In der Mitte dieses Bildes, aufgenommen mit dem NASA/ESA Hubble Weltraumteleskop, befindet sich der Galaxienhaufen SDSS J1038+4849. In diesem speziellen Fall vom Gravitationslinsen-Effekt entsteht durch die Lichtbeugung ein Ring - der so genannte Einstein-Ring. Der Ring zeigt ein verzerrtes Bild einer Galaxie, die weit hinter der im Vordergrund befindlichen Galaxie liegt, die wie ein lächelndes Gesicht aussieht.
In der Mitte dieses Bildes, aufgenommen mit dem Nasa/Esa Hubble Weltraumteleskop, befindet sich der Galaxienhaufen SDSS J1038+4849. In diesem speziellen Fall vom Gravitationslinsen-Effekt entsteht durch die Lichtbeugung ein Ring - der sogenannte Einstein-Ring. Der Ring zeigt ein verzerrtes Bild einer Galaxie, die weit hinter der im Vordergrund befindlichen Galaxie liegt, was zusammen wie ein lächelndes Gesicht wirkt. Bildrechte: Nasa, Esa

Astrophysik Dunkle Materie: Neues von der Suche nach der geheimnisvollsten Substanz im Universum

29. April 2023, 12:00 Uhr

Gibt es sie oder gibt es sie nicht? Die dunkle Materie ist wohl die mysteriöseste Substanz in unserem Universum. Ohne sie würden Galaxien auseinanderfliegen. Sie ist der Kleber, der alles zusammenhält und doch bleibt sie eine Theorie. Sie ist ein Rätsel, das Forschende wie Detektive versuchen zu lösen. Dabei ist vor allem eine Fragestellung wichtig: Wie kann man dunkle Materie finden und damit beweisen?

Unser Universum ist schon ein rätselhaftes Gebilde. Wir wissen weder, ob es flach ist oder ob es die Form einer Kugel hat, da wir nur einen bestimmten Bereich – das sichtbare Universum – einsehen können. Wie groß der Weltraum hinter dieser Grenze ist, können wir nur vermuten. Wir verstehen zwar ansatzweise, wie Planeten und Sterne entstehen, doch warum Planetensysteme nicht aus ihren Galaxien geschleudert werden, können wir nicht beantworten. 

Eine schematische Aufstellung von möglichen Formen des Universums: Kugeloberfläche, hyberbolische Geometrie und ein flaches Universum.
Eine schematische Aufstellung von möglichen Formen des Universums: Kugeloberfläche, hyberbolische Geometrie und ein flaches Universum. Bildrechte: MDR, J. Strippentow

Zumindest haben wir eine Theorie: Es gibt eine unsichtbare Substanz, die alles zusammenhält. Physikerinnen und Astronomen nennen sie die dunkle Materie. Dunkel, weil wir sie nicht sehen können. Sie gibt kein Licht ab, absorbiert es nicht und reflektiert es nicht einmal. Dennoch befindet sie sich überall und auch wenn es schwer vorstellbar ist: Alles, was wir sehen, jedes Staubkorn, jeder Planet und jede Sonne, all das macht nur knapp ein Prozent des gesamten Universums aus

Dunkle Materie kann als der Klebstoff aller Galaxien bezeichnet werden. Ihre Gravitationskraft hält die sichtbaren Galaxien zusammen – zumindest theoretisch. Denn noch konnten Forschende die dunkle Materie nicht nachweisen und alle Laborversuche sind bisher gescheitert. Sie ist lediglich eine Theorie, ein Platzhalter im Standardmodell der Kosmologie. Jenes Modell, das erklärt, wie die Welt und unser Universum aufgebaut ist. 

Dunkle Materie: das Etwas, das alles umgibt 

"Dunkle Materie ist im Prinzip etwas, das sich zwischen den Sternen befindet und für richtig viel Masse sorgt. Wenn man die Sterne vermisst, bekommt man ungefähr raus, wie schwer sie sind", erklärte Dirk Schlesier MDR WISSEN im Interview. Er ist der Leiter des neu eröffneten Planetariums in Halle. Durch diese Vermessung können Astronomen und Astronominnen auch die Masse von ganzen Galaxien bestimmen. Jedoch gibt es ein Problem: "Die Messungen widersprechen im Prinzip der Anzahl der Sterne. Da muss es also noch etwas anderes geben, das man vielleicht nicht sieht", sagt Schlesier. Damit meint er die dunkle Materie. 

Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. 9 min
Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. Bildrechte: MDR, Planetarium Halle/Dirk Schlesier, Nasa, SpaceX

Um das Rätsel zu lüften, soll noch in 2023 das Weltraumteleskop Euclid in den Orbit gebracht werden. Mit ihm soll eine gigantische 3D-Karte erstellt werden, die ein Drittel des Himmels ablichten soll – Milliarden von Galaxien, die sich in einer Entfernung von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren befinden. Die Forschenden wollen mit diesem Teleskop zeigen, wie sich das dunkle Universum entwickelt hat. 

Neben der dunklen Materie gibt es noch die dunkle Energie, die wir hier nur am Rande erwähnen. Sie wurde ebenfalls noch nicht nachgewiesen und ist lediglich ein weiterer Platzhalter im Standardmodell. Die dunkle Energie soll für die Expansion des Universums verantwortlich sein.

Die Suche nach dem Unsichtbaren

Doch wie kann man etwas finden, dass es vielleicht gar nicht gibt? In der Astronomie ist klar, dass es etwas geben muss, das unsere Galaxien zusammenhält. Denn nur so kann die Bewegung der sichtbaren Materie erklärt werden. Die dunkle Materie ist derzeit die einfachste Erklärung dafür – und gilt damit in der Wissenschaft als die wahrscheinlichste.

Die dunkle Materie scheint etwa 85 Prozent der Masse des Universums auszumachen, und die meisten der weit entfernten Galaxien, die Forschende sehen können, scheinen von einem Halo aus dieser geheimnisvollen Substanz umgeben zu sein. Bei einem Halo handelt es sich um einen kugelförmigen Bereich, in den die Galaxie eingebettet ist. Dieser Bereich ist viel größer als die eigentliche Galaxie. Zudem steht die dunkle Materie in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung.

Der Weg zur Entdeckung der dunklen Materie könnte nun einen Schritt weiter sein. Denn Alfred Amruth von der Universität Hongkong und seine Kollegen haben bei ihren Untersuchungen herausgefunden, dass sich die unsichtbare dunkle Substanz nicht wie diskrete Teilchen verhält, sondern wellenartig zu sein scheint. 

Die hypothetische Erklärung für die dunkle Materie

Für den Hauptbestandteil dieser unsichtbaren, dunklen Materie scheint es besonders zwei sehr widersprüchliche, aber vielversprechende Kandidaten zu geben: Die relativ schweren Wimps (Weakly Interacting Massive Particle, dt. schwach wechselwirkendes massives Teilchen) und die extrem leichten Axionen, beides bisher unbewiesene hypothetische Teilchen. 

Die exotischen Axionen sollen um die 100 Milliarden mal leichter als Elektronen sein. Selbst Neutrinos (extrem leichte, elektrisch neutrale und schwach wechselwirkende Elementarteilchen) wären gegen sie ein Schwergewicht – dennoch besitzen sie einen Hauch von Masse, so beschrieb es 1983 zumindest der theoretische Physiker Pierre Sikivie. Um durch sie die dunkle Materie zu erklären, müsste es Myriaden (eine unzählbare Menge) von ihnen geben. Sie besitzen weder einen Eigendrehimpuls (Spin) noch elektrische Ladung. Trotzdem könnten sie elektrisch wechselwirken.

Simulierte Ränder der Einstein-Ringe im WIMP-Modell (links) und im Wellenmodell (mitte u. rechts) der Dunklen Materie.
Simulierte Ränder der Einstein-Ringe im WIMP-Modell (links) und im Wellenmodell (mitte u. rechts) der Dunklen Materie. Bildrechte: Amruth et al. 2023, Nature Astronomy

Das Wimp ist ein schwach wechselwirkendes, aber massereiches Teilchen – mindestens so massereich wie ein Wasserstoff-Atomkern, vielleicht sogar 1000-mal schwerer. Die Eigenschaften der Wimps ähneln denen eines Neutrinos (elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr geringer Masse). Sie treten jedoch nur sehr selten mit anderen Teilchen in Wechselwirkung, was es schwer macht, sie aufzuspüren. 

Einstein-Ringe zeigen: Dunkle Materie verhält sich eher wie eine Welle, nicht wie ein Teilchen

In der Theorie verhalten sich Wimps wie diskrete Teilchen und Axionen wie Wellen, erklären die Forschenden. Bisher war es schwierig, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden. Doch dank des Gravitationslinsen-Effektes konnte das Forschungsteam darauf schließen, dass der Hauptbestandteil der dunklen Materie vermutlich aus den wellenartigen Axionen besteht.

Da massereiche Objekte den Raum und die Zeit um sich herum krümmen, wird auch der Weg des Lichtes gekrümmt. So kann es sein, dass wir von der Erde aus gesehen ein kleines Sternsystem erkennen können, das sonst hinter einer großen Galaxie verborgen bliebe. Dahinter liegende Galaxien erscheinen für uns dann als verzerrtes Bild. Und wenn die Dinge perfekt zusammenpassen, so das Team, wird das Licht der Hintergrundgalaxie zu einem Kreis um die nähere Galaxie verschmiert: einem Einstein-Ring.

Schematische Darstellung: Entstehung eines kompletten Einstein-Rings (a) und zweier verzerrter Bilder (b) eines entfernten Objekts durch eine als Gravitationslinse wirkende Vordergrundgalaxie. Das einem Beobachter auf der Erde erscheinende Bild ist orange eingezeichnet.
Schematische Darstellung: Entstehung eines kompletten Einstein-Rings (a) und zweier verzerrter Bilder (b) eines entfernten Objekts durch eine als Gravitationslinse wirkende Vordergrundgalaxie. Das einem Beobachter auf der Erde erscheinende Bild ist orange eingezeichnet. Bildrechte: Nasa, Wikipedia

Amruth und sein Team untersuchten verschiedene Systeme, in denen mehrere Kopien desselben Hintergrundobjekts um die linsenförmige Galaxie im Vordergrund zu sehen waren. Dann berechneten Sie mit ihrem Modell, wie sich das Bild verzerren müsste, wenn die dunkle Materie aus Wimps oder Axionen bestehe. 

Das Wimp-Modell hatte kaum Übereinstimmungen mit den tatsächlichen Aufnahmen. Anders beim Axion-Modell: Dieses gab alle Merkmale des Systems genau wieder. Weitere Untersuchungen müssen zwar noch folgen, aber vielleicht bewegt diese Entdeckung die Forschungsgemeinde dazu, sich bei ihrer Suche mehr auf die hypothetischen Axionen zu konzentrieren als den Fokus zu stark auf die Wimp-Teilchen zu legen. 

Das Geheimnis der mysteriösesten Substanz unseres Universums ist noch nicht gelüftet, aber vielleicht kommen wir der Lösung in diesem interplanetaren Irrgarten allmählich einen Schritt näher. 

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