Technologie Die Kontaktlinse, die mitdenkt
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10. Dezember 2019, 10:23 Uhr
Smartphones und -watches könnten möglicherweise bald so antiquiert wirken, wie ein Rechenschieber: In Südkorea gibt es Fortschritte bei smarten Kontaktlinsen, die virtuelle und reale Welt endgültig verschmelzen lassen.
Vielleicht nennen wir das ausklingende Jahrzehnt in den Geschichtsbüchern (bzw. Geschichts-E-Books) irgendwann einmal das Smarte Jahrzehnt. Oder es sind die Jahre des Smartismus. Zumindest hat dieses Wörtchen unser Verständnis von technischem Fortschritt ziemlich im Griff. Erst wurden Handys smart, also schlau. Es folgten Fernseher, Uhren, Kaffeemaschinen, Kleidung. Nur die Computer-Brillen sind noch nicht so richtig aus dem Knick und beim Endverbraucher angekommen: Googles zunächst vielversprechendes Projekt Glass wird vorerst nicht mehr an Privatpersonen verkauft, gilt auch firmenintern als Flop und ist nur noch in einer Variante für Geschäftskunden erhältlich.
Bislang ein Flop: smarte Brillen
Im Grunde muss sich Google bezüglich der schlauen Brille auch gar nicht mehr ins Zeug legen, denn schon der nächste smarte Meilenstein steht in den Startlöchern: Kontaktlinsen. Im Fachmagazin Science Advance wird das Smart noch vorsichtig in Anführungszeichen geschrieben - vielleicht, um die Euphorie zu dämpfen. Aber das, was das Team um Jang-Ung Park von der Yonsei-Universität in Südkorea dort veröffentlicht, klingt vielversprechend: Erste Tests haben gezeigt, dass die Kontaktlinsen nicht nur bei Versuchskaninchen (die Tiere sind gemeint), sondern auch beim Menschen keine nennenswerten Beeinträchtigungen verursacht haben.
Was soll bei Kontaktlinsen auch groß schiefgehen? Eine Menge! Erste Versuche scheiterten daran, dass sie für den Nutzer einfach nicht bequem zu tragen waren. Zu steif, zu groß, zu viel Wärmeentwicklung aufgrund konventioneller Batterien. Vor allem die sind der Knackpunkt und scheinen durch eine spezielle Technologie nun deutlich fortgeschritten zu sein. Mittels Direct Ink Writing bzw. Robocasting – hier wird eine Form durch Paste-Schichten aufgetragen – konnte das Team aus Südkorea einen Superkondensator entwickeln, der die Energie speichert und drahtlos aufgeladen werden kann.
Der Kurzfilm Sight sorgte 2012 für Aufsehen – diese Realität ist jetzt etwas näher gerückt:
Die erweiterte Wirklichkeit für Pokémon & Co.
Bei der smarten Kontaktlinse geht es weniger darum, eine bequeme Alternative zum Smarphone anzubieten, als vielmehr, den menschlichen Körper digital zu erweitern. Die Linsen könnten die Augenflüssigkeit und damit Gesundheitswerte überwachen, Medikamente verabreichen oder eben schlicht Augmented Reality (AR) liefern, erweiterte Realität. Eine Schlüsselrolle solcher Linsen, denn viele Smartphone-Nutzer haben bereits jetzt mit AR zu tun und sei es, Pokémon in einer Seitengasse aufzusammeln oder sich vor dem Möbelhausbesuch den Sessel schon einmal virtuell ins Wohnzimmer zu stellen. Die softwareseitige Verbesserung läuft auf Hochtouren: Beim jüngsten großen Update des mobilen Betriebssystems iOS posaunte Hersteller Apple voller Stolz: Jetzt lassen sich nicht nur virtuelle Objekte platzieren, das System erkennt auch, wenn Menschen davor rumwuseln.
Kleiner Unterschied: AR vs. VR
Unter Augmented Reality, AR, versteht man eine Erweiterung des Sichtfelds um digitale Informationen. Virtual Reality, VR, stellt eine komplette virtuelle Realität ins Sichtfeld, in der man sich bewegen kann. Eine Überlagerung mit dem echten Sichtfeld, wie bei AR; findet hier nicht statt.
Kontaktlinsen: Dicht dran am Gehirn
Das verleiht der Augmented Reality natürlich noch einmal deutlich mehr Tiefe. Wenn die sich dann künftig direkt auf unserem Augapfel abspielt, haben sich virtuelle und echte Welt endgültig miteinander verbandelt. Dass es so kommen wird, prophezeite der rennomierte US-Physiker Michio Kaku bereits 2012 in seinem populärwissenschaftlichem Werk Die Physik der Zukunft: Unser Leben in hundert Jahren. Darin betont er, dass sich die Kontaktlisten vor allem durch ihren geringen Energieverbrauch auszeichnen. Er schreibt weiter:
Ein weiterer Vorteil ist, dass Auge und Sehnerv in gewissem Sinne eine direkte Erweiterung des menschlichen Gehirns darstellen. So erhalten wir einen direkten Zugang zum Gehirn, ohne Elektroden einpflanzen zu müssen.
Und dieser Zugang sei so schnell wie eine Hochgeschwindigkeits-Internetverbindung. Das zeigt auch, smart sind vor allem wir selbst – und mit unseren Gerätschaften können wir uns selbst noch effektiver bedienen.
Zeitplan: Wir werden sehen
Wie immer wird es noch dauern, gewiss. Das Smartphone, das zentrale Ein und Alles unserer digitalisierten Welt, gab es im Grunde schon in den Neunzigern und brauchte über zehn Jahre bis zur ernstzunehmenden Marktdurchdringung. Hersteller Samsung hat die Geräte im November wieder abgekündigt, in fünf Jahren sei Schluss damit. Und die Nachfolger? Erste echte Smartwatch-Versuche kamen in den frühen 2000ern, auf die Straße konnte man sich damit aber erst in den letzten Jahren trauen, ohne als Cyborg durchzugehen. Und schließlich dann 2012: Googles Ankündigung der ersten richtigen Computerbrille – die sich eben auch sieben Jahre später als genau das anfühlt: Eine Vorab-Ankündigung. Ein Jahrzehnt werden wir auf die smarten Linsen wohl mindestens noch warten müssen, wenn's überhaupt klappt. Unser Gehirn hat also noch Zeit, sich mit dem Gedanken anzufreunden, bald von einem schlauen Kunststoffscheibchen angezapft zu werden.
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