert vom Krieg. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass etwa ein Drittel der Kriegskinder in Deutschland schwere Belastungen erlebt haben.
Transgenerationale Trauma-Weitergabe
Ob und wie diese Traumata in den Generationen weiter gegeben werden, ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Die Leipziger Psychologin Heide Glaesmer beschäftigt sich seit den frühen 2000ern mit den psychischen Langzeitfolgen des Zweiten Weltkrieges. 2008 hat ihr Team eine große Bevölkerungsstudie zu traumatischen Kriegserfahrungen erstellt. Einbezogen waren vor allem Menschen, die zum Zeitpunkt des Krieges Kinder und Jugendliche waren. Ihr Fazit: "In der Kriegsgeneration finden wir sehr häufig kriegsbezogene Traumatisierungen wie Ausbombung, Vertreibung oder das direkte Erleben von Kriegshandlungen. Auch Jahrzehnte später sind diese noch immer mit einem häufigeren Auftreten von psychischen Erkrankungen, wie Depressionen oder "Posttraumatischen Belastungsstörung" verbunden, aber auch mit einem höheren Risiko für körperliche Erkrankungen assoziiert. Das macht deutlich, wie vielfältig und langfristig die gesundheitlichen Folgen der Kriegstraumatisierungen sind. Allerdings gibt es bis heute keine sicheren Belege dafür, dass auch die Nachfolgegenerationen aufgrund dieser Traumatisierungen der Eltern oder Großeltern häufiger psychische Störungen haben.“ sagt Glaesmer und kommt zu dem Schluss: "Ich finde, es ist erstmal eine positive Nachricht, dass wir nicht über Generationen hinweg gesundheitlich Folgen schwerer Traumatisierungen, zum Beispiel durch Kriege, so einfach identifizieren können. Ich sollte aber auch dazu sagen, dass ich als Psychologin, die mit Zeitzeugen forscht, einen anderen Ansatz habe als Kollegen, die Laborforschung zu diesem Thema machen. Im Leben eines Menschen passieren eben noch viele andere Dinge, positive wie negative und das macht die Untersuchungen solcher Phänomene so viel schwerer als im Labor ", so Glaesmer. In den letzten Jahren rückte die Frage über die epigentische Veränderungen durch Kriegstraumatisierungen beim Menschen immer wieder in den Fokus. Empirische Belege und die verfügbaren Befunde zeigen eher keine solche Effekte", so die Psychologin. Mit epigenetischer Veränderung ist die Beeinflussung der Gene gemeint, also die Traumafolgen auf neurobiologischer Ebene.
Erbgutveränderungen bei dauerhaftem Stress
Diesen epigenetischen Ansatz hat die Schweizer Neurobiologin Isabelle Mansuy. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie unter anderem 2018 epigenetische Vererbung von Stressschäden an Mäusen untersucht. "Bei hohem und dauerhaftem Stress wird der gesamte Stoffwechsel verändert", sagt sie. Mansuy und ihr Team untersuchten insgesamt fünf Generationen von Mäusen und stellten fest, dass viele Veränderungen der ersten Generation in den Zellen der folgenden Generationen noch nachweisbar sind.
Mansuy und ihr Forschungsteam trennten nach der Geburt Baby-Mäuse in unregelmäßigen Zeitabständen von ihren Müttern. Außerdem wurden sie in enge Räume gesperrt, so dass sie sich nicht frei bewegen konnten. Die Forscher setzten die Mäuse damit starken Stresssituationen, ähnlich wie sie bei traumatischen Ereignissen entstehen, aus. Nachdem die Mäuse ausgewachsen waren, machten die Wissenschaftler Tests und prüften ihre Reaktionen auf helles Licht oder offene Räume. Alle traumatisierten Mäuse zeigten sich verhaltensauffällig. Isabelle Mansuy stellte außerdem ein unnatürlich hohes Risikoverhalten fest.
Mansuy's Erkenntnis: Frühe Trennung von der Mutter kann zu Depressionen oder zu unsozialem Verhalten führen. Da die epigenetischen Veränderungen an einzelne Bausteine der DNA angeheftet werden, ging das Forscherteam um Mansuy davon aus, dass Traumata ihre Spuren in allen Körperzellen hinterlassen. Epigenetische Veränderungen konnten auch in den Blut-, Ei- und Spermienzellen nachgewiesen werden.
Vermeiden von Orten in Dresdner Innenstadt
In Bezug auf Kriegserlebnisse, wie die Dresdner Bombennächte zeigen Untersuchungen, dass sich Betroffene auch noch 50, 60 oder 70 Jahre nach den Angriffen in "plastischer Erinnerungsschärfe" an den 13./14 Februar 1945 erinnern können. In der Studie "Dresdner Bombennachtsopfer" gaben 90 Prozent der Befragten an, sich "in Lebensgefahr befunden" zu haben. 62 Prozent gaben "eine große Nähe zu den Bombenabwürfen" und 60 Prozent "Verlust von Angehörigen oder Freunden" an. Desweiteren berichteten die Betroffenen, dass sie bestimmte Bereiche in der Dresdner Innenstadt meiden, weil sie diese mit dem Krieg in Verbindung bringen und dieser Ort die Erinnerungen wieder aufleben lässt. Für viele ist das noch heute sehr schmerzhaft.
Traumata-Reaktivierung in schwierigen Lebenssituationen
Doch nicht nur Orte, sondern auch biographisch bedingte Ausnahmesituationen können re-traumatisierend wirken. Unfälle oder schwere Lebenskrisen begünstigen eine Reaktivierung des unverarbeiteten Erlebnisses und können eine psychische Belastungen auch Jahrzehnte später wieder aufleben lassen. Darüber hinaus nehmen Forschende wie Heide Glaesmer an, dass im höheren Alter die Bewältigungskräfte und damit die Fähigkeit, traumabezogene Erinnerungen und Gefühle abzuwehren, nachlassen.
Nonverbale Übertragung von Kriegserlebnissen
Häufig haben die Betroffenen nicht über das Erlebte mit ihrem Kindern gesprochen oder es hat Jahrzehnte gedauert, bis das geschah. Dennoch sind die Kriegserlebnisse der Eltern häufig sehr wichtig für Nachkommen und sie haben oft nonverbal, also ohne dass es ausgesprochen wurde, erfahren, was die Eltern belastet. "Die Kriegsgeneration hat oft nicht darüber gesprochen, was passiert ist. Dennoch hat es sie beschäftigt und gerade Kinder reagieren sehr feinfühlig auf solche Dinge.", sagt Glaesmer. Durch die Nicht-Aufarbeitung der seelischen Schäden, kann es durchaus passieren, dass die Nachfolge-Generation stellvertretend die Aufarbeitung übernimmt. "Auch wenn es also keine eindeutigen Belege dafür gibt, dass psychische Belastungen durch Kriegserlebnisse der Eltern in der Kindergeneration auftreten, spielen die Erlebnisse der Eltern häufig eine Rolle. In diesem Sinne geht es eher um transgenerationale Aufarbeitung, aber nicht Übertragung."
Neurobiologin Isabelle Mansuy berichtet ebenfalls von der stellvertretenden Aufarbeitung der Nachfolge-Generation. Sie erzählt von einem Fall aus Amerika, wo eine junge Frau schwere depressive Episoden durchgemacht hat. In Folge stellte sich heraus, dass sie die Geschichte ihrer vertrieben Großmutter durchlebte und verarbeitete. "Zellen haben eine Art Erinnerungskultur und solche tiefgreifenden Erfahrungen vererben sich", so Mansuy.
Der Artikel erschien erstmals im Februar 2021.
Dieses Thema im Programm: 1945 - Unsere Städte | 08. Februar 2022 | 22:10 Uhr