Verfassung der DDR - Entwurf 1990
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Entwurf für eine neue Verfassung der DDR Der Runde Tisch, die Verfassung und die Einheit

25. September 2020, 12:03 Uhr

Gleich in der ersten Sitzung am 7. Dezember 1989 hatte der Runde Tisch beschlossen, eine neue Verfassung für die DDR zu erarbeiten. Doch der Ruf nach der deutschen Einheit übertönte bald den nach einer neuen DDR.

Den Teilnehmern am Runden Tisch ist es zu Beginn um eine demokratische Erneuerung der DDR gegangen, nicht um ihre Abschaffung. Selbst die SED stimmte solchen Überlegungen zu. Eine neue Verfassung war aber auch notwendig, um die ersten freien Volkskammerwahlen nicht nach den alten Gesetzen der SED-Diktatur stattfinden zu lassen. Gerade die Oppositionsgruppen wären dazu nicht bereit gewesen.

Ein Grundgesetz für die DDR

Der Verfassungsentwurf wurde maßgeblich von dem evangelischen Theologen Wolfgang Ullmann, einem Mitbegründer von "Demokratie Jetzt", erarbeitet. Er gehörte zur Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR", die sehr früh vom Runden Tisch ins Leben gerufen worden war. Aber die ungeheure Dynamik der Ereignisse machte es schließlich unmöglich, rechtzeitig einen Entwurf zu fertig zu stellen. In der letzten Sitzung des Runden Tisches, am 12. März 1990, sprachen die Vertreter lediglich eine Stunde über die Verfassung. Gerd Poppe von "Demokratie Jetzt" forderte, die Arbeitsgruppe auch künftig mit der Fertigstellung der Verfassung zu betrauen – im April sollte dann das Papier der Bevölkerung zur Diskussion gestellt werden. Dieser Vorschlag wurde angenommen – bei vier bedeutsamen Gegenstimmen von: SPD, Demokratischer Aufbruch, CDU und LDPD. Nichtsahnend gab sich hier bereits die Große Koalition der letzten DDR-Volkskammer zu erkennen. Sie argumentierte, dass nach der Wahl auch die Verfassungsbefugnis an die Volkskammer übergehen müsse. Der Theologe Richard Schröder, selbst Mitglied der Arbeitsgruppe, schrieb später: "Diese Parteien hatten weder ein Interesse daran, der deutschen Einigung durch eine eilige Verfassungsgebung Steine in den Weg zu legen, noch waren sie zu zweifelhaften Verfassungsexperimenten bereit."

So hieß es zum Beispiel in Artikel 4, Absatz 3: "Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen." Diese Regelung widersprach in ihrem Geist dem Paragraph 218 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches, der bis in die 90er-Jahre ohne Fristenregelung Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellte. Ein anderer Artikel des Verfassungsentwurfes erklärte die Wehrpflicht für abgeschafft – Kritiker befürchteten, durch diesen Artikel wären die Waffenlager der NVA zu einem Selbstbedienungsladen verkommen.

Auszüge aus der Verfassung

Die neue Verfassung als Einheitsbremse?

Im Kern ging es am Runden Tisch aber - je länger sich die Beratungen hinzogen - nicht um Verfassungsfragen, sondern um die Modalitäten der deutschen Einheit. Gerd Poppe formulierte damals: "Mit diesem Entwurf einer neuen Verfassung tritt der Runde Tisch Bestrebungen entgegen, sich durch die Abgabe von Beitrittserklärungen einer anderen Verfassungsordnung, dem Grundgesetz der BRD, nach Artikel 23 zu unterwerfen." Die Arbeitsgruppe hatte nach dem Ende des Runden Tisches als ein fünftes Kapitel Übergangs- und Schlussbestimmungen formuliert, das den Weg zur Einheit detailliert regelte - und zwar auf dem Umweg über das Verfassungsrecht. Das hätte, so meint Richard Schröder, "die Einigungsverhandlungen in den Eiskeller verlegt und womöglich scheitern lassen." Der Verfassungsentwurf wurde aber nicht nur von Parteien wie CDU, LDPD, SPD und Demokratischem Aufbruch kaum ernst genommen, auch die Bundesregierung zeigte sich nicht interessiert.

Und warum setzte die frei gewählte Volkskammer die Arbeiten am Verfassungsentwurf nicht fort? Pfarrer Martin Ziegler, einer der drei kirchlichen "Moderatoren" am Runden Tisch, meint im Rückblick: "Dass dies nach dem Wahlergebnis vom 18. März, das ja als Votum für eine schnelle Einheit verstanden wurde, nicht mehr opportun war, ist klar." So konnten Vertreter des Runden Tisches zwar im April 1990 den fertigen Verfassungsentwurf vorstellen. Samt Präambel, die von Christa Wolf geschrieben war, und einem Vorschlag für eine neue DDR-Fahne, in deren Mitte statt Hammer, Zirkel und Ährenkranz künftig das Emblem für "Schwerter zu Pflugscharen" auf schwarz-rot-goldenem Grund gezeigt werden sollte. Aber dafür war es bereits zu spät.

Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes beigetragen haben, eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen, gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird, überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen Handeln höchste Freiheit ist, gründend auf der revolutionären Erneuerung, entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, das Würde und Freiheit des einzelnen sichert, gleiches Recht für alle gewährleistet, die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt und unsere natürliche Umwelt schützt, geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik diese Verfassung.

Präambel von Christa Wolf zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik