Grüner wird's nicht? Zwischen Leugnung und Heimatschutz: Die AfD und das Klima
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16. Juni 2023, 12:24 Uhr
Rechte Gruppen in ganz Europa nehmen zunehmend klimapolitische Themen auf, auch die AfD in Sachsen. Warum spielen Klima- und Umweltschutz eine so große Rolle für sie und welche Themen finden bei der AfD besonderen Anklang, welche Ziele und Strategien stecken dahinter? Ein Blick hinter das Umweltprogramm der AfD.
Herbst 2019: Tausende Landwirtinnen und Landwirte fahren mit ihren Traktoren nach Berlin, um gegen das Agrarpaket der Bundesregierung und Verschärfungen der Düngemittelverordnung zu demonstrieren. Die AfD solidarisiert sich damals als einzige Partei des Bundestages mit den Protesten, wie die taz berichtet. Scheinbar mit Erfolg: Bei der letzten Landtagswahl in Sachsen wählten 34 Prozent der Landwirte die AfD, wie eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zeigt.
Die Landwirtschaft ist ein Teil einer viel größeren Klimastrategie der Partei: Schon seit der Bundestagswahl 2017 versucht die AfD gezielt Menschen zu erreichen, die am menschengemachten Klimawandel zweifeln. Laut Parteiprogramm lehnt die Partei zudem erneuerbare Energien und den Kohleausstieg ab und befürwortet den Rückbau von Windenergie.
AfD konstruiert Umweltschutz als Gegensatz zum Klimaschutz
Die Schnittstelle zwischen Rechts und Grün lässt sich auch an der Personalie des AfD-Politikers Jörg Urban erkennen: Der umweltpolitische Sprecher und Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen kommt ursprünglich von der Grünen Liga Sachsen, einem in der DDR gegründeten sächsischen Umweltverband. "In der AfD kann ich mehr bewirken als bei der Grünen Liga. Aber es gibt auch direkte Anknüpfungspunkte: Schon in der Grünen Liga habe ich mich mit der Naturzerstörung durch 'erneuerbare Energien' beschäftigt und mit der fehlenden direkten Demokratie", erklärt er seinen Wechsel.
Die Klimapolitik rechter Akteurinnen und Akteure ist stark ideologisch geprägt. Anders als in den Programmen vieler Parteien werde Umweltschutz als regionaler Heimatschutz verstanden und nicht als Teil, sondern als Gegensatz zu einem nach globalen Lösungen strebenden Klimaschutz konstruiert, erklärt Janine Patz. Die Politikwissenschaftlerin forscht derzeit zu Internationalem Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, das wiederum zum Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) gehört. Diesen Gegensatz betont auch AfD-Politiker Urban: "Wir stehen auf der Seite des Umweltschutzes und lehnen z.B. die Zerstörung von Wäldern für die Errichtung von Windrädern ab. Auch artenarme Monokulturen für Bio-Kraftstoffe gefallen uns nicht."
"Bäume haben Wurzeln, Menschen auch"
Im rechten Weltbild existiert die Vorstellung einer vermeintlich organisch gewachsenen, "natürlichen" Gesellschaftsordnung. Das schließt auch die Vorstellung einer binären Geschlechterordnung und daran geknüpfte gesellschaftliche Rollen oder Fragen von Herkunft ein. So versuchen rechte Gruppen, und besonders die AfD, Klimathemen immer wieder mit dem Thema Migration zu verknüpfen. "Einwanderung ist in ihren Augen als unökologisch zu interpretieren", erklärt die Politikwissenschaftlerin Patz und bezieht sich dabei auf das Konzept des Ethnopluralismus. Im Sinne der alten "Blut und Boden-Theorie" wird eine Verbindung zwischen "Volk und Raum" unterstellt, wonach eine vermeintliche "Völkervielfalt" nur bestehen kann, wenn alle an ihrem angeblich natürlichen Ort bleiben. "Es gibt einen Spruch auf rechten T-Shirts: Bäume haben Wurzeln, Menschen auch", ergänzt Florian Teller, Referent von der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN).
Analysen des IDZ in Jena zeigen zudem, dass die AfD die Ursachen und Folgen des menschengemachten Klimawandels ablehnt. "Die AfD gilt zwar immer noch als Klimawandel leugnende Partei, aber sie leugnet nicht mehr dessen Existenz, sondern nur den Einfluss des Menschen daran", erklärt Patz. So schreibt die AfD in ihrem Programm zur Europawahl 2019: "Das Klima in allen Klimazonen der Erde – von tropisch bis polar – wandelt sich naturgesetzlich, seitdem die Erde besteht. Ein konstantes Klima über längere Zeiträume gibt es nicht. Wir bezweifeln aus guten Gründen, dass der Mensch den jüngsten Klimawandel, insbesondere die gegenwärtige Erwärmung, maßgeblich beeinflusst hat oder gar steuern könnte."
Atomausstieg: Die AfD ist dagegen, andere Rechte sind dafür
Die AfD ist im rechten Spektrum mit ihren Themen nicht allein. "Die neonazistische Partei Der Dritte Weg ist gegen die Braunkohleförderung und sagt, wir brauchen eine Art Energiewende", erläutert Florian Teller von FARN. Dabei gehe es vor allem um den Erhalt der Heimat und den Schutz der Wälder. Im Gegensatz zur AfD positioniert sich diese Partei auch gegen Atomkraft, "weil Atomkraft die deutschen Gene zerstört oder angreift", fügt Teller hinzu. Ähnlich argumentiert auch die NPD (seit dem 3. Juni 2023 "Die Heimat") was Atomkraft betrifft, doch den jetzigen Atomausstieg sehen beide Parteien als verfrüht an.
Völkische und nationalistische Ansätze sind zentral in der Klimapolitik der AfD. Teil davon ist, dass die Partei "natürlich ökologischen, grünen Klimaschutz und progressive Politik als volksschädliche Ideologie diffamieren", erklärt Patz. Eine weitere Strategie sei es, Verunsicherung zu schüren. "Ein gutes Beispiel dafür ist der Blackout Diskurs." Dabei werde die Energiesicherheit durch erneuerbare Energien in Zweifel gezogen. Wie Rechte Krisen für eigene Zwecke missbrauchen, lässt sich auch im Kontext des russischen Angriffskriegs beobachten: "Ausgerechnet die Akteure, die all die Jahre den Ausbau erneuerbarer Energien ausgebremst, gestoppt und verhindert haben und mitverantwortlich dafür sind, dass Deutschland auch heute immer noch in dem Ausmaß abhängig von fossilen Brennstoffen ist, instrumentalisieren die Situation und werfen grüner Politik Versagen vor."
Das habe auch eine Studie herausgefunden, an der Janine Patz mit anderen Forschenden gearbeitet hat. Eine Analyse der Twitter-Diskurse zeige, dass proukrainische und klimaschutz- bzw. energiewende-befürwortende Agierende zumeist rechten, oftmals verschwörungsideologischen und demokratiefeindlichen Akteurinnen und Akteuren gegenüberstehen. Die Studie statiert darüber hinaus nicht nur eine Bedeutungszunahme rechtspopulistischer und verschwörungsideologischer Positionen, sondern auch vermehrt Anfeindungen gegen politisch Handelnde, vor allem gegen Teile der Grünen – was insbesondere von der AfD befeuert werde.
Es gehe auch darum, Feindbilder zu schaffen: "Die basieren stark auf verschwörungsideologischen Erzählungen: zum Beispiel wird Klimaschutzpolitik oder die Energiewende als vermeintlich ideologisches Projekt einer globalen Elite oder Lobby verkauft", so Patz. Ziel sei es, grüner Politik und Handelnden zu unterstellen, dass sie absichtlich die Zerstörung der nationalen Heimat und die Schädigung der Bevölkerung durch Armut, Lärm, Zerstörung und Energieknappheit herbeiführen wollen.
AfD stimmt teilweise für den Green Deal
Auf EU-Ebene arbeiten konservative und rechte Parteien Hand in Hand, gerade wenn es um den Green Deal geht. Der sogenannte European Green Deal ist ein Gesetzespaket der EU, das Europa zum klimaneutralen und emissionsfreien Kontinent machen soll. Die AfD lehnt dieses Gesetzespaket als Ganzes ab – und begründet das unter anderem damit, dass bei Agrarpolitik die Zuständigkeit bei den Nationalstaaten liegen soll.
Dennoch scheint es auf den ersten Blick so, als unterstütze die Partei auf europäischer Ebene einzelne Beschlüsse des Green Deals. Und zwar immer dann, wenn es in ihre gängige Argumentation passt. So stimme die Partei auf EU-Ebene beispielsweise Gesetzen zu, die zum Schutz von Wäldern erlassen wurden. "Es ist ein gutes Beispiel wir rechte und konservative Akteur:innen gemeinsam Klimaschutzmaßnahmen verzögern verhindern für ein weiter wirtschaften wie bisher", ordnet Patz ein. Die Grundidee des ursprünglichen Gesetzesvorschlags ging in der Bearbeitung verloren. Ein besserer Schutz für die unter dem Klimawandel leidenden Wälder ist schlussendlich hinter den Schutz des nationalen "Wirtschaftsproduktes Holz" gestellt und eine gemeinsame europäische Verständigung erneut wirtschaftlichen Interessen geopfert wurden.
Das führte letztendlich dazu, dass die gesamte grüne Fraktion das Gesetz ablehnte. Die Grünen im EU-Parlament hatten die Sorge, der Wald könne ausgebeutet werden oder bemängelten die fehlende Dimension der Auswirkungen des Klimawandels und der Tatsache, dass die Anzahl an Waldbränden dadurch zunähmen, was besonders Länder wie Spanien oder Griechenland treffe.
AfD stimmt für Landwirtschaft, Tierschutz und den Schutz des Waldes
In einer Analyse des Abstimmungsverhaltens von rechten Parteien im EU-Parlament hat sich gezeigt, dass die AfD in nicht wenigen Fällen im Sinne des Deals stimmte – sofern es in ihre Argumentation passt. Besonders interessant ist der Bereich rund um landwirtschaftliche Themen. Auch wenn sich hier 70 der 154 Stimmen in der Kategorie gegen den Deal richten, lassen sich dennoch 44 Für-Stimmen erfassen. Das sind mehr als 25 Prozent der Stimmen. In keinem anderen Themenbereich liegen mehr befürwortende Stimmen in Bezug auf den Green Deal vor. Die AfD stimmte unter anderem für einige Gesetze des Green Deals, die den Schutz von Tieren in der Lebensmittelproduktion und in der Landwirtschaft betreffen sowie für einen nachhaltigen europäischen Waldschutz.
Gerade was den Aspekt des Tierschutzes angeht, sei das nicht neu, sind sich die Politikwissenschaftlerin Janine Patz und Florian Teller einig. Zudem werde Tierschutz auch ideologisch instrumentalisiert. "Früher war das noch stark antisemitisch aufgeladen, wenn es ums Schächten ging, heutzutage ist es eher antimuslimisch, anti-islamisch oder rassistisch aufgeladen", kontextualisiert Teller.
AfD Sachsen macht sich für Landwirtschaft stark
Und auch, dass die AfD Befürworter der europäischen Landwirtschaft ist, liege nicht, wie man denken könnte, an einer vermeintlich fortschrittlichen Klimapolitik der Partei, sondern viel eher an der konservativen Landwirtschaftsstrategie der EU: "Man muss mit diesem romantischen Bild von Landwirtschaft ein Stück weit aufräumen", beginnt die Rechtsextremismus-Expertin Patz. "Die EU-Landwirtschaft und das, was die EU vor allen Dingen fördert in den letzten Jahrzehnten, ist eine konventionelle, auf großen Flächen und Massenproduktion bestehende Landwirtschaft, die unfassbar klimaschädlich ist."
Denn noch immer werden die Förderungen entsprechend der bewirtschafteten Fläche vergeben. Was den Green Deal betrifft, beklagen Forschende vom Karlsruher KIT in einer Studie in Nature zudem, dass die EU durch höhere Importe von Agrargütern ihre Umweltschäden lediglich auslagere. Die Folgen für die Bauernhöfe bleiben die gleichen, andere kommen hinzu: Wasserknappheit, ausgedörrte Böden, Extremwetterereignisse sowie steigende Preise bei sinkenden Einkommen. Dementsprechend freuen sich Landwirtinnen und Landwirte, dass ihre Belange vertreten werden – siehe Herbst 2019.
Urban erklärt das Faible seiner Partei für Landwirtschaft mit Bezug auf Sachsen so: "In den letzten Jahren ist der Selbstversorgungsgrad massiv gesunken. Die Sachsen wünschen sich jedoch regionale Lebensmittel." Deshalb müsse der Landwirtschaft ein hoher Stellenwert eingeräumt werden und lokale Produktions- und Verkaufsstrukturen in dörflichen Regionen gestärkt werden. Für die sächsische Landtagswahl, die nächstes Jahr ansteht, setzt die AfD Sachsen auf genau diese Themen – Tierschutz und den Schutz des Waldes: "Wir wollen Tiertransporte verkürzen, unsere Wälder schützen und wünschen uns eine Renaissance regionaler Lebensmittelproduktion", wie der Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen mitteilt.
Rechte Parteien wollen mit Klimathemen neue Milieus erreichen
Inwiefern die AfD letztlich bei der Landtagswahl 2024 auf Landwirtschaft, Tier- und Waldschutz setzt – und inwiefern sie damit erfolgreich ist –, bleibt abzuwarten. Was auf den ersten Blick aussehen mag, wie Solidarität gegenüber deutscher Landwirtschaft, kann sich als völkisch-nationales Gedankengut entpuppen. Fest steht, dass Klimathemen auch in rechten Kreisen angekommen sind, das hat schon Alexander Gauland festgestellt: "Die Kritik an der sogenannten Klimaschutzpolitik ist nach dem Euro und der Zuwanderung das dritte große Thema für die AfD."
Es lohnt sich also doppelt hinzusehen, wenn rechte Akteure sich zu Klimapolitik äußern. "Die Klimafrage ist unmittelbar mit der Zukunftsfrage von Demokratien verbunden", resümiert Patz. "Es geht bei diesen Themen darum, dass extrem rechte, antidemokratische und wirklich menschenverachtende Positionen und Akteur:innen an Bedeutung gewinnen und eine Normalisierung erfahren." Denn gerade dann hätten rechte Akteurinnen und Akteure eine sehr hohe Anschlussfähigkeit in sämtlichen Milieus und könnten sich völlig neue Milieus erschließen. "Im Endeffekt überlassen wir natürlich der nächsten Generation einen nicht bloß lebensfeindlichen Raum, sondern vor allen Dingen auch einen demokratiefeindlichen Raum", resümiert Patz.
Die Methodik hinter der Datengrafik
Im ersten Schritt haben wir die Abstimmungen im Europäischen Parlament zum Green Deal herausgesucht. Anschließend haben wir eine Tabelle erstellt, in der wir alle Abstimmungen nach MEPs, Ländern, Themenbereich und konkreter Abstimmung aufgelistet haben und mit einem Python-Code analysiert.
Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von “Crossborder Journalism Campus”, einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Marine Delrue, Anna Hallgreen, Greta Hirschberg, Ange Torlotting.