Beispiel Dresden Wie Corona und Klimawandel die Stadtplanung ändern
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10. September 2020, 14:10 Uhr
Passt unsere Städtearchitektur noch zu unserem Leben? Wie wird sich das Gesicht der Innenstädte durch die Corona-Krise ändern? Wie müssen Flächen genutzt werden, wenn immer mehr Leute im Homeoffice arbeiten?
Die Prager Straße in Dresden als zentrale Achse zwischen Altmarkt und Hauptbahnhof: Einst ein Prachtboulevard, nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg dann auferstanden als sozialistische Vorzeigestraße. Heute ist sie eine Einkaufsmeile. Doch wie sieht ihre Zukunft aus? Das fragen wir Angela Mensing-de Jong, Architektin und Wissenschaftlerin. Die Professorin für Städtebau forscht und lehrt an der TU Dresden.
Die Prager Straße ist wirklich ein sehr gutes Beispiel für die moderne Stadtplanung. Und trotzdem wurde der Raum häufig kritisiert. Einzelhandelsfachleute sagen auch, er ist als Konsumadresse schlecht, weil er einfach zu weit ist und die Grünräume eine Barriere darstellen und man entweder auf der einen oder anderen Seite läuft. Es gibt also eine Eins-a- und eine Eins-b-Lage.
Breiter Boulevard schafft Platz für Abstand
In Zeiten der Pandemie aber zahlt sich Weitläufigkeit aus. Abstand halten ist auf der Prager Straße kein Problem. Trotzdem gibt es Probleme: Bundesweit waren schon vor Corona für viele Gastronomen und Einzelhändler die goldenen Zeiten vorbei. Die Krise könnte nun zur Verödung von Innenstädten führen. So rechnen Experten ab Herbst 2020 mit einer regelrechten Leerstandswelle, nicht allein infolge von Insolvenzen, sondern auch aufgrund neuer Verkaufsstrategien, sagt die Dresdener Wissenschaftlerin.
Ich denke, dass einige Geschäfte den Online-Handel so weit für sich entdeckt und perfektioniert haben, dass man sich vorstellen kann, dass sie ganz ohne Ladenflächen auskommen. Oder vielleicht mit sehr viel geringeren Flächen, wo sie einige Produkte zeigen und über Personal dann die Internetseite vorstellen und eine gewisse Beratung anbieten, aber lange nicht mehr das ganze Sortiment zeigen.
Angela Mensing-de Jong erwartet auch, dass Bürogebäude zunehmend verwaisen. Setzt sich Homeoffice dauerhaft durch, kämen einige Unternehmen mit einem Drittel ihrer bisherigen Fläche aus. So entsteht unverhofft Raum für Neues, führt die Diplom-Ingenieurin aus:
Ganz klar ist, dass die Mieten dort, wo der Leerstand hoch ist, sinken werden. Da habe ich dann auf einmal Platz für andere Nutzungen. Zum Beispiel für das Wohnen, denn wenn wir zu Hause arbeiten, müssen sich unsere Wohnungsgrundrisse verändern.
Wie kommen Stadtbewohner auf den "grünen Zweig"?
Mit veränderten Grundrissen aber ist es nicht getan: Die Innenstadt, traditionell eher ein Ort des Konsums, der Arbeit, aber auch des Tourismus‘, muss nach Ansicht von Umweltwissenschaftlern wohnlicher werden. Voraussetzung dafür: Ein attraktives Umfeld. Denn wer im Zentrum lebt, will nicht nur kulturell versorgt sein. Steintapeten, Lärm, Abgase – all das wirkt wenig heimelig. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung in Dresden haben mit Partnern deshalb die App "Mein Grün" entwickelt. Sie hilft Stadtbewohnern, doch noch auf einen grünen Zweig zu kommen und nahe gelegene Grünflächen zu finden. Kartograf Robert Hecht vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung erklärt, wie die App funktioniert:
Man kann nach Begriffen suchen, die einem einfallen. Man kann auch direkt nach Aktivitäten suchen, beispielsweise 'Frisbee spielen', 'Spielplatz gehen', 'spazieren gehen'. Man kann aber auch ganz konkret nach Eigenschaften fragen, also Kriterien: 'Ich möchte Schatten.' 'Ich möchte Parkbänke haben.' 'Ich möchte es dort besonders ruhig haben.' Wir haben da etwa 38 Indikatoren implementiert und 20 verschiedene Aktivitäten.
So können alle das Fleckchen Natur entdecken, das zu ihren Bedürfnissen passt – vorerst in den Pilotstädten Dresden und Heidelberg. Ein Ort, der zum Beispiel für Dresden aufgeführt ist, ist der Beutlerpark, südöstlich des Dresdner Hauptbahnhofs. Aus Sicht der Forscher des Leibniz-Instituts sind solche kleinen Oasen lebenswichtig für das psychische Wohlbefinden, besonders in Zeiten von Corona und Homeoffice. Ein Wermutstropfen: Die grünen Inseln sind nicht für alle schnell erreichbar, wie Patrycia Brzoska, Geografin am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, weiß:
Wir haben herausgefunden, dass in den deutschen Mittel- und Großstädten etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung keinen richtigen Zugang zu Grünflächen haben, die sich unmittelbar in ihrer Wohnumgebung befinden, also vor allem fußläufig in fünf Minuten zu erreichen sind.
Leerstand kann auch Chancen bieten
Aus Sicht der Wissenschaft müssen Innenstädte also grüner werden und das Angebot in den Fußgängerzonen individueller – nicht so austauschbar. Angela Mensing-de Jong sieht in dem zunehmenden Leerstand auch Chancen, sowohl in Erdgeschosszonen als auch in Bürobereichen. Die Möglichkeiten für Mischung könnten wachsen:
Dass wir nicht reine Wohnbereiche haben, wo auch im Erdgeschoss gewohnt wird, sondern auch dass die Produktion teilweise in die Städte zurückkommt. Wenn, wie gesagt, Flächen verfügbar sind, die günstiger sind, können hier ganz neue und vielleicht auch ganz spannende, kreative Milieus entstehen.
Damit aus dem Leerstand kein Notstand wird, müssen Stadtzentren und ihre Einkaufsmeilen also bunter werden: Raum bieten für Gastronomie, Handel, Arbeit und Produktion, Wohnen, Begegnung, Kultur, Freizeit und Erholung im Grünen.
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