Einzigartige Applikation Leipziger Forscherinnen schaffen digitalen Stein von Rosette
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28. November 2019, 11:36 Uhr
Leipziger Wissenschaftlerinnen haben ein digitales Abbild des weltberühmten Steins von Rosette geschaffen. Mit der Applikation ist es jedermann möglich, den dreisprachigen Text des altägyptischen Monuments per Mausklick zu übersetzen. Das Tool erleichtert auch das Erlernen alter Sprachen.
Haben Sie sich jemals gefragt, wie es den Wissenschaftlern der Neuzeit gelingen konnte, die Hieroglyphen und die ausgestorbenen Sprachen der alten Ägypter zu entziffern?
Wer die Frage beantworten will, kommt nicht am Stein von Rosette (französisch) oder Rosetta (englisch) vorbei: Jedes Jahr besuchen mehr als sechs Millionen Menschen aus der ganzen Welt das British Museum in London, um das Bruchstück einer ursprünglich höheren altägyptischen Stele hinter Panzerglas zu bestaunen. Was die Rosetta-"Pilger" zu sehen bekommen, ist ein rund 1,12 Meter hoher, knapp 76 Zentimeter breiter, gut 28 Zentimeter tiefer und 762 Kilogramm schwerer Brocken aus dunkelgrauem Granodiorit.
Inschrift in drei Sprachen
Klingt erstmal nicht besonders spektakulär. Doch was den Stein von Rosette so einzigartig macht, ist seine dreisprachige Inschrift: in ägyptischen Hieroglyphen, in Demotisch - einer zwischen dem 7. Jahrhundert vor Christus und dem 5. Jahrhundert nach Christus gesprochenen Sprachstufe des Ägyptischen - und in Altgriechisch, der Sprache der damals über Ägypten herrschenden Ptolemäer-Könige. Letztere stammten von einem General Alexanders des Großen (356-323 v.Chr.) ab. Es war ganz maßgeblich diese dreisprachige Inschrift, die es dem französischen Sprachwissenschaftler Jean-François Champollion (1790-1832) im Jahr 1822 ermöglichte, die demotische Schrift und die Hieroglyphen der alten Ägypter zu entziffern.
Stein von Rosette Der Stein von Rosette wurde 1799 während der Ägypten-Expedition Napoleons nahe der Stadt Rašīd (französisch: Rosette) im Nildelta von einem französischen Offizier entdeckt. Einer Version zufolge soll der Stein beim Abbruch eines Festungswalls gefunden worden sein. Seine aus dem Jahr 196 v. Chr. stammende dreisprachige Inschrift ehrt den Pharao Ptolemaios V. Nach der Niederlage des französischen Expeditionskorps geriet der Stein zusammen mit anderen Altertümern in den Besitz der Briten, die ihn 1802 nach London brachten.
"Wichtiges Monument der Menschheitsgeschichte"
Der Stein von Rosette ist vor allem aus diesem Grunde das, was die Leipziger Ägyptologin Dr. Franziska Naether als ein "ganz wichtiges Monument der Menschheitsgeschichte" bezeichnet. Und Naether muss es wissen. Die Expertin für Papyri in demotischer Schrift gehört gewissermaßen zu Champollions Erben. Doch auch fast 200 Jahre nach dem großen Wurf des Franzosen sind noch immer zahlreiche Fragen zu den Sprachen und Schriften der alten Ägypter offen. In den Archiven und Museen der Welt lagern immer noch zigtausende Papyri und Stelen, die auf eine Entzifferung warten. Und immer noch wird ständig neues Material entdeckt. Das mediale Interesse ist riesig.
Keine Zeit für alte Sprachen
Die Kenntnis der altägyptischen Sprachen und Schriften allein reicht jedoch nicht aus, um dieses Material zu erforschen, erklärt Naether. Vor allem bei ägyptischem Schriftgut aus griechisch-römischer Zeit seien solide Sprachkenntnisse in Altgriechisch und Latein mindestens genauso wichtig. Und genau hier liegt das Problem. Denn die heutigen Bachelor- und Master-Studiengänge lassen den angehenden Wissenschaftlern kaum noch Zeit, neben den obligatorischen altägyptischen Sprachen auch noch Altgriechisch und Latein im notwendigen Maße zu erlernen. In der Praxis führt das schließlich dazu, dass Experten für eine Sprache oftmals auf die Expertisen von Kennern der anderen Sprache angewiesen sind. Das macht das wissenschaftliche Arbeiten nicht gerade einfach.
"Moderne digitale Präsentation"
An diesem Manko wollten Naether und ihre Kollegin Dr. Monika Berti, die sich an der Fakultät für Informatik der Universität Leipzig mit der Digitalisierung antiker Texte beschäftigt, etwas ändern. Dabei stießen die beiden Wissenschaftlerinnen unweigerlich auf den Stein von Rosette.
Berti - Expertin für Altgriechisch - und Naether - Expertin für Demotisch - fassten dabei den Entschluss, das ganze Monument mit seinen drei Sprachen "in den Blick zu nehmen". Ziel sei es gewesen, eine "moderne digitale Präsentation des Ganzen zu erarbeiten". Diese sollte sowohl für Forschung und Lehre als auch zur Wissensvermittlung für die Allgemeinheit genutzt werden können. Es sei darum gegangen, Techniken zu entwickeln, mit denen man die antiken Sprachen besser nachvollziehen könne, so Naether. Geboren war das "Digital Rosetta Stone Project" der Universität Leipzig, dessen Resultate nach zwei Jahren Arbeit nun für jedermann online verfügbar sind.
Digitaler Stein zeigt Übersetzungen an
Das Ergebnis ist eine Website, in deren Mittelpunkt tatsächlich ein digitaler Stein von Rosette steht. Der Clou dabei: Der Nutzer kann auf jede einzelne Zeile der Visualisierung klicken und sich die Übersetzung der Textpassagen in allen drei Sprachen des Steins sowie im Englischen und Deutschen anzeigen lassen. Ermöglicht wird dies durch die Verknüpfung der Applikation mit dem Alignment-Programm Ugarit des Leipziger Informatikers Tariq Yousef, das die Entsprechungen von Wörtern und Wortgruppen darstellt. Die neu entwickelten Techniken ermöglichen es dem Nutzer - ähnlich wie herkömmliche Sprachen-Apps für Tablet und Handy –, antike Sprachen, deren Vokabeln und ihre Grammatik besser nachzuvollziehen und auf eine spielerische Weise zu erlernen.
Verbesserungen nach 200 Jahren
Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Stein von Rosette und seinen Texten gelang es den Leipziger Wissenschaftlerinnen nach Angaben von Naether sogar "noch kleine Dinge in der Lesung des Steins" zu verbessern. Und das immerhin nach 200 Jahren, in denen man glaubte, jede Nuance des Monuments erschlossen zu haben.
Champollion hätte seine Freude
Champollion jedenfalls hätte wohl seine wahre Freude an dem neuen App-Tool aus Leipzig gehabt. Der Franzose selbst konnte die Hieroglyphen und die demotische Schrift 1822 lediglich anhand einer Abschrift des Steins von Rosette entziffern. Das Original in London bekam er nie zu Gesicht. Zur Erinnerung an die widrigen Umstände seiner bahnbrechenden Entdeckung, ließ seine Heimatstadt Figeac im 20. Jahrhundert eine stark vergrößerte Nachbildung des Steins von Rosette auf einem Platz anlegen.
Erstes digitales 3D-Abbild des Steins von Rosette
Den Ägyptologen und Sprachwissenschaftlern von heute stehen durch das "Digital Rosetta Stone Project" im Vergleich dazu ideale Bedingungen zur Verfügung. Allerdings hatten auch Naether und Berti das eine oder andere Problem zu lösen. So besaß das British Museum in London – man glaubt es kaum – noch keine dem heutigen technischen Stand entsprechende hochauflösende, digitale, dreidimensionale Abbildung des Steins von Rosette. Mithilfe von Experten der Universität Florida erstellten die Leipziger Wissenschaftlerinnen in London ein entsprechendes 3D-Bild, dass sie für die Visualisierung des Steins auf ihrer Website benötigten.
Weltweit einzigartige Applikation
Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit der Leipziger Wissenschaftlerinnen und ihrer Kollegen ist eine weltweit einzigartige Applikation. Zu bestaunen ist ein Stück vom kulturellen Erbe der Menschheit, für jedermann zugänglich, Open Source. Und das weltweit – also auch an Orten, wo es keine riesigen Bibliotheken für viele teure Bücher gibt. Das gilt auch für Ägypten, von wo der Stein von Rosette 1802 nach Großbritannien kam. Über 200 Jahre später kehrt er nun auch in seine Heimat am Nil zurück - zumindest digital. Durch ein Projekt von Wissenschaftlerinnen der Universität Leipzig.
Projektpartner Weitere Projektpartner vom "The Digital Rosetta Stone Project" der Universität Leipzig sind: das British Museum London, die Universität Florida sowie die Humboldt-Universität Berlin
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