Ein rauchender Reaktor aus der Vogelperspektive
Satellitenbild des Reaktors im Kernkraftwerk von Fukushima, der 2011 nach dem aufgrund eines Seebebens entstandenen Tsunami so starke Schäden erlitt, dass es zu einer Explosion kam. Bildrechte: imago images / Photo12

Seismologie Erbeben in Lichtgeschwindigkeit erkennen mit KI

12. Mai 2022, 09:39 Uhr

Starke Erdbeben können mit maschinellem Lernen und der Auswertung von Schwerkraftsignalen in Echtzeit genau abgeschätzt werden, sagen Forscher nach Versuchen, in die auch Daten vom großen Beben 2011 vor der Küste von Fukushima/Japan einflossen.

Es geht um die zerstörerischsten Erd- und Seebeben mit einer Stärke von über 8 auf der Momenten-Magnituden-Skala, so wie das Tōhoku-Erdbeben von 2011, das eine Stärke von 9,0 und katastrophale Folgen hatte: ein riesiger Tsunami, etwa 20.000 Tote, Nuklearkatastrophe in Fukushima.

Karte Erdbeben 2011 Japan
Karte des Erd- bzw. Seebebengebiets vom März 2011. Das Epizentrum lag im Meer östlich der japanischen Küste. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Solche Beben werden in der Regel durch die Auswertung seismischer Wellen überwacht – Energieimpulse, die durch die Erdkruste strahlen. Warnsysteme, die auf seismischen Wellen basieren, können jedoch zu langsam und fehlerhaft sein, um das Ausmaß starker Beben während ihrer Entstehung genau zu erfassen. So schätzte das japanische System 2011 das Beben auf Stärke 8 statt 9 und erwartete folglich eine Drei-Meter-Welle statt der tatsächlich kommenden 15-Meter-Welle – ein Fehler mit dramatischen Folgen in Fukushima.

Der Italiener Andrea Licciardi, Geophysiker von der "Université Côte d'Azur" im französischen Nizza, glaubt nun, mit einem internationalen Forschungsteam ein weitaus besseres, weil schnelleres und genaueres Warnsystem entwickelt zu haben. Nahezu in Echtzeit sollen Erdbeben damit beobachtbar und ihre weitere Entwicklung vorhersagbar sein.

Gravitationssignale und künstliche Intelligenz

Das Team um Licciardi nutzt Signale, die man "Prompte Elastogravitationssignale" (PEGS) nennt. Diese sind das Ergebnis plötzlicher Gesteinsverschiebungen und verursachen kurzfritige Veränderungen der Schwerkraft. Und das besonders Wichtige an diesen PEGS ist: Sie bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, was eine schnellere Erfassung und Auswertung ermöglicht als bei den seismischen P- und S-Wellen, mit denen bisherige Systeme arbeiten. Wenn man das mit einem Gewitter vergleichen möchte, sind die PEGS der Blitz und die seismischen Wellen der Donner, der erst mit Verzögerung zu hören ist.

Illustration des KI-Algorithmus zur Schätzung der Stärke großer Erdbeben auf der Grundlage von Gravitationssignalen (PEGS), die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, also viel schneller als seismische Wellen (P und S).
Illustration des KI-Algorithmus zur Schätzung der Stärke großer Erdbeben auf der Grundlage von Gravitationssignalen (PEGS), die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, also viel schneller als seismische Wellen (P und S). Bildrechte: Lina Jakaite (strike-dip.com)

Während PEGS prinzipiell schon immer dazu beitragen könnten, Warnungen zu beschleunigen, verhinderte ihre sehr schwache Amplitude bislang ihren Einsatz in Warnsystemen. Die Forscher überwanden diese Einschränkung dank eines KI-Algorithmus. Andrea Licciardi und seine Kollegen trainierten ein Deep-Learning-Modell (namens PEGSNet) anhand von 350.000 Modellierungsszenarien von Erdbeben, die an 1.400 potenziellen Erdbebenorten in Japan ausgelöst wurden. Reale Daten von einem der größten und zerstörerischsten jemals aufgezeichneten Beben – dem Tōhoku-Erdbeben von 2011 – wurden dann zum Testen des Modells verwendet.

Acht Sekunden schneller und viel genauer

Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass PEGSNet in der Lage ist, den Ort von Erdbeben sowie deren Größe und deren mögliche Veränderung im Laufe der Zeit genau abzuschätzen, auch was Risse in der Erdkruste und mögliche Tsunamis angeht. "Bei Tests in Japan hat sich gezeigt, dass unser Algorithmus in der Lage ist, die Stärke des Fukushima-Erdbebens schneller und genauer abzuschätzen als jedes bestehende System, und das ohne seismische Wellen", so Andrea Licciardi.

Bei den Versuchen erkannte PEGSNet die wahre Stärke eines Bebens acht Sekunden schneller als das bislang beste System. Das ist kein riesiger Zeitgewinn, aber die außerdem erreichte größere Genauigkeit der Ergebnisse könnte Tsunami-Warnsysteme erheblich verbessern.

Ob das allerdings auch in der Praxis bei einem echten Beben funktioniert, muss erst noch getestet werden. Im Moment ist das Modell auf Japan zugeschnitten, aber nach Aussagen der Forscher könne es leicht an andere Regionen der Welt angepasst werden, wobei nur kleine Änderungen erforderlich wären, um diese neue Echtzeit-Strategie umzusetzen.

(rr)

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