Klimawandel Gerölllawinen, Bergstürze: Warum bröselt's in den Bergen?
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12. Juli 2022, 11:05 Uhr
Bröseln uns die Berge unter den Füßen oder beim Klettern unter unseren Fingern weg, was ist da los? Und kann man nicht gescheit davor warnen, wann es wo in den Bergen oder am Hang gefährlich wird?
Schlagzeilen über Bergstürze, abbrechende Felswände, ins Tal donnernde Gesteinswände: Es scheint, als häuften sich in Bergregionen solche Ereignisse. Eine gefühlte Häufung angesichts der vielen Medienberichte und Videoschnipsel von solchen Ereignissen auf Social Media-Plattformen, oder eine tatsächliche? Lutz Zybell vom deutschen Alpenverein und Vorstand im Landesverband Sachsen sagt: "Eher eine gefühlte. Man kann nicht sagen, 'früher gab es pro Jahr 10 und heute 30'." Zum Beispiel sind in ganz Sachsen beim Landesamt bis jetzt (11. Juli) für dieses Jahr sieben Felsstürze gemeldet worden, der Durchschnitt liegt bei acht bis zehn pro Jahr. "Allerdings sind das auch nur die, die tatsächlich beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie gemeldet werden", schränkt Zybell ein, "zum Beispiel dann, wenn Felsbrocken auf Straßen stürzen". Es kann also in allen Jahren auch früher mehr Abbrüche gegeben haben, ohne dass jemand das mitbekommen und mitgezählt hat.
Aber bleiben wir beim Beispiel Sächsische Schweiz, spielen dabei Starkregen-Ereignisse eine Rolle? "Man kann weder sagen, wann es zum einem Felssturz oder Abbruch kommt, oder welche Ursachen es genau hat", sagt Ingenieur Zybell. Felsstürze im Nationalpark Sächsische Schweiz korrelieren auch nicht mit Hitzeperioden, da gebe es keine Verbindung.
Und was ist mit den Bergstürzen in alpinen Regionen?
Auch in den Alpen sind Felsstürze immer wieder ein Thema, Anfang Juli war es beispielsweise am italienischen Marmolata-Massiv zu einem Gletschersturz gekommen, in dessen Folge etliche Menschen starben. Mit zehn Grad Celsius war dort die bislang höchste Temperatur gemessen worden, die Schneedecke galt Experten zufolge aufgrund der anhaltenden Hitze als viel zu dünn für die Jahreszeit. Und die Wärme wirkt nicht nur auf Gletscher, sondern auch auf den Berg selbst. "In den Permafrostgebieten werden Felsteile vom Dauerfrost zusammengehalten. Die Dauerfrostgrenze ändert sich, es schmilzt Eis in Regionen, in denen es noch nie Plusgrade gegeben hat", erklärt Spezialist Zybell, was passiert ist. "Der Klimawandel in den Alpen ist massiv." Denn wenn das Eis fehlt, das Geröll und Gestein an Ort und Stelle hielt, kann es zu plötzlichen "schlagenden Prozessen" kommen, also Geröll- oder Steinschlag, oder zu "schleichenden Prozessen", wenn ganze Hänge abrutschen.
Ob ein Hang generell einmal instabil wird, hängt von dessen Grundbeschaffenheit sowie der Stabilität folgender Faktoren ab: zum einen von seiner geologischen Entwicklungsgeschichte, zum anderen von der Oberflächenbeschaffenheit des Gesteins, sowie seiner Lage und Ausrichtung des Hangs zur Mittagssonne. Erwärmt sich nun also die Bodentemperatur, legt Eis Geröll frei, sind Bewegungsprozesse an Berghängen quasi unausweichlich, spätestens dann, wenn noch starke Niederschläge hinzukommen. Schon 2006 warnte der Deutsche Alpenverein, als am Eiger eine 75 Meter hohe Felswand zusammenstürzte: "Im globalen Mittel ist die Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad, in den Alpen sogar bis auf 1,6 Grad angestiegen. Ab einer Höhe von 2.500m NN sind dauerhaft gefrorene Böden (Permafrost) anzutreffen. (...) Durch die Klimaerwärmung wandert die Grenze der Permafrostböden nach oben, Abschmelzvorgänge beginnen. Insbesondere bei starken Niederschlägen können dann Steinschlag und Muren entstehen oder sogar ganze Bergflanken abgehen."
Warnschilder stehen nicht zum Spaß herum
Was bedeutet das für den Tourismus in den Bergen? "Normale Wanderer müssen sich informieren, was gesperrt ist, und sich an die Warnhinweise vor Ort auch halten." Das könne auch bedeuten, Wander- und Klettertouren zu anderen Jahreszeiten zu unternehmen, die Eiger-Nordwand, Matterhorn beispielsweise bezwinge heute kein Mensch mehr im Sommer, sagt Lutz Zybell: "Der Bergsteiger, der solche Trips machen will, muss sich an sichere Zeiten halten, also schneearme Winter oder nachts, wenn entsprechende Minustemperaturen herrschen. Es geht ja darum, Gefahren zu meiden und Gefahren entstehen in Hochgebirge da, wo es taut, wenn die Sonne scheint."
Das Fatale scheint im Bereich Freizeitbergsport die Gewöhnung an die Warnungen: "Auf gesperrten Wegen, wenn da über mehrere Jahre nichts passiert, wandern die Leute dort auch wieder." Und dabei sei es egal, ob am Schmalen Katzfels bei Mittweida oder in alpinen Regionen, und ganz gleich ob Wanderer oder Freizeit-Kletterer: "Man muss sich über die aktuelle Warnlage informieren und die Warnungen ernst nehmen."
(lfw)