Aufbruch zur Demokratie: Runde Tische in Berlin
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22. November 2019, 11:18 Uhr
7. Dezember 1989. An diesem Tag passiert es was bis dahin vollkommen undenkbares: Es treffen sich Abgeordnete der DDR-Regierung und von den Oppositionsgruppen zu ihren ersten "Runden Tisch". Die Stimmung war angespannt. Denn es sollte über eine Machtteilung und die Durchführung von Wahlen verhandelt werden.
Auch die neuen Oppositionsbewegungen sahen die Entwicklung in der DDR mit Sorge. Gerd Poppe, 1985 einer der Mitbegründer der "Initiative für Frieden und Menschenrechte", erinnert sich: "Nach dem Fall der Mauer drohte die Situation ein bisschen aus dem Ruder zu laufen. Das heißt, wir waren erstens an einer Stabilisierung des Landes interessiert und zweitens an der Machtfrage, also zumindest der Kontrolle der damaligen Regierung." Das bedeutete aber auch, die Konfrontation nicht um jeden Preis zu suchen.
Der "Runde Tisch" – ein Kind der Opposition
Die Idee, einen "Runden Tisch" einzurichten, kam aus der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt". Einige ihrer Gründer hatten das polnische Vorbild studiert, wo sich im Frühjahr 1989 Vertreter der kommunistisch geführten Regierung mit Vertretern der Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" an einen "Runden Tisch" gesetzt hatten, um über eine Machtteilung und die Durchführung halbfreier Wahlen zu verhandeln.
Bereits Anfang Oktober verständigten sich die neu entstandenen DDR-Oppositionsgruppen darauf, eine gemeinsame "Kontaktgruppe" einzurichten, um künftig Aktionen besser abstimmen zu können. Dennoch galten sie als Staatsfeinde, wurden in ihrer Arbeit behindert. Dass die alten Kräfte immer noch versuchten, die Öffentlichkeit zu manipulieren, bewies am 23. November das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland". Dreist wurde behauptet, die Regierung habe den "Runden Tisch" angeregt, obwohl alle Beteiligten genau wussten, woher der Vorschlag wirklich kam.
Wer darf am "Zentralen Runden Tisch" sitzen?
Der "Runde Tisch" sollte paritätisch aus Vertretern der Regierungsparteien und Mitgliedern der neuen Oppositionsbewegungen besetzt sein. Die Teilnahme von Massenorganisationen wie dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) war von den Gründern ursprünglich nicht beabsichtigt, da sie letztlich als von der SED gelenkt galten. Den Gewerkschaftern gelang es aber durch Demonstrationen vor dem Sitzungsgebäude, ihre Teilnahme doch noch durchzusetzen. Gleiches galt auch für neue Oppositionsgruppen wie etwa dem Unabhängigen Frauenverband UFV oder der Umweltorganisation "Grüne Liga".
Im Gästehaus der DDR-Regierung
Der relativ kleine Saal des Berliner Bonhoefferhauses war wenig geeignet für die Beratungen. Es gab weder Möglichkeiten, Berater in Reichweite zu konsultieren noch komplett ausgestattete Büros. Für die Blockparteien war die Arbeit einfacher, konnten sie doch auf den umfangreichen Regierungsapparat bzw. die Arbeitsmittel der Volkskammer zurückgreifen.
So zog der "Zentrale Runde Tisch" mit der 4. Sitzung in das Schloss Niederschönhausen, das Gästehaus der DDR-Regierung. Zugleich wurden die Arbeitsmöglichkeiten der Teilnehmer verbessert. Um den "Runden Tisch" möglichst unparteiisch führen zu können, war die Leitung drei Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche als sogenannte Moderatoren übertragen worden.
Regierung und Opposition gingen mit unterschiedlichen Erwartungen an die Arbeit. Konrad Weiß, für "Demokratie Jetzt" am "Runden Tisch", erinnert sich: "Als dann der Runde Tisch im Dezember 1989 zum ersten Male tagte, saßen sich im Grunde – auch wenn der Ton verbindlich war – erbitterte politische Gegner gegenüber."
Zerreißprobe für die SED
Als der "Zentrale Runde Tisch" am 7. Dezember 1989 zu seiner ersten Sitzung zusammenkam, war die Stimmung angespannt. Der Chef der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, Ibrahim Böhme, der wenige Monate später als Stasi-IM enttarnt wurde, hatte vorab erklärt: "Wir möchten die eindeutige Kontroll- und Anwaltsfunktion des Runden Tisches festschreiben. Wir verstehen uns nicht als ein Schattenkabinett des Kabinetts Modrow. Wir sehen aber die Regierung Modrow als eine geschäftsführende Übergangsregierung, der man so viel Stabilität wie nötig ermöglicht, um bis zu den Neuwahlen keine Destabilisierung der beiden deutschen Staaten zu erleben." Die SED andererseits befand sich in einer Zerreißprobe, es drohte sogar die Selbstauflösung, während die Blockparteien versuchten, sich aus ihrer alten Abhängigkeit von der SED zu lösen.
Die Beschlüsse des ersten "Zentralen Runden Tisches"
Die Opposition einigte sich mit den Vertretern der Regierungsparteien auf mehrere zentrale Beschlüsse: Für die DDR sollte eine neue Verfassung erarbeitet und anschließend durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Einstimmig wurde die Auflösung des "Amtes für Nationale Sicherheit", also der Stasi-Nachfolgebehörde, verlangt. Zugleich sprach sich der "Runde Tisch" für ein Verbot der Aktenvernichtung aus. Schließlich wurde beschlossen, Neuwahlen zur Volkskammer für den 6. Mai 1990 anzusetzen.
Außerdem verständigte sich der "Zentrale Runde Tisch" darauf, die Gespräche fortzusetzen - und zwar am 18. Dezember. Anscheinend wusste vor der ersten Sitzung niemand so recht, was am "Runden Tisch" geschehen würde, wie man an einer kleinen Begebenheit erkennt, an die sich einer der drei Moderatoren, Monsignore Dr. Karl Heinz Ducke, später erinnerte: "Gegen Mitternacht suchten wir noch den Hausmeister, um eine Schreibmaschine zu finden, um die Beschlüsse zu tippen."
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in "Aufbruch zur Demokratie. Runde Tische in der DDR" 24.11.2019 | 22:50 Uhr