Studie Tote Tiere erhöhen die Biodiversität im Wald
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30. Januar 2020, 11:34 Uhr
Sie sind kein schöner Anblick, aber aus ökologischer Sicht ein großer Gewinn: Tierkadaver in Wäldern. Die sorgen nämlich für mehr biologische Vielfalt vor Ort. Weil Tierkadaver in der EU beseitigt werden müssen, wollten Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung wissen, ob das wirklich gut ist für die Natur oder ob sogar die Gesetze geändert werden sollten. Deswegen führten sie eine Feldforschung durch. Das Ergebnis verblüffte sogar Experten.
Feldforschung mit toten Tieren geht so: Man nehme fünf Kadaver von Rothirschen, die im Spätwinter gestorben sind. Dann platziere man sie im Frühjahr an unterschiedlichen Stellen im niederländischen Wildnisreservat Oostvaardersplassen (Fläche 5.600 Hektar). Dann erfasst man das Vorkommen von Insektenarten und das Pflanzenwachstum an den fünf Stellen und auch an Kontrollflächen. Fünf Monate später wiederholt man die Prozedur. Und da kommen sogar Wissenschaftler ins Staunen, sagt Forschungsleiter Roel van Klink, der am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Halle forscht:
Wir hatten uns vorgestellt, dass wir dort viele Spinnen und Käfer finden würden. Das war aber nicht der Fall. Interessanter war, dass sich nach fünf Monaten in der Nähe der Kadaver ein riesiger Busch von Disteln entwickelt hatte und auch andere Pflanzen. Tatsächlich fünfmal so viel wie vorher und als auf der Kontrollfläche. Und dort haben wir auch viermal so viele Insekten gefangen.
Wenn es viele Insekten, Spinnen und Milben gibt, sprechen die Wissenschaftler von einer hohen Arthropodendichte.
Wir haben herausgefunden, dass viele Insektenarten von dem Kadaver in einem Naturschutzgebiet profitieren können. Im Frühjahr waren es die Aasfresser. Im Spätsommer waren die Aasfresser schon alle weg, aber es waren die Insekten, die Pflanzen fressen und auch die Insekten, die die Pflanzenfresser fressen.
Und für die Pflanzenfresser, die von Insekten gefressen werden, gab es auch viel mehr Pflanzen. Die Forscher führen dies auf die zusätzliche Zufuhr von Nährstoffen aus den inzwischen verwesten Überresten der toten Rothirsche zurück.
Wer zieht noch alles alles Nutzen aus den toten Tieren?
Zu den Profiteuren dieser Nährstoffschwemme gehören auch die Krause Ringdistel, die Wegrauke und der Breitwegerich. "Dass Tierkadaver für Aasfresser wichtig sind, überrascht zunächst wenig", sagt Roel van Klink. Dass sie allerdings noch nach fünf Monaten einen solch großen Einfluss auf die gesamte Nahrungskette vor Ort haben, sogar auf ohnehin so nährstoffreichen Böden wie in den Niederlanden - das hätte er nicht erwartet.
Nun könnten sich die Wissenschaftler mit der Studie an die EU wenden. Nur ist das nicht ganz so einfach, meint Roel van Klink weiter, denn die EU-Gesetze zur Kadaverbeseitigung gibt es aus tiermedizinischen Gründen:
Viele Tiere, die im Wald oder in Naturschutzgebieten sterben, waren krank. Es gibt natürlich die Gefahr, dass Aasfresser wie Ratten oder Vögel Krankheiten verbreiten.
Hinzu kommt, dass der Anblick toter Tiere in der Natur zu einem gesellschaftlichen Tabu geworden ist. Verwesende Tierkadaver vermiesen einem den romantischen Waldspaziergang. Die Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung schlagen daher einen Kompromiss vor: Angesichts der großen Bedeutung für die Ökosysteme und die Biodiversität könnten gesund verstorbene Tiere zumindest dort liegen bleiben, wo normalerweise kein Mensch hinkommt.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 30. Januar 2020 | 06:50 Uhr
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