Ein Mann mit Munschutz schaut aus einem Fenster
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Deutschland-Barometer Depression Zweiter Corona-Lockdown bringt "flächendeckende Demoralisierung"

23. März 2021, 16:11 Uhr

Eine neue Erhebung des "Deutschland-Barometer Depression" zeigt, dass sich die Deutschen durch die Pandemie so stark belastet fühlen wie noch nie. Aber vor allem Menschen mit Depressionen leiden stärker unter dem zweiten Lockdown.

Maske tragen, Abstand halten, das Sozialleben auf Sparflamme, das Kindergarten-, Schul- und Berufsleben mit immer neuen Regelungen und Herausforderungen. Dazu tägliche neue Meldungen über das Coronavirus. Neue Mutationen, steigende Inzidenzen, stockende Impfkampagne. Das ganze Leben scheint durch Corona umgekrempelt zu sein und mutet ziemlich chaotisch an.

Und dann ist da auch noch die Ungewissheit: Werden wir dieses Virus überhaupt mal in den Griff bekommen? Können wir in diesem Sommer mal wieder ans Meer fahren? Und wann können wir die Familie endlich mal wieder live sehen und anfassen? Wann ist Körperkontakt und Beisammensein endlich wieder möglich, ohne dass man Angst haben muss, sich oder jemand anderen anzustecken? Das Alltagsleben ist im Ausnahmezustand und ein Ende ist derzeit nicht in Sicht. Das macht Angst, das macht ärgerlich, das belastet stark.

Deutlich belastender als im 1. Lockdown

Laut der jüngsten Erhebung des "Deutschland-Barometer Depression" empfinden 71 Prozent der Deutschen die Situation im zweiten Lockdown als bedrückend. Im ersten Lockdown waren es noch 59 Prozent der Befragten und im Sommer sogar nur 36 Prozent. Doch was macht den zweiten Lockdown so viel belastender?

Professor Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe glaubt, dass es sich bei der Allgemeinbevölkerung um eine "flächendeckende Demoralisierung" handelt, die die langanhaltenden Maßnahmen mit sich bringen. Das Fehlen fröhlicher Geselligkeit und kultureller Anregungen, mangelnde Bewegung und Gewichtszunahme, die vielen Stunden vor Bildschirmen oder auf dem heimischen Sofa, die Aufgabe von Freiheitsrechten – das alles führt laut Hegerl zu einem bedrückten Lebensgefühl.

Dachte man während des ersten Lockdowns noch, "klar, das schaffen wir, denn es ist ja nicht für lange, also Augen zu und durch", kam mit dem zweiten Lockdown die Ernüchterung. Eine Entspannung der Lage scheint nicht in Sicht. Die Zuversicht schwindet, doch die Anstrengungen bleiben. Vorsichtig sein, das Regelchaos beachten, immer mehr Menschen im Umfeld, die an Corona erkrankten, eine ständige Anspannung, ständige Ängste um die Existenz und der eigene Anspruch, den Alltag für die Familie halbwegs normal zu gestalten. Das alles geht an die Substanz.

Deutliche Verschlechterung des Krankheitsverlaufs

Auch Menschen mit Depressionen leiden unter den Einschränkungen. Doch sie führen nicht nur zu einer Verschlechterung der Stimmung, sondern haben massiven Einfluss auf ihren Krankheitsverlauf. 44 Prozent der Befragten gaben an, dass sich dieser in den letzten sechs Monaten verschlechtert habe.

So geht es den Deutschen im Lockdown

Grafik über die psychische Belastung während Corona.
Bildrechte: Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Grafik über die psychische Belastung während Corona.
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Grafik über die psychische Belastung während Corona.
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87 Prozent der befragten DepressionspatientInnen sagten, dass sie unter Bewegungsmangel leiden und sogar 64 Prozent gaben an, verlängerte Bettzeiten zu haben. Kein Wunder, denn Depressionen sind wahre Energiefresser. Die permanente Anspannung macht müde und kraftlos. Am liebsten würde man nur noch schlafen, bis der ganze Spuk vorbei ist. Doch das ist genau der falsche Ansatz, denn zu viel Schlaf kann die Depression noch verstärken. Deshalb ist Schlafentzug sogar ein oft angewendetes Mittel, um Depressionen zu behandeln. Und auch Bewegung spielt eine große Rolle. Doch wenn der Lockdown diesen Bewegungsfreiraum einschränkt, man mehr Zeit zuhause verbringt, mehr Zeit zum Grübeln hat, dann verstärkt sich auch die Depression.

Schlechtere medizinische Versorgung

Besonders kritisch ist, dass die Corona-Maßnahmen auch zu erheblichen Einschnitten bei der gesundheitlichen Versorgung psychisch erkrankter Menschen führen. 22 Prozent der befragten Menschen, die sich gerade in einer depressiven Phase befinden, berichteten von ausgefallenen Facharzt-Terminen in den letzten sechs Monaten. Das bedeutet, dass fast jeder Vierte keine vollumfänglich gesundheitliche Versorgung wahrnehmen kann. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Zum einen fallen viele Termine einfach aus, zum anderen sagen viele DepressionspatientInnen die Termine ab.

Bei depressiven Patienten tut mir die Situation besonders leid, denn sie sind oft sehr angstvoll. Ich bin sicher, dass viele nicht zum Arzt gegangen sind, weil sie sagen, dass erst einmal die Corona-Patienten an der Reihe sind. Menschen mit Depressionen sind eher bereit, ihre eigenen Interessen hinten anzustellen. Sie sind selten Ellenbogentypen.

Ulrich Hegerl, Stiftung Deutsche Depressionshilfe

18 Prozent konnten ihre Termine bei PsychotherapeutInnen nicht regelmäßig wahrnehmen. Andere, die noch nicht in Behandlung sind und sich in einer akuten depressiven Krankheitsphase befinden, bekommen keinen Termin. Die ohnehin angespannte Versorgungslage psychisch erkrankter Menschen hat sich während der Pandemie noch verschärft. Bedenklich angesichts der aktuellen Zahlen.

Die Maßnahmen gegen Corona führen zu Versorgungsdefiziten und depressions-spezifischen Belastungen, die gravierende gesundheitliche Nachteile für die 5,3 Millionen Menschen mit Depression in Deutschland bedeuten. Besonders die Zahl der Suizidversuche bereitet mir Sorge.

Ulrich Hegerl

16 Prozent der Befragten mit diagnostizierter Depression berichten von einem Rückfall oder der Verschlimmerung der Symptomatik. Acht Prozent hatten sogar Suizidgedanken oder suizidale Impulse.

Umfassendes Expertengremium gefordert

Laut Hegerl sollten VirologInnen nicht die einzigen BeraterInnen sein, die ihr Wissen mit der Politik teilen, um Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Das Expertengremium müsste viel breiter aufgestellt sein als es derzeit der Fall ist.

Wäre ich Politiker und müsste Entscheidungen über Maßnahmen treffen, wäre für mich die zentrale Frage, wie viel Leid und Tod ich damit verhindere und wie viel ich verursache. Unverantwortlich wäre die Verengung der Sicht nur auf das Infektionsgeschehen. Notwendig wäre ein breit aufgestelltes Expertengremium, das Daten zu den negativen Folgen der Maßnahmen gegen Corona systematisch zusammenträgt, auch gezielt erhebt und auswertet. Nur so kann die Balance zwischen Vor- und Nachteilen der Maßnahmen beurteilt und optimiert werden.

Ulrich Hegerl

Dieses Expertengremium sollte aus IntensivmedizinerInnen, InternistInnen, ChirurgInnen, EpidemiologInnen, SoziologInnen, PsychiaterInnen und PsychologInnen bestehen, die alle an einem Tisch sitzen, um permanent über die großen Stellgrößen in der Pandemie zu diskutieren. Aber diese Diskussion gibt es in diesem Umfang noch nicht. Das derzeitige Expertengremium zur Beratung der Bundesregierung besteht aus acht Wissenschaftlern unterschiedlicher Bereiche.

Das derzeitige Expertengremium der Bundesregierung

Das derzeitige Expertengremium, das die Bundesregierung über den Sachstand der Corona-Pandemie informiert hat, besteht aus acht Personen. Dazu gehören aktuell:

- Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts (RKI)
- Christian Drosten, Chef der Virologie an der Charité
- Michael Meyer-Hermann, Abteilungsleiter System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
- Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
- Cornelia Betsch, Psychologieprofessorin an der Universität Erfurt im Bereich Gesundheitskommunikation
- Rolf Apweiler, Direktor des Europäischen Instituts für Bioinformatik (EMBL-EBI)
- Melanie Brinkmann, Professorin für Virologie an der TU Braunschweig
- Kai Nagel, Professor für Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin

Auch der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und das Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) zeigen sich besorgt. Sie haben anhand aussagekräftiger Befunde, die inzwischen vorliegen, ein gemeinsames Konzeptpapier zu den psychologischen Herausforderungen, Zielen und Maßnahmen im Umgang mit der Corona-Pandemie verfasst, das sie der Politik nahelegen. Doch ob und wann diese Empfehlungen berücksichtigt werden, ist ungewiss. Deshalb müssen die Menschen sich derzeit weitgehend allein mit der Situation arrangieren.

Was kann ich selbst tun?

Weil für viele Menschen das Wegbrechen eines geregelten Alltags problematisch ist, empfiehlt Hegerl einen Wochenplan. Darin ist stundenweise die Aktivität für jeden Tag eingetragen. Wichtig dabei ist, dass neben den Pflichten auch Angenehmes eingeplant werden sollte. Auch Bewegung und ein geordneter Schlaf-Wachrhythmus sind wichtig. Die Bettzeiten sollten dabei zwischen acht und neun Stunden liegen.

Was ist das Deutschland-Barometer Depression?

Das Deutschland-Barometer Depression ist eine jährliche, repräsentative Bevölkerungsumfrage zu Depression, die 2017 von Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Deutsche Bahn Stiftung initiiert wurde. Befragt wurden 5.135 Personen zwischen 18 und 69 Jahren aus einem repräsentativen Online-Panel im Februar 2021.

Sie haben Selbsttötungsgedanken oder eine persönliche Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr: 0800 1110111 und 0800 1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf. Auf der Webseite finden Sie weitere Hilfsangebote. Das Info-Telefon Depression erreichen Sie unter 0800 / 33 44 533, Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr und Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr.

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