Zecke auf einem Arm
Zecke auf der Haut: Die Spinnentiere können unter anderem Borrelien übertragen, wenn sie sich lange Zeit festbeißen. Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Zeckenstich Wie gefährlich eine Lyme Borreliose werden kann

21. März 2024, 16:20 Uhr

Bleibt eine Lyme Borreliose nach einem Zeckenstich unentdeckt, dann können Nerven schwer beschädigt werden und Lähmungen auftreten. Warum Borrelien oft schwer entdeckt werden und was dann hilft.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Silvia Heinze war freischaffende Malerin und gab Kurse, aber das geht heute nicht mehr. Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Konzentrationsprobleme sind alltäglich für die Endsechzigerin aus Mecklenburg. "Ich kann meine Hand nicht mehr gut koordinieren, die Feinmotorik ist weg", sagt sie. Grund für diese Probleme: Eine erst viel zu spät diagnostizierte Neuroborreliose.

Heinze war von einer Zecke gestochen worden, die sich in der Wade festgebissen hatte. Eine Ärztin entfernte das Tier, verschrieb aber keine Antibiotika. Einige Monate später wurden Glieder taub. Heinze konnte keine Treppen mehr steigen und brach bei einem ihrer Malkurse zusammen. Sie kam in ein Krankenhaus.

Die Ärzte hätten über die Symptome gerätselt, erzählt sie heute. Es dauerte sehr lange, bis schließlich eine Probe des Nervenwassers aus dem Rückenmark entnommen wurde. Darin entdeckten die Mediziner die Ursache der Symptome: In Heinzes Nervengewebe hatten sich Borrelien eingenistet. Sie bekam Antibiotika, aber die Schäden blieben.

Zecke auf einem Arm 5 min
Zecke auf der Haut: Die Spinnentiere können unter anderem Borrelien übertragen, wenn sie sich lange Zeit festbeißen. Bildrechte: imago images/CHROMORANGE
Zecke auf einem Arm 5 min
Zecke auf der Haut: Die Spinnentiere können unter anderem Borrelien übertragen, wenn sie sich lange Zeit festbeißen. Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Borreliose-Zahlen hängen vom Klima ab

Fälle wie der von Silvia Heinze, in der eine unentdeckte Lyme Borreliose schwerste Schäden anrichtet, sind zum Glück sehr, sehr selten. Aber eine Infektion mit Borrelien, die von Zecken übertragen werden, kommt im Deutschlandweiten Vergleich besonders häufig in Mitteldeutschland und dort ganz besonders in Sachsen vor. Zahlen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) zeigen, dass im Freistaat im Jahr 2019 beinahe einer von 100 Krankenversicherten infiziert war. In Thüringen sind es mit 759 und in Sachsen-Anhalt mit 591 Fällen pro 100.000 Versicherten zwar etwas weniger, dennoch mehr als im Vergleich mit dem Rest der Republik. Borrelienfreie Gebiete gibt es hierzulande aber gar nicht. Eine Infektion nach einem Zeckenstich (heute die gängige Bezeichnung und der Wissenschaft) kann praktisch überall passieren.

Dr. Volker Fingerle arbeitet am Nationalen Referenzzentrum für Borrelien, das am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit angesiedelt ist. Er beruhigt: Die Zahl der Borreliosen im Durchschnitt ist über die vergangenen Jahre relativ stabil. Sie könnten aber schwanken, je nachdem, wie günstig die klimatischen Bedingungen für die Zecken gerade seien. "In einem Jahr gehen die Fallzahlen hoch. Dann folgt ein für die Zecken schlechtes Jahr, und sie gehen wieder runter."

Wer eine Zeckenzange besitzt, ist der falsche Wirt

Für die Erkrankungen bei Menschen sind in Deutschland insgesamt fünf verschiedene Typen der korkenzieherförmigen Bakterien verantwortlich. Diese kommen aber nicht in jeder Zecke vor. "Wir gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der Larven, zehn Prozent der Nymphen und 20 Prozent der adulten Zecken mit Borrelien infiziert sind", sagt Fingerle. Die meisten Zecken kommen also auch erst im Lauf ihres Lebens mit den Bakterien in Kontakt, wenn sie Blut von einem infizierten Tier saugen.

Die Borrelien nisten sich dann im Darm der Zecke ein und warten darauf, dass diese ein neues Tier sticht. Kommt es dazu, brauchen die Bakterien eine Weile, schätzungsweise einige Stunden, um vom Zeckendarm in den neuen Wirt zu gelangen. Menschen sind dabei nicht optimal für die Mikroorganismen, sagt Fingerle. Bevorzugt werden Wirte, in denen sich die Bakterien in Ruhe ausbreiten können, von wo aus sie die Chance haben, beim nächsten Zeckenstich erneut zurück in eines der Spinnentiere zu gelangen.

Dr. Volker Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien
Dr. Volker Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien. Bildrechte: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)

"Der Mensch ist wahrscheinlich allein aufgrund der hygienischen Situation eine Sackgasse für die Zecke, denn er macht sich die Zecke weg. Welches Wirbeltier kann sich Zecken so effizient entfernen wie der Mensch, welches hat Spiegel und Zeckenzange zur Hand?", sagt Fingerle.

Die Symptome einer Borreliose sind unspezifisch

Bevorzugte Wirte der Borrelien seien eigentlich Mäuse, Rehe oder viele Vogelarten, sagt Peter Kraiczy, der die Bakterien mit seiner Gruppe am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main erforscht. Aber hat sich die Zecke einen Menschen als Ziel ausgesucht, bleibt auch den Borrelien keine Wahl. Auf dem Weg vom Darm der Zecke zu ihren Mundwerkzeugen und in den Menschen hinein durchlaufen diese eine Metamorphose. Sie passen die Merkmale auf ihrer Oberfläche, sogenannte Antigene, an die Wirte an. Ist das Ziel ein Mensch, binden die Bakterien menschliche Eiweiße an ihre Hülle. Diese wirken wie ein Tarnumhang. "So haben Borrelien die Möglichkeit, unserem Immunsystem zu entgehen, weil sie nicht als fremd erscheinen, sondern als körpereigenen", erklärt Kraiczy.

Ringförmige Rötung auf einem Arm
Die für eine Infektion mit Borrelien typische Wanderröte tritt nur bei etwa 40 bis 60 Prozent aller Infizierten auf. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Die infizierten Menschen kriegen von dem Eindringling zunächst oft nichts mit. Weil sich Borellien nur einmal alle 24 Stunden teilen, wächst ihre Zahl nur sehr langsam heran. Von der Einstichstelle aus wollen sie die Blutgefäße verlassen, um sich in entfernteren Gewebearten vor der Immunabwehr verstecken zu können. Treten sie diese Reise unter der Haut an, kommt es zur bekannten Wanderröte, Fachname "Erythema migrans". Das passiere aber nur bei 40 bis 60 Prozent aller Patienten, sagt Kraizcy. Wegen des langsamen Tempos der Bakterien beginnt diese Wanderröte erst einige Tage nach dem Stich, mitunter vergeht eine ganze Woche.

Professor Peter Kraiczy vom Universitätsklinikum Frankfurt
Professor Peter Kraiczy vom Universitätsklinikum Frankfurt. Bildrechte: Universitätsklinikum Frankfurt

Bleibt die Wanderröte aus und wurde auch der Zeckenstich nicht entdeckt, kann es sein, das Patienten eine Infektion übersehen. "Bei über 95 Prozent der Patienten gibt es kaum Krankheitszeichen, also entweder gar keine oder eine eher milde Krankheitssymptomatik", sagt Peter Kraiczy und erklärt: "Mit milder Krankheitssymptomatik meine ich beispielsweise Fieber oder Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Unwohlsein." Solche Symptome treten praktisch immer auf, wenn das Immunsystem aktiviert wird. Mediziner nennen sie deshalb unspezifisch. "Von vielen, die gestochen werden, wird das eher als grippaler Infekt gedeutet", sagt Kraiczy.

Schwere Lähmungen in Folge der Borreliose

In den allermeisten Fällen eliminiert das Immunsystem die Eindringlinge dann. Es bildet neutralisierende Antikörper und tötet die Borrelien damit ab, ohne das die Hilfe von Antibiotika nötig wäre und "ohne, dass zum späteren Zeitpunkt noch eine Borreliose im Spätstadium auftritt", so Kraiczy. Allerdings: In seltenen Fällen wie dem von Silvia Heinze gelangen die Borrelien in Nervengewebe und dort in das sogenannte Liquor, das Nervenwasser. Und werden sie dann immer noch nicht erkannt von Medizinern, dann können sie schwerste Schäden verursachen.

Professor Sebastian Rauer ist leitender Oberarzt an der Neurologischen und Neurophysiologischen Universitätsklinik Freiburg. Unter seiner Federführung entstand die S3-Leitlinie "Neuroborreliose", die Neurologen helfen soll, bei Krankheitsbildern wie dem von Silvia Heinze die richtige Diagnose zu stellen und die Krankheit richtig zu therapieren. In seiner klinischen Praxis hat er einige Patientinnen und Patienten gesehen, die ähnlich schwere Symptome mitgebracht hätten und deren Borreliose zuvor nicht diagnostiziert wurde.

Professor Sebastian Rauer von der Universität Freiburg.
Professor Sebastian Rauer von der Universität Freiburg Bildrechte: Professor Sebastian Rauer

Da war zum Beispiel eine Frau, "die hatte seit etwa eineinhalb Jahren eine beginnende Gangstörung, eine spastische Lähmung der Beine und konnte immer schlechter laufen." Irgendwann habe die Patientin eine Blasenfunktionsstörung bekommen und die Kollegen hätten eine sogenannte primär chronische Multiple Sklerose vermutet, die mit einer Chemotherapie bekämpft werden sollte. Das Nervenwasser sei aber nie untersucht worden. "Bei dieser Frau haben wir im Nervenwasser akut entzündliche Veränderungen gesehen, die eindeutig auf eine Borreliose hinwiesen", sagt Rauer.

Antibiotika wirken zuverlässig – Symptome können trotzdem bleiben

Solche Erscheinungsformen der späten Infektion seien aber extrem selten. "Die häufigste Manifestation der Neuroborreliose ist die Gesichtslähmung einseitig oder beidseitig – die Fazialisparese. Man kann plötzlich einen Mundwinkel nicht mehr richtig bewegen oder das Auge nicht mehr richtig schließen", sagt Rauer. "Häufig ist aber auch ein Rückenmarksnerv betroffen. Dann hat man nachts diese massiven Schmerzen wie bei einer Gürtelrose, die auf normale Schmerzmittel gar nicht mehr ansprechen. Die Patienten sind oft wirklich verzweifelt."

An dieser Stelle hat der Neurologe eine grundsätzlich gute Nachricht für alle Betroffenen: "Sie können in jedem späten Stadium die Lyme Borreliose durch eine Antibiotika-Behandlung stoppen." Oft kursierende Horrorgeschichten von den Bakterien, die der Therapie ausweichen und zu späteren Zeitpunkten immer wieder zurückkehren können, seien durch Studien nicht belegbar. Bislang hätten die Bakterien noch keine Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika gezeigt, seien immer zuverlässig abgetötet worden durch die Medikamente.

Allerdings: Symptome können dennoch bleiben. "Dass es tatsächlich mitunter Dauerbeschwerden gibt, liegt daran, dass hier Defekt-Heilungen vorliegen", sagt Rauer. Das bedeutet: "Wenn Nervengewebe kaputtgegangen ist, dann regeneriert das zum Teil nur unvollständig. Und dann können Dauerbeschwerden auftreten."

Von der prophylaktischen Gabe von Antibiotika wird abgeraten

Das solche Fälle allerdings die absolute Ausnahme sind, belegt eine Studie von Wilking et.al. aus dem Jahr 2015. Die Forscher hatten in Blutproben repräsentativ ausgewählter Menschen aus Deutschland nach Antikörpern gegen die Borrelien gesucht. Rund zehn Prozent der Probanden waren demnach seropositiv, hatten also Antikörper, die auf eine bereits durchgemachte Infektion mit den Bakterien schließen ließen. Je älter eine untersuchte Person war, desto häufiger war sie offenbar bereits einmal in ihrem Leben mit den Bakterien infiziert worden. In der Gruppe der 70- bis 79-Jährigen betrugt die Seroprävalenz sogar 20 Prozent. Die meisten von ihnen können sich wahrscheinlich nicht an die Infektion erinnern, weil sie gar keine Symptome hatten, schätzen Wissenschaftler wie Volker Fingerle, Sebastian Rauer und Peter Kraiczy.

Weil Zeckenstiche so häufig sind, halten Mediziner die vorsorgliche Gabe von Antibiotika nach einem entdeckten Stich für falsch. Gerade Waldarbeiter, Landwirte oder andere Menschen, die häufig in der Natur unterwegs sind, müssten dann extrem häufig mit den Medikamenten therapiert werden, die nicht völlig frei sind von Nebenwirkungen.

Impfstoff gegen Borreliose in der klinischen Entwicklung

Eine bessere Vorsorge könnte künftig ein Impfstoff der österreichischen Biotech-Firma Valneva bieten. Er löst bei Geimpften die Bildung von Antikörpern gegen Oberflächenproteine der Borrelien aus. Kommen die Bakterien dann in den Körper von Geimpften, können sie frühzeitig angegriffen werden. Das Immunsystem hätte eine zusätzliche Waffe gegen den Tarnumhang.

Eine erste klinische Phase-2 Studie hat der Impfstoffkandidat VAL-15 bereits bestanden. Aktuell wird er in einer weiteren Studie getestet, eine klinische Phase-3 zur Zulassung befindet sich bereits in Vorbereitung. Das Unternehmen hat sich dafür mit dem Pharmakonzern Pfizer verbündet, der bereits dem Corona-Impfstoff von Biontech zum Durchbruch verholfen hat. Geht alles glatt, könnte laut einer Sprecherin ab 2025 ein Impfstoff gegen die Borreliose verfügbar sein.

Für Liebhaber ausgedehnter Streifzüge durch die Natur hat Neurologe Sebastian Rauer aber einen weiteren dringenden Hinweis: Die Impfung gegen die sogenannte Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sei absolut wichtig. Denn die FSME, eine von Viren verursachte Hirnhautentzündung, wird ebenfalls von Zecken übertragen und sei bei Ausbruch weitaus gefährlicher als eine Borreliose, kann zu schwersten Lähmungen führen und sogar zu Erblindung oder Tod. Die Impfung dagegen schützt zuverlässig und ist bei jedem Hausarzt erhältlich.

Quellen

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