Meine Challenge Zwischen Sog und Sucht – Wie Videospiele unser Gehirn verändern
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04. Februar 2021, 11:33 Uhr
Es macht süchtig und fördert Gewalt – das hört man sehr oft, wenn über das Computerspielen geredet wird. Gerade in Pandemiezeiten ist Gaming aber hilfreich. Grund genug, zu schauen, was wirklich dran ist.
Sieben Leben hat die Katze. In sechs davon fällt sie irgendwo runter, wo sie nichts zu suchen hatte. Drei Leben hat Link, Avatar einer Videospiel-Reihe. In allen fällt er da runter, wo er – anders als die Katze – etwas zu suchen hatte, nämlich eine Prinzessin. Und die heißt Zelda. Zelda ist erfunden. Genau wie die ganze Open-World-Spielreihe, in der eine Spielerin, anstatt Levels zu folgen, frei entscheiden kann, welchen Herausforderungen sie sich stellt. Ob sie also, statt Trolle zu bekämpfen, lieber mit einem Pferd durch grüne Landschaften reitet. Weil mit dem weniger nervenaufreibenden Teil dieses Spiels nicht besonders viel zu holen ist, lohnt sich das Trolle- und Monsterbekämpfen. Mit Maulender Myrte im Planschbecken quatschen und Zaubereier unter Wasser halten ist dagegen kalter Kaffee. In solchen Fällen, wenn man also Schatztruhen öffnen, Pferde reiten und Trolle erschießen muss, kann Zocken anstrengend sein. Es kann aber auch jede Menge bringen.
Graue Masse im Gehirn nimmt zu
Neurowissenschaftlerin Simone Kühn vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und Max-Planck-Institut für Bildungsforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie unser Gehirn auf Videospiele reagiert. In einer ihrer Untersuchungen ließen sie und ihr Team Personen, die wenig oder gar keine Erfahrung mit Videospielen hatten, zwei Monate lang Super Mario 64 spielen. Auch in diesem Jump'n'Run-Klassiker kann man sich frei durch eine Spielwelt bewegen. Dabei schauten sich die Forschenden die Gehirne der Spieler im MRT an.
Erkenntnis 1: die graue Masse, in der sich die Zellkörper der Nervenzellen des Gehirns befinden, hatte sich bei den Spielern vergrößert.
Erkenntnis 2: die Testpersonen verbesserten sich im räumlichen Denken. Bei anschließenden Fähigkeitstests zeigte sich, dass sie sich beispielsweise eine Landkarte nicht, wie man so schön sagt, zurechtdrehen mussten, sondern, dass sie das, was sie sahen, gedanklich in ihr Orientierungssystem übertragen konnten. Fazit: Computerspiele lassen unser Gehirn nicht nur wachsen, sie lehren uns Alltags-Skills.
"Computerspielen trainiert unser Gehirn", erklärt Simone Kühn, "so wie alles, was wir tun, unser Gehirn formt". Jetzt könnte man vermuten, dass zum Beispiel Fußballspielen an der Konsole ähnliche Trainingseffekte hat, wie Fußballspielen in der non-virtuellen Welt. Dem ist jedoch nicht so. Das Gehirn reagiere vielmehr auf die Tätigkeiten, so Simone Kühn. "Wenn ich ganz viel Fußball spiele – draußen –, ist mein Gehirn auf Fußballspielen eingestellt. Wenn ich ganz viel Videospiele spiele, forme ich mein Gehirn vornehmlich danach." Das Spezielle an Videospielen sei, dass es fortwährend Belohnungen gibt, die stimulierend fürs Gehirn wirken.
Bei Videospielen gibt es durch dieses Level-System und dieses konstante Feedback einfach sehr viel motivierende Elemente. Dadurch lernt man relativ schnell.
Klingt einleuchtend. Alles, was Spaß macht, lernen wir schnell.
Zwischen Sog und Sucht
Diese spielerische Komponente von Videospielen kommt auch in Untersuchungen von Federico Alvarez zum Tragen. Am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau untersucht er, inwiefern unsere Zeitwahrnehmung sich in Videospielen und virtuellen Räumen verändert.
Konstante Belohnungen schaffen es, dass wir sehr fokussiert bleiben, in einen Flow kommen. Ein Zustand, in dem man sich und die Welt vergisst. Dieser Zustand – so die Arbeitsthese von Federico Alvarez und Kollegen – könne Depressionen lindern. Ein Symptom dieser komplexen Krankheit könne beispielsweise sein, sich zu fühlen, als stecke man in der Zeit fest. Genau hier könnten Computerspiele durchaus sinnvoll sein.
In einer Studie hatte Federico Alvarez zusammen mit Shiva Khoshnoud und Marc Wittmann zeigen können: Je mehr ihre Versuchspersonen im Flow waren, desto schneller verging die Zeit gefühlt für sie. Die umgekehrte Seite der Medaille: Viele dieser Videospiele haben eine Art Sogwirkung, die durchaus süchtig machen kann.
Suchtgefahr besteht dort, wo jemand das Bedürfnis hat zu spielen, wenn er eigentlich gar nicht spielen will.
Wo die Grenzen zwischen Spiel und Spielsucht liegen, lotet MDR-WISSEN-Reporterin Daniela Schmidt in der neuen Folge des Podcasts "Meine Challenge" aus. So viel sei aber verraten: Im besten Fall helfen Videospiele uns, ähnlich wie ein gutes Buch oder ein guter Film.
Videospielen hat immer mehrere Dimension
Sebastian Ostritsch beschäftigt sich mit den ethischen Dimensionen des Computerspiels und fängt ein, was in dieser Debatte unnötig aufgeblasen wird. "Wenn man ein Videospiel in ethischer und moralischer Hinsicht bewertet, ist erstmal gar nicht klar, was man meint", argumentiert er und plädiert für sorgfältige Trennung. Zu unterscheiden sei, ob man die Interaktion zwischen zwei Spielern, deren Handlung auf dem Bildschirm, oder etwa die ganze Praxis bewertet, also "dass da jemand vor dem Bildschirm sitzt, auf Knöpfchen herumdrückt und all seine sonstigen Pflichten vernachlässigt". Das, so Ostritsch, seien ganz unterschiedliche Aspekte des Videospielens.
In der Debatte über Videospielen würden aber eben nur ein oder zwei Aspekte bewertet. Der Gesamtkontext fällt meistens hinten runter. Ein bisschen ist das wie ein Obstkorb: In dem liegen zehn verschiedene Obstsorten und trotzdem greifen sich alle immer die Äpfel und Birnen. Solch eine Apfel-Birnen-Thematik ist etwa die Frage, wie sich Gaming auf das Verhalten in der non-virtuellen Welt auswirkt. Werden wir tatsächlich gewalttätiger, weil wir ein Videospiel spielen, das Gewalt beinhaltet?
Schaut man sich seriöse Studien an mit ausreichend großen Versuchsgruppen und sauberen Begriffs-Definitionen, gibt es keinen Hinweis darauf, dass Computerspiele Gewalt fördern.
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