Als Opposition und DDR-Regierung aufeinander trafen "Vorschule der Demokratie"
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06. Januar 2022, 14:24 Uhr
Über drei Monate saßen Vertreter der DDR-Regierung, Opposition, Kirchen, Blockparteien und SED-Massenorganisationen an einem zentralen Tisch in Ost-Berlin zusammen. Die sogenannten Runden Tische sollten den friedlichen Übergang von einer Diktatur in eine Demokratie sichern. Die Treffen waren langwierig und kompliziert, doch sie setzten einen demokratischen Prozess in Gang. Was im Dezember 1989 begann, war im März 1990 schon wieder vorbei. Am 12. März traf sich der Runde Tisch ein allerletztes Mal.
Ein Rückblick in das Jahr 1989
Es gab viele offene Fragen zur Zukunft der DDR. Wirtschaftliche Probleme, die zunehmende Unruhe der Bevölkerung und die Forderung nach Gesprächen seitens der Kirchen und Oppositionellen drängten die DDR-Regierung zu einer Reaktion. An einem Runden Tisch wollte die Regierung mit ihren Kritikern zusammenkommen. Am 7. Dezember 1989 war es soweit. Erstmals trafen sich wichtige Vertreter der DDR-Regierung, Kirchen, Oppositionen und SED-Massenorganisationen in Ost-Berlin an einem zentralen Runden Tisch. Gemeinsam verhandelten sie über den Umgang mit der Staatssicherheit, das Ende der SED-Herrschaft und die Möglichkeit einer demokratischen Umgestaltung der DDR. Auch Gespräche über freie Volkskammerwahlen und einer neuen DDR-Verfassung standen auf der Tagesordnung.
Vorschule für die DDR
Die Treffen fanden wöchentlich statt. Immer montags wurden die Diskussionsrunden, die drei Vertreter der Kirche moderierten, live im Fernsehen übertragen. Ganze 16 Mal kamen die Vertreter am Runden Tisch in Ost-Berlin zusammen. Teilnehmer wie Wolfgang Ullmann von der neugegründeten Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" bezeichneten die Runden Tische anschließend als eine "Vorschule der Demokratie" für die DDR. Neben der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" waren auch Mitglieder von "Demokratischer Aufbruch", "Initiative Frieden und Menschenrechte", "Vereinigte Linke", "Sozialdemokratische Partei" und "Grüne Partei" vertreten.
Durch das vielfältige Meinungsbild und das Aufeinandertreffen konträrer Ansichten gestalteten sich die Verhandlungen zwischen Oppositionellen und DDR-Politikern schleppend. Die wohl schwierigste Verhandlung war die über den Umgang mit der Stasi. Einerseits stimmte die SED dem Vorschlag zu, dass der DDR-Geheimdienst aufgelöst werden soll. Andererseits wollte die SED-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow eine vermeintliche Neugründung des Verfassungsschutzes erwirken, welchen sie mit der Abwehr "faschistischer Tendenzen" rechtfertigte. Als Beleg für die Notwendigkeit zog die SED unter anderem den Anschlag auf das sowjetische Ehrenmal in Berlin Treptow am 28. Dezember 1989 heran.
Das Ausmaß dessen, was der Staatssicherheitsdienst überall im Land auf seine Listen geschrieben hatte, war nicht bekannt.
Für die Oppositionsgruppen galt dies aber nur als Vorwand, um die Stasi in anderem Gewande doch noch zu retten. Vor allem Ingrid Köppe und Reinhart Schult vom Neuen Forum brachte die Regierungsbeauftragten für die Stasi-Auflösung immer wieder in Bedrängnis. Oberkirchenrat Martin Ziegler war einer der drei Moderatoren des Runden Tischs. Rückblickend räumte er ein: "Die Schärfe, mit der Ingrid Köppe oder Schult die Diskussionen über die Stasi führten, lag mir nicht, ich hätte sie eigentlich lieber moderater gehabt. Aber auch das Ausmaß dessen, was der Staatssicherheitsdienst überall im Land auf seine Listen geschrieben hatte, war nicht bekannt. Und deshalb gebe ich heute ohne Rückhalt zu, dass ich das höchstwahrscheinlich unterschätzt habe."
Der Eklat vom 15. Januar 1990
Der Runde Tisch fühlte sich bei seiner Sitzung am 15. Januar 1990 einmal mehr von der Regierung völlig unzureichend über die Stasi-Auflösung informiert. Parallel rufte das Neue Forum zu einer Demonstration vor der Hauptverwaltung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße auf. Zu diesem Zeitpunkt stand sie noch nicht unter der Kontrolle von Bürgerkomitees. Das Vorpreschen des Neuen Forums fand selbst unter den Oppositionsgruppen nicht ungeteilten Beifall. Letztlich konnte der Konflikt um die Stasi-Auflösung nur beigelegt werden, indem Ministerpräsident Hans Modrow einlenkte und den endgültigen Verzicht auf die Einrichtung eines neuen Geheimdienstes verkündete. Die Einsetzung von drei Vertretern des Runden Tisches als Regierungsbevollmächtigte für die Stasi-Auflösung bot der Opposition schließlich die Möglichkeit, die Auflösung des Geheimdienstes tatsächlich zu kontrollieren.
Mitverantwortung oder Ruhigstellung?
Am 15. Januar forderte Ministerpräsident Hans Modrow den Runden Tisch auf, Mitverantwortung in der Regierung zu übernehmen. Auch angesichts der drängenden wirtschaftlichen Probleme und der wachsenden Diskussion um die Deutsche Einheit wollte er mit einer "Regierung der nationalen Verantwortung" in die weiteren Verhandlungen mit der Bundesrepublik gehen. Die Oppositionsgruppen stimmten am 28. Januar zu, je einen Vertreter als "Minister ohne Geschäftsbereich" in die Regierung zu entsenden, mit Ausnahme der Vereinigten Linken (VL). In derselben Sitzung wurde auch der Termin für die Volkskammerwahlen auf den 18. März vorgezogen. Bei einem Runden Tisch zuvor hatten sich die Vertreter auf freie Volkskammerwahlen geeinigt.
Letztlich waren die friedlichen Bürgerrechtler den aggressiven, machtbewussten Parteien nicht gewachsen. In vielem waren wir zu naiv und damit benutzbar
Die Oppositionsgruppen saßen jetzt zwar am Regierungstisch, aber alle wichtigen Ministerien blieben ihnen verschlossen. Letztlich hatten sie lediglich einen Dienstwagen und ein Büro samt Sekretärin erhalten. Konrad Weiß von "Demokratie Jetzt" hat im Rückblick das Defizit der Oppositionsgruppen beschrieben: "Letztlich waren die friedlichen Bürgerrechtler den aggressiven, machtbewussten Parteien nicht gewachsen. In vielem waren wir zu naiv und damit benutzbar." Das bezog sich nicht nur auf die SED-Nachfolgepartei PDS, sondern auch auf die Blockparteien CDU und LDPD, die sich seit Anfang 1990 mit CDU und FDP starke Partner im Westen suchten und das Interesse am Runden Tisch zusehends verloren.
Das Ende der Treffen
Der Runde Tisch tagte am 12. März 1990 zum letzten Mal. Mit dem Näherrücken der ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März verlor er seine Bedeutung, weil er nicht durch Wahlen legitimiert war. Auch das Interesse der Bevölkerung an seiner Arbeit ging deutlich zurück, da klar war, dass die neue Volkskammer über die Zukunft der DDR entscheiden würde und nicht der Runde Tisch - vor allem über die Frage der deutschen Einheit. Auch das wichtigste Vorhaben, der Entwurf einer neuen DDR-Verfassung, blieb unfertig. Das Vorziehen der Volkskammerwahlen um sechs Wochen hatte die Fertigstellung unmöglich gemacht.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass wir mit einer eigenen neuen Verfassung in die Einheit gegangen wären.
Monsignore Karl-Heinz Ducke war ebenfalls einer der drei Moderatoren am Runden Tisch. In einem MDR-Interview aus dem Jahr 2009 bedauerte er immer noch: "Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass wir mit einer eigenen neuen Verfassung in die Einheit gegangen wären." Aber das Tempo auf dem Weg zur Deutschen Wiedervereinigung hatte auch die Planungen des Runden Tisches überholt.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV in "Aufbruch zur Demokratie. Runde Tische in der DDR"
MDR | 24.09.2019 | 22:51 Uhr