Darstellung des Darmgewebes mit vielen kleinen Darmzotten.
So sieht ein Darm aus - von innen. Bildrechte: EPFL

Bioengineering Für Medizin und statt Tierversuche: Nachwachsende Organe

18. September 2020, 08:44 Uhr

Durch Bioengineering haben Forscher eine Methode entwickelt in kurzer Zeit organähnliche Strukturen mit einer großen Lebensdauer herzustellen. Für die Medizin und Arzneimittelforschung eine Erleichterung.

Organoide sind Winzlinge mit enormer Wirkung. Die nur wenige Millimeter großen organähnlichen Mikrostrukturen sind eines der bemerkenswertesten Werkzeuge der modernen Biowissenschaften geworden. Die zentrale Idee ist es, aus Stammzellen winzige Gewebestrukturen und Organe herzustellen, die ihr Original akkurat abbilden und sich auch genau so verhalten.

Keine Labortiere nötig

Für Wissenschaft und Medizin wäre das eine großartige Errungenschaft. Und auch Tierschützer dürften davon begeistert sein. Bis heute greift die Wissenschaft in der biologischen Forschung oder bei der Entwicklung von Medikamenten auf Tierversuche zurück. Organoide könnten dieses Vorgehen irgendwann ersetzen, da durch sie gesunde und kranke menschliche Gewebestrukturen künstlich erschaffen werden können. Der lange Weg vom Labor bis hin zur klinischen Studie kann so beschleunigt werden und kein Labortier müsste dafür leiden.

Leberknospe aus Leipzig

Doch die Visionen der Forscher gehen sogar noch einen Schritt weiter. So könnte die Organoid-Technologie irgendwann dazu genutzt werden, krankes und schadhaftes Gewebe oder sogar ganze Organe zu ersetzen. Das wäre eine große Entlastung für Patienten mit Organschäden, da die Wartezeit für ein Spenderorgan sehr lang ist.

Wissenschaftlerin isoliert Zellen aus einem Stück Gewebe in einer Petrischale.
Bei der Entwicklung der Leberknospe in Leipzig wurden zuerst einzelne Zellen entnommen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bereits 2017 ist das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig diesem Zukunftsszenario einen Schritt näher gekommen.
Den Forscherinnen und Forschern rund um Prof. Babara Treutlein ist es gelungen, eine dreidimensionale Leberknospe zu züchten. 

Trotz des herausragenden Erfolgs standen das Team vor einer ganzen Reihe von Problemen, denn menschliche Organe sind sehr komplexe Strukturen und enthalten eine Menge unterschiedlicher Zelltypen. Darüber hinaus haben Stammzellen leider die Angewohnheit, unkontrolliert zirkuläres, geschlossenes Gewebe mit kurzer Lebensdauer zu bilden. Sie nehmen also nur schwer die Größe und Form echter menschlicher Organe an.

Eine Gerüst für die Zellen

Doch da kommen Prof. Matthias Lütolf vom Institute of Bioengineering an der Universität Lausanne und sein Team ins Spiel.

Darstellung des entwickelten Chips, der ein Gel enthält, in das die dreidimensionale Form eines Minidarms eingearbeitet ist.
Diese Grafik zeigt den Chip, auf dem die Gewebe wachsen. Bildrechte: EPFL

Sie haben eine Methode entwickelt, durch  die die Zellen in die richtige Form gebracht werden können. Sie nutzt einen sogenannten microfluidischen Chip, auf dem sich ein Gel befindet.
In dieses Gel wurde mit Hilfe von Lasern die dreidimensionale Form eines Minidarms eingraviert. Außerdem ist das Gel mit Wachstumsfaktoren angereichert, die aus der Zellumgebung des originalen menschlichen Darms gewonnen wurden.

Anschließend wurden Stammzellen sozusagen durch diese Form "gequetscht".

Wir haben realisiert, dass die Zellumgebung entscheidend für das Wachstum von praktisch allen Zellarten ist.

Prof. Dr. Matthias Lütolf, Institute of Bioengineering, EPFL

Innerhalb weniger Stunden organisierten sich die Zellen entlang des bereitgestellten Gerüsts.

Durch Anpassung der Zellumgebung und damit der Dichte und Zusammensetzung des Gels werden Zellen unterschiedlichen Kräften ausgesetzt und dadurch gezwungen, bei der Reprogrammierung viel schneller ein ursprünglicheres Zellschicksal einzunehmen.

Zellen siedeln sich entlang des künstlichen Gerüsts an.
Ein künstliches Gerüst dient als Grundlage für das Zellwachstum. Bildrechte: EPFL


Die Zellen bildeten aber nicht nur das Gerüst nach, sondern wussten genau, welche Strukturen benötigt werden, um das Original-Gewebe zu imitieren. Die Forscher konnten alle wichtigen unterschiedlichen Zelltypen eines echten Darms finden. Darunter auch seltene spezialisierte Zellen.

Außerdem funktionieren diese nachgebildeten "Miniatur-Därme" in einigen Bereichen wie ihr Original. So können sie sich zum Beispiel von größeren Gewebeschäden erholen und sind im Gegensatz zu bisher produzierten Organoiden über Wochen oder sogar Monate lebensfähig.

Mehr, schneller, langlebiger

Die Wissenschaftler haben also eine Methode gefunden, große Mengen künstlichen Gewebes in kürzerer Zeit und mit einer längeren Lebensdauer zu produzieren. Laut Lütlof könnten die so hergestellten Gewebe langfristig in der regenerativen Medizin verwendet werden. Aber auch biologische Studien und die Arzneimittelforschung kommen dadurch einen großen Schritt voran.

Link zur Studie

Die Untersuchung der Forscherteams des Hubrecht Instituts Utrecht und der Universität von Lausanne ist untrer dem titel "Homeostatic mini-intestines through scaffold-guided organoid morphogenesis" in "nature" erschienen.

(jen)

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