Klimawandel am Nordpol Polarstern kehrt nach einem Jahr Arktis zurück
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12. Oktober 2020, 08:50 Uhr
Das deutsche Forschungsschiff Polarstern war ein Jahr lang auf einer der aufwendigsten Missionen aller Zeiten. Im arktischen Eis haben Forschende Daten zum Klimawandel am Nordpol gesammelt, jetzt kommen sie nach Bremerhaven zurück.
Wenn Wissenschaftler Superlative verwenden, muss es sich wirklich um etwas Außerordentliches handeln. Andreas Macke, Direktor im Leipziger Tropos-Institut für Troposphärenforschung, sagt über die jetzt zuende gehende Expedition: "Es ist das größte geophysikalische Experiment, das jemals gemacht wurde. Wir sehen zum ersten Mal, was da alles ist. Das war für uns und die Menschheit die erste Gelegenheit, so etwas zu machen."
Ein Jahr lang Drift durch das Eis am Nordpol
Ein Jahr lang haben Forscherinnen und Forscher Eis, Luft und Wasser im Nordpolarmeer studiert. MOSAiC heißt die Expedition – die englische Abkürzung für Multidisziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas. Drift ist dabei das entscheidende Wort: Das Forschungsschiff Polarstern hat sich im vergangenen Herbst an einer riesigen Eisscholle festfrieren lassen.
Atmosphärenforscher Manfred Wendisch von der Uni Leipzig erklärt: "Die Idee war, dass diese Eisscholle zusammen mit der Polarstern ein Jahr lang driftet, über den Pol hinweg und über das arktische Meer. Man kann dort andocken, wenn es eine dicke Eisscholle ist. Da kann man dann seine Messgeräte auf der Eisscholle aufbauen, und so wurde das auch gemacht."
Im Reich der Eisbären
Auf dem Eis an der Polarstern ist so ein buntes Forschungscamp entstanden. Forschende aus zwanzig Ländern und aus verschiedensten Fachgebieten waren dabei. Die Scholle hat sie bis 88 Grad nördlicher Breite gebracht – knapp unter den Nordpol. Es war eine Reise unter Extrembedingungen, bei Eiseskälte und in der Polarnacht, sechs Monate ohne Tageslicht. "Die Nordpolarregion, die innere Arktis, ist sehr unmenschlich von den Bedingungen her. Es ist kalt, es ist dunkel und man hat Eisbären, mit denen legt man sich besser nicht an", sagt Wendisch.
Zum Schutz vor den Tieren gab es Alarmzäune rund um das Schiff und die Forschungsstationen. Ziel der Expedition war, direkt vor Ort zu untersuchen, wie sich das arktische Klima verändert und welche Rolle die einzelnen Bereiche Wasser, Eis und Atmosphäre dabei spielen. Es sei ein hochkomplexes System mit ganz vielen Einzelfragen, sagt Troposphärenforscher Andreas Macke:
Leipziger Spezialität: Die Atmosphäre
Wie bilden sich Mikroorganismen im Eis oder unterm Eis, wie erzeugen sie das biogene Material, das in die Atmosphäre geht? Dieses Material verursacht Aerosole, die Aerosole verursachen Wolken, die Wolken vereisen, das Eis verursacht Niederschlag. Und diese ganze Wirkkette von Biologie, Chemie, Physik zu verstehen, ist eben die große Herausforderung.
Der Leipziger Beitrag untersucht die Atmosphäre. Es geht um das ungelöste Rätsel der sogenannten arktischen Verstärkung: dass die Arktis sich deutlich stärker erwärmt als das weltweite Klima. Die Atmosphäre könnte dabei ein entscheidender Faktor sein. "Wir vermuten, dass die Wolken in der Atmosphäre über der Arktis da irgendwie eine Wechselwirkung auslösen, die diese Erwärmung verursacht. Und deswegen wollen wir diese Wolken messen. Unsere Spezialität ist es, nicht nur die Wolken, sondern auch die Aerosole, also die kleinen Schwebeteilchen zu messen, die man braucht, um Wolken zu erzeugen", sagt Macke.
Pech mit dem Wetter
Mit der Wolkenforschung an der Uni und dem Troposphäreninstitut konnte Leipzig gleich doppelt international gefragtes Fachwissen in die Expedition einbringen. Direkt an der Polarstern hat das Team per Lasermessung die arktische Atmosphäre das ganze Jahr über aufgezeichnet. Im Sommer kam zusätzlich ein riesiger Fesselballon zum Einsatz, der bis in 5000 Meter Höhe steigen kann, dort Messungen vornimmt und auch Luftproben einsammelt.
Allerdings war die Arktis hier nicht wirklich forschungsfreundlich. "Da hatten wir Pech mit dem Wetter. Da war es oft sehr windig und dann kann man so einen großen Ballon nicht handhaben. Wir haben dann trotzdem zwanzig Aufstiege geschafft, aber wir haben mit mehr gerechnet", sagt Macke.
Haupthindernis: Corona
Was noch stärker in die Planungen eingegriffen hat, war natürlich die Corona-Pandemie. Wolkenforscher Manfred Wendisch wollte im März mit zwei Forschungsflugzeugen die Luftmassen über der Polarstern vermessen. Die Flugzeuge waren mit jeder Menge Messinstrumenten bestückt – alles war bereit. "Am Freitag, dem 13. März, das weiß ich noch, das war also wirklich ein Schwarzer Freitag, mussten wir die Kampagne absagen. Ein Tag später wurde Spitzbergen, wo unsere Flugzeuge stationiert sein sollten, auch gesperrt."
Trotz Corona konnten Manfred Wendisch und sein Team aber im Sommer einen Teil der Messflüge nachholen. "Ich staune selber, dass wir das geschafft haben. Wir sind also mit den zwei Flugzeugen auf Spitzbergen gewesen im August und September, um Messungen zu machen."
Trotz Hindernissen ist die Expedition schon jetzt ein riesiger Erfolg
Auch ansonsten musste die MOSAiC-Expedition einige Planungen umschmeißen und manchmal improvisieren. Zum Beispiel, als die Versorgungseisbrecher nicht wie geplant kommen konnten und das Salz in der Küche knapp wurde. Da hat man neues aus Meerwasser gewonnen.
Aber dass die Expedition überhaupt trotz der weltweiten Corona-Probleme zu Ende geführt werden konnte, ist für die Leipziger Forscher Andreas Macke und Manfred Wendisch eine Riesenleistung. "Wenn man das Gesamt-MOSAiC-Projekt ansieht, muss man sagen: ein großer Erfolg für die internationale Wissenschaft. Bei so einem Unterfangen kann man nicht alles wirklich planen und da geht auch viel schief. Aber es ist wenig wirklich Prinzipielles schiefgegangen, was den Erfolg der ganzen Messkampagne beeinflussen würde. Ich sehe das als großen Erfolg.
Viele Jahre Datenauswertung liegen vor den Wissenschaftlern
Die Datenauswertung wird Jahre dauern. Viele Klima- und Wettermodelle – auch für unsere mittleren Breiten – können damit genauer werden. Denn die Arktis beeinflusst, obwohl sie weit weg ist, ganz direkt unser Wetter auch in Mitteldeutschland, sagt Troposphärenforscher Andreas Macke. "Das sind eben die großen Wettersysteme, die bringen immer warme Luft in die Arktis und bringen kühle Luft zurück aus der Arktis zu uns. So entsteht unser Wetter. Und wenn sich dieses Wechselspiel verändert, dann verändert das auch unser Wetter. Und wir vermuten, das ist aber auch noch nicht bewiesen, dass eine arktische Erwärmung dazu führt, dass auch in den mittleren Breiten die Häufigkeit von Extremereignissen wie Dürren oder Regenperioden zunehmen wird."
Die Datenmenge, die die MOSAiC-Expedition geliefert hat, wird zunächst in den vielen internationalen Instituten und Forschungseinrichtungen gesichtet. Wenn alles einigermaßen geordnet ist, soll auch die breite Öffentlichkeit Zugriff bekommen, sagt Andreas Macke. "Nach etwa einem Jahr kommen die Daten auch in Datenbanken, die dann international für alle Wissenschaftler und für alle Interessierten zugänglich sind."
Die MOSAiC-Expedition will so helfen, dass die Menschheit weltweit die globale Klimaentwicklung besser versteht. Am Montag ist aber erstmal Feiern angesagt. Das Forschungsschiff Polarstern wird in Bremerhaven mit einem Schiffscorso empfangen.
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