Ethnologische Forschung in Halle Wie wird man zum Terroristen?
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20. Januar 2020, 12:02 Uhr
Es ist seit vielen Jahren eines der bestimmenden Themen der Politik: Terrorismus. Aber was macht einen Menschen zum Terroristen? Und wie bekommt man ihn aus der Szene wieder raus? Damit beschäftigt sich ein Projekt am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle.
Mit Terroristen wollen wahrscheinlich die meisten nichts zu tun haben. Die Konfliktforscherin Dr. Carolin Görzig ist anders. Sie sucht regelrecht den Kontakt zu ihnen und interessiert sich aus wissenschaftlicher Sicht für diese spezielle Gruppe. Doch vor dem Erkenntnisgewinn steht eine ganz praktische Frage. Wie verabredet man sich mit einem Terroristen?
Das ist manchmal durch 'spokes persons' möglich, also Sprecher. Das können Juristen oder Anwälte sein, die diese Gruppen vertreten. Das kann durch Experten sein, die diese Gruppen erforschen und den Zugang weiter vermitteln.
Das kann auch durch Verwandte und Familienmitglieder sein. Es gibt zum Beispiel ein Projekt in unserer Gruppe, in dem die Doktorandin 'foreign fighters' (ausländische Kämpfer, Anm.d.R.) untersucht, dabei Familien interviewt hat, deren Familienmitglieder als 'foreign fighters' nach Syrien gegangen sind.
Auch Terroristen wollen reden
Die Wissenschaftlerin ist deshalb viel unterwegs und spricht mit Terroristen oder ehemaligen Terroristen. Sie war bei Rebellen in Kolumbien, der IRA in Nordirland oder bei der Hamas im Nahen Osten. Dabei versucht sie allerdings, um Kriegs- und Konfliktgebiete einen möglichst großen Bogen zu machen.
Wir minimieren natürlich das Risiko für uns. Wir reisen nur in Gebiete wie Ägypten. Ich war auch mal in Syrien, aber das war, bevor der Krieg ausgebrochen ist. Es geht uns oftmals auch um ehemalige Terrorgruppen, die der Gewalt abgeschworen haben und somit jetzt zugänglich werden für Interviews und Beobachtungen.
Was dann folgt, sind konkrete Absprachen über Datum, Uhrzeit und Ort. Das kann ein Büro sein, ein Café. Oder auch das Gefängnis. Die Wissenschaftlerin aus Halle macht dabei immer wieder die Erfahrung, dass sich ihre Interviewpartner öffnen und sehr bereitwillig über ihre radikalen Einstellungen berichten.
Es ist eigentlich ganz erstaunlich, wie stark diese Individuen reden wollen. Es ist manchmal so, als werden diese Interviewpartner selbst zu Wissenschaftlern. Wenn sie der Gewalt abschwören, sind sie oft schon einen starken Weg der Reflexion gegangen.
Internet spielt bei Radikalisierung eine Rolle
So wie der Aussteiger Irfan Peci. Der Ex-Islamist galt lange als einer der führenden Köpfe in Deutschlands Dschihadisten-Szene. Er betrieb eine Propaganda-Plattform, verbreitete im Internet Terrorbotschaften und Drohvideos für Al-Kaida.
Heute erzählt er darüber auf öffentlichen Veranstaltungen und hat über sein Leben in einer extremen Welt ein Buch geschrieben. Wie er in diese Welt kam, kann er heute nicht mehr so genau sagen.
Das war eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Natürlich die ideologische, die religiöse Motivation. Der Irrglaube, bei dieser extremistischen Ideologie handelt es sich um den wahren Islam. Aber auch persönliche Gründe. Das Internet hat eine wichtige Rolle gespielt. Die mediale Berichterstattung, die mich auf den ganzen Themenkomplex aufmerksam gemacht hat.
Wut zieht auch unpolitische Menschen in den Extremismus
Wissenschaftler beobachten, dass sich radikale Einstellungen quer durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen ziehen. Es gibt nicht das eine typische Milieu, das Terroristen hervorbringt. Und doch ist ein Muster erkennbar, erklärt die österreichische Extremismus-Forscherin und Buchautorin Julia Ebner:
Allen ist gemein, dass sie eine gewisse Art der Identitätskrise oder eine momentane Schwachstelle haben. Oder eine Angst, eine Frustration, eine Wut, die dann sehr gezielt von Anwerbern ausgenutzt wird. Und das ist das Gefährliche. Das zieht auch unpolitische Menschen, teilweise Minderjährige, in die Gruppen.
Medien verbreiten politische Ziele
So ähnlich war es beim Ex-Islamisten Irfan Peci. Dessen Geschichte beginnt in Serbien. Dort wurde er geboren. Er war noch ein Kleinkind, als seine Familie die Heimat verließ und nach Deutschland kam. Irfan Peci ging in den Kindergarten, in die Schule und suchte als Jugendlicher nach Orientierung. Über einen Verwandten kam er erstmals in Berührung mit radikalen Gedanken und war davon fasziniert. Peci wurde schließlich Deutschland-Chef des Online-Netzwerkes "Globale Islamische Medienfront", einer Radikalisierungsplattform mit großer Reichweite. Für den politischen Terrorismus ist das ein Wesensmerkmal, erklärt die Historikerin Carola Dietze.
Wichtig ist natürlich, dass diese politische Absicht bekannt werden kann. Da spielen zum einen Bekennerschreiben eine große Rolle, die im 19. Jahrhundert bereits erfunden wurden. Und dann eben Medien, die genau diese politischen Ziele verbreiten und die Öffentlichkeit darüber informieren.
Die Professorin lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, ist dort Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Geschichte. Die Anfänge des Terrorismus sieht sie bereits im 18. Jahrhundert.
Der Begriff ist Ende des 18. Jahrhunderts schon geschaffen worden mit Blick auf den Terror der französischen Revolution. Damals begannen einige, die an diesem Terror mitgewirkt hatten, damit, sich davon zu distanzieren. Das Phänomen als 'Gewalt von unten' gegen eine politische Ordnung, gegen den Staat, hat seine Geburtsstunde in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Aussteiger liefern exklusive Einblicke in die Szene
Damals gab es gleichwohl noch nicht die modernen Kommunikationsmittel, wie wir sie heute kennen. Vieles sprach sich erst langsam herum. Die digitalen Terrorismus-Botschaften des Ex-Islamisten Irfan Peci dagegen verbreiteten sich schnell und fielen auch dem Verfassungsschutz auf. Daraufhin wurde er beobachtet und als sogenannter V-Mann, als Vertrauensmann, angeworben. Der Staat versprach ihm ein neues, ein normales Leben. Dafür lieferte der Aussteiger exklusive Einblicke in die Islamisten-Szene.
Das ist ähnlich wie im Links- und Rechtsextremismus, wo es gewisse Symbole, eine gewisse Musik, Figuren und Bücher gibt, die für die Szene stehen. Es wäre sehr sinnvoll, wenn die Gesellschaft das frühzeitig erkennt. Das wäre dann ein Fall für die De-Radikalisierung oder den Präventionsbereich oder im Extremfall für die Sicherheitsbehörden.
Hier setzt die Konfliktforscherin Carolin Görzig aus Halle an. Sie will wissen, wie sich terroristische Szenen vernetzen, wie sie lernen und sich gegenseitig beeinflussen. Gerade beim extremen Islam macht sie interessante Beobachtungen und nennt als Beispiel die ägyptische Terrorgruppe Gamaa el Islamija. "Die Gamaa el Islamija hat zum Beispiel ein ganzes Buch über Al Kaida geschrieben", erklärt Görzig. "Hier zählt sie die Fehler von Al Kaida auf und will klarmachen, dass es Al Kaida an Einsichten in die Realität mangele. Sie wenden ihren eigenen Ansatz, ihr eigenes Lernen, ihren eigenen Deradikalisierungs-Prozess auf Al Kaida an und kommen zu dem Schluss, das Al Kaida unrealistisch ist."
Besuch von ANC-Mitgliedern bewirkte Umdenken bei IRA-Kämpfern
Was dieser Prozess bewirken kann, beschreibt die Wissenschaftlerin an einer besonderen Begegnung. Sie fand zwischen Mitgliedern der irischen IRA und Vertretern des ANC, der Bewegung von Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, statt.
In Nordirland ist der ANC in die Gefängnisse gegangen und hat mit den Mitgliedern der IRA darüber gesprochen, wie sie der Gewalt abschwören und dass man auch auf politischem Wege gewinnen könne. Ein Mitglied der IRA sagte uns zum Beispiel, für mich war das Zusammentreffen mit dem ANC das einschneidende Erlebnis. Es war das Erlebnis, das mich zum Umdenken gebracht hatte.
Es sind solche Schlüsselszenen, die die Fronten aufbrechen können. Dr. Bernd Wagner kann das bestätigen. Er leitet das Aussteigerprogramm "Exit". Dahinter verbirgt sich ein unabhängiges Hilfsangebot für Rechtsradikale, die die Szene verlassen wollen. Der Kriminalist weiß, dass viele Extremisten irgendwann an einen Punkt kommen, wo sie ihr Leben hinterfragen und erste Zweifel zulassen.
Man merkt, dass man das eigene Leben an die Szene verliert. Man muss hundertprozentig zu jeder Tag- und Nachtzeit oftmals präsent sein. Wenn irgendeine Anforderung ist, muss man dabei sein. Man wird in einem gewissen Grad an Unfreiheit gewöhnt. Jeder hält das nicht durch. In dieser Lage der Hoch-Radikalität, die plötzlich in sich zusammenbricht, vergleichbar mit einem Burnout, kommen die Leute dann zu uns.
Anschlag auf Mutter eines Ausseigers
Bernd Wagner hat schon etlichen Rechtsextremen die Tür in ein neues Leben geöffnet. Er verfügt inzwischen über ein großes Netzwerk, arbeitet mit mehreren Handynummern, war Sachverständiger im NSU-Untersuchungsausschuss. In rechten Kreisen ist sein Name bekannt. Das hilft dabei, den ersten Kontakt zu potentiellen Aussteigern herzustellen und Vertrauen aufzubauen.
Gleich nach der Wende fing er damit an, die ersten Ausstiege zu organisieren. "Exit" gründete er im Jahr 2000, gemeinsam mit einem ehemaligen einflussreichen Neonazi-Führer, der sich von der Szene losgesagt hatte. Der Aussteiger berichtete über seine Erfahrungen in mehreren Büchern und trat trotz aller Sicherheitsbedenken öffentlich auf. Die ehemaligen Kameraden reagierten mit Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen. Sogar einen Anschlag auf die Mutter des Aussteigers gab es. Bernd Wagner weiß um diese Risiken. Dennoch ist er davon überzeugt, dass genau diese Geschichten wirken und Ausstiegswillige erreichen. Nur: Wie merkt er, ob es jemand ernst meint oder nicht?
Es gibt tatsächlich Anhaltspunkte, warum die Erzählungen darüber, warum man nicht mehr mitmachen will, plausibel sind für mich und die Kollegen. Ganz typische Merkmale, die man festhalten kann, ist das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Es werden Ereignisse geschildert, die in ihrer Dramatik kaum zu überbieten sind.
Wissen hilft, Konflikte friedlich zu lösen
Solche Berichte können den Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle dabei helfen, das Denken von Extremisten und Terroristen besser verstehen. Doch es ist ein schmaler Grat, auf dem sie sich bewegen. Denn sie müssen sich auf Menschen einlassen, in denen viele das Böse sehen und die versucht sein könnten, die Wissenschaftler zu manipulieren. Forscher wie Carolin Görzig stellt das besondere vor Herausforderungen.
Es ist ja gerade für Ethnologen oftmals so, dass die Identifikation mit dem Forschungsobjekt zentral ist und dass das auch gewünscht ist. Das ist aber ganz genau das Problem bei unserem Forschungsthema, dass die Identifikation mit Menschen, die Gewalt verüben, natürlich moralisch und ethisch schwierig ist. Es ist aber auch etwas, das hilft, Distanz zu wahren.
Dieses Arbeiten, dieses Wissen könnte letztlich aber dabei helfen, Verhandlungsstrategien mit Terroristen weiterzuentwickeln um Konflikte friedlich zu lösen. Und davon gibt es gerade eine ganze Menge auf der Welt.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 19. Januar 2020 | 05:20 Uhr