Datenprojekt Vom Schüler- zum Lehrermangel
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11. November 2019, 07:00 Uhr
In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen fehlen Lehrer. Kein Wunder, meinen viele Menschen, denn nach der Wende sind ja auch zahlreiche Schulen geschlossen worden. Der demografische Wandel war und ist in aller Munde. Aber was ist dran an den gefühlten Wahrheiten in Sachen Schulentwicklung? Antworten liefert eine Auswertung von Daten der Statistischen Landesämter.
Mit Blick auf die offiziellen Zahlen ist Fakt: Die Anzahl der Schulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist seit der Wende deutlich gesunken – ebenso deutlich, wie auch die der Schüler zurückgegangen ist: Insgesamt 41 Prozent der allgemeinbildenden Schulen wurden seit Anfang der 90er-Jahre in allen drei Bundesländern geschlossen. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Zahl der Schüler um 44 Prozent. Das hat eine Auswertung entsprechender Daten der Statistischen Ämter von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ergeben. Die Zahl der Lehrer ging ebenfalls zurück - in Sachsen um 25 Prozent, in Sachsen-Anhalt um 46 Prozent und in Thüringen um 47 Prozent.
Wie sich Stadt und Land unterscheiden
Stadt und Land unterscheiden sich beim Thema Schulschließungen voneinander. Während etwa in den großen, urbanen Zentren in Sachsen weniger Schulen dichtgemacht wurden, waren es in den Landkreisen viel mehr. So wurde zum Beispiel im Landkreis Görlitz fast jede zweite Schule geschlossen. In der Stadt Dresden dagegen hat dieses Schicksal mit rund 15 Prozent aller Schulen viel weniger Einrichtungen getroffen.
Aber warum mussten so viele Schulen schließen? Die Schließungen waren Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung: Der demografische Wandel sorgte nach der Wende für anhaltend sinkende Schülerzahlen. Gab es im Schuljahr 1992/93 in allen drei Bundesländern insgesamt über 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche in den Schulen (genau: 1.356.115), waren es 2018/19 fast 600.000 weniger. Seit einem Tiefpunkt im Schuljahr 2009/10 steigen die Schülerzahlen aber wieder.
Geburtenknick und Landflucht
Ein Grund für die Entwicklung in der Schullandschaft: Unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung hat es einen Geburtenknick gegeben. Lag die Geburtenrate in Ostdeutschland 1990 noch bei durchschnittlich 1,52 Kindern pro Frau, so sank sie laut Statistischem Bundesamt schon ein Jahr später auf unter ein Kind pro Frau. Offenbar warteten Frauen und Männer in den Nachwendejahren angesichts neuer Lebensumstände, Jobverlusten und Kurzarbeit erst einmal ab. Weitere Gründe für die sinkenden Schülerzahlen im Osten und im ländlichen Raum: Landflucht und Abwanderung vor allem junger, gut Gebildeter in den Westen.
Eine Folge: Lange Schulwege
Die Schulen leerten sich Anfang der 1990er Jahre und wurden schließlich geschlossen. Allein in Sachsen-Anhalt machten 47 Prozent aller öffentlichen Schulen seit dem Schuljahr 1991/92 dicht. Eine Folge dieses Schulsterbens waren lange Schulwege für die Kinder aus den betroffenen Gemeinden. In dem dünn besiedelten Flächenland werden laut Landatlas vom Thünen-Institut in Mitteldeutschland auf Landkreisebene ohnehin die längsten Anfahrten mit dem Pkw zu Grundschulen verzeichnet.
Von diesem Problem zeugen auch die sogenannten Richtwerte der Landkreise zu Schulwegezeiten, den Schulträgern. Sie erlauben je nach Schulart bis zu maximal 90 Minuten Fahrzeit bis zur Schule. Dabei ist der Fußweg hin zum Bus oder zur Bahn aber noch gar nicht mitgerechnet. Nach einer Erhebung des Bildungsministeriums aus dem Schuljahr 2014/15 blieb in jenem Schuljahr die Mehrzahl der Kinder zwar deutlich unterhalb dieser Grenzwerte, einige wenige aber waren sogar 75 Minuten und mehr unterwegs - pro Richtung. Mit allen negativen Folgen, die das mit sich bringt.
Zahl der Lehrer fast halbiert - eine Folge: Lehrermangel
Analog zu den Schüler- und Schulzahlen sank seit der Wiedervereinigung auch in allen drei Bundesländern die Zahl der Lehrer. Jahrzehntelang wurden kaum Lehrer eingestellt, alte Stellen nicht nachbesetzt, Lehrer wurden nicht mehr verbeamtet, der Beruf verlor an Attraktivität. Inzwischen gehen viele Lehrer in Rente oder stehen kurz davor.
In Thüringen, dem Land mit dem höchsten prozentualen Rückgang bei den Lehrkräften in Mitteldeutschland, muss das Bildungsministerium inzwischen einräumen, dass trotz der Neueinstellungen in diesem Jahr der Unterricht nicht in jeder Schule abgesichert sein wird. Der Thüringer Lehrerverband beklagte zuletzt sogar einen Unterrichtsnotstand in Ostthüringen.
Sachsen senkt die Unterrichtstunden
Mit dem Problem des Lehrermangels ist Thüringen nicht allein. Auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt fallen schon seit Jahren Schulstunden aus, weil es nicht genug Lehrkräfte gibt. Zuletzt wurde in Sachsen kurzerhand die Stundentafel gekürzt – also die Stundenzahl, die in den einzelnen Jahrgangsstufen für jedes unterrichtete Fach zur Verfügung steht. Damit haben die Schüler seit August 2019 weniger Unterricht. So müssen nach Angaben der GEW Sachsen mehrere hundert Lehrerstellen nicht neu besetzt werden. Und trotzdem musste das Bildungsministerium Probleme mit der Lehrerversorgung vor allem an Grundschulen in Ostsachsen sowie an Oberschulen in der Chemnitzer Region und im Erzgebirge einräumen.
In Sachsen-Anhalt warnte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dass es wegen des Lehrermangels mit der Unterrichtsversorgung weiter bergab geht. GEW-Landeschefin Eva Gerth sagte zu den jüngsten Einstellungszahlen, sie ließen befürchten, dass nur etwa 96 Prozent des Unterrichts personell abgedeckt seien. Mit jedem Krankheitsfall und jeder Schwangerschaft werde der Wert weiter sinken.
Wieder mehr Schüler erfordern neue Schulen
Seit dem Schuljahr 2009/2010 steigen die Schülerzahlen in allen drei Bundesländern wieder an. Damals wurde ein Tiefstand von 646.236 Kindern und Jugendlichen erreicht. Zum Vergleich: Die Schülerzahlen lagen im Schuljahr 1994/1995 mit 1.386.615 Personen auf dem Höchststand. Ihre Anzahl hat sich also mehr als halbiert.
Mittlerweile sieht die Situation wieder besser aus: Im Schuljahr 2018/2019 kommen auf die drei Bundesländer 763.918 Schüler. Damit haben sich auch die Klassenstärken wieder leicht erhöht. Durchschnittlich bestand beispielsweise in Thüringen im Schuljahr 2018/2019 eine Klasse aus 20,2 Schülern. Im Schuljahr 2009/2010 waren es noch zwei Schüler weniger. In Sachsen stieg die Klassenstärke im gleichen Zeitraum ebenfalls um zwei Schüler von 20,5 Schülern (2009/2010) auf 22,4 Schüler (2018/2019) an.
Insbesondere die Großstädte verzeichnen starke Zuwächse. In Leipzig stieg die Schüleranzahl allein in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent - also um ein Fünftel. Hier fehlen teilweise Schulplätze. Die Folge: Volle Klassenzimmer, Containerschulen als Ausweichquartiere und es werden wieder Schulen gebaut – sowohl in Leipzig als auch in Dresen, Erfurt, Chemnitz und Magdeburg. Für die kommenden Jahre sind trotz klammer Kassen und Baulandmangel mehrere hundert Millionen Euro für den Schulneubau eingeplant.
Quellen
Landesämter für Statistik Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
Antwort der Landesregierung [Sachsen-Anhalt] auf eine Kleine Anfrage, Drucksache 7/1148, 17.03.2017
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