Forschung Vernachlässigte Kinder entwickeln kleinere Gehirne
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08. Januar 2020, 16:58 Uhr
Kinder brauchen Liebe und Zuneigung. Das ist geradezu überlebenswichtig, genauso wie Essen und Trinken. Werden sie in jungen Jahren vernachlässigt, hat das Folgen bis ins Erwachsenenalter. Das zeigt jetzt eindrucksvoll eine Studie, die Kinder aus rumänischen Kinderheimen begleitet hat. Selbst noch im Erwachsenenalter haben sie kleinere Gehirne und damit verminderte Intelligenz. Es gibt aber auch gute Nachrichten.
Kinder, die nackt und verwahrlost in ihren eigenen Exkrementen sitzen. Leere Augen, sie schreien, keiner kommt. Die rumänischen Kinderheime zu Zeiten der Diktatur sind berüchtigt. "Die Kinder wurden dort quasi sich selbst überlassen", schildert Robert Kumsta, Professor für genetische Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum, die Zustände im Gespräch mit MDR Wissen.
Es gab viel zu wenig Pfleger für die Kinder, ungefähr ein Pfleger auf 30 Kinder. Es gab kaum Sozialkontakte oder emotionale Zuwendung, keine Art von kognitiver Stimulation, keine Spielsachen. Die Pfleger haben sich einfach nicht mit diesen Kindern beschäftigt.
Als 1989 das Regime fällt, gehen die Bilder der Kinder um die Welt. Viele britische Familien adoptieren daraufhin aus Rumänien. Eine einzigartige Forschung beginnt: Wie entwickeln sich Kinder, die solche Verhältnisse erlebt haben, wenn sie zum Beispiel in liebevolle Familien aufgenommen werden und eine Chance auf ein normales Leben bekommen? Zunächst Mal positiv: die Kinder erholten sich und nahmen die neuen Familien an.
Dazu zählen Autismus, auffälliges Sozialverhalten, Aufmerksamkeitsstörungen und schon damals sichtbar verminderte Intelligenz, erzählt Robert Kumsta. Er ist als deutscher Forscher an den Studien beteiligt. Zusammen mit einem britischen Team konnte er jetzt an den mittlerweile erwachsenen Heimkindern zeigen:
Dass die Deprivationserfahrung, also das Aufwachsen in Heimen, dazu führt, dass das Hirnvolumen kleiner ist und dass man das eben auch noch zwanzig Jahre nach der Adoption sieht. Wir sehen auch: Je länger die Kinder in den Heimen waren, desto kleiner war das Hirnvolumen.
Ergo, desto kleiner war die Intelligenz. Die Studie an den Kindern zeigt einmal mehr: Ein Kind kann die Intelligenz-Gene eines Einsteins besitzen, in einer solchen Umgebung wird es die nicht ausschöpfen können. Intelligenz ist immer auch eine Frage des Umfelds.
Familienleben mit heilsamen Folgen
Und jetzt die gute Nachricht: Kamen die Kinder also in liebevolle Familien, konnten sich viele von ihnen fast vollständig erholen. Ungefähr die Hälfte der Kinder, die von sechs Monaten bis zu dreieinhalb Jahren in den Heimen waren, zeigten bleibende Auffälligkeiten, so Kumsta. Das bedeutet andersherum aber auch, dass die Hälfte der Spätadoptierten keine Auffälligkeiten zeigte. Das verblüffte auch den Wissenschaftler:
Außerordentlich erstaunlich, dass Kinder, die dreieinhalb Jahre unter schrecklichen Umständen gelebt haben, sich vollständig erholen können, durch das Aufwachsen in sich sehr gut kümmernden englischen Adoptivfamilien.
Bei Kindern, die in ihrem ersten halben Lebensjahr adoptiert wurden, sieht es noch deutlich besser aus: Fast alle Kinder konnten sich vollständig erholen. Die Ergebnisse lassen sich auch übertragen, meint Psychologe Robert Kumsta. Es gibt immer noch Millionen von Kindern, die in Heimen aufwachsen und somit auch für sie Hoffnung. Kumsta schätzt, dass ungefähr 20 Prozent der Kinder weltweit Misshandlungen oder Vernachlässigungen ausgesetzt sind, wenn auch nicht so extrem wie in den Heimen von Ceaușescu. Die Folgen könnten trotzdem drastisch sein, sagt Kumsta. Eine liebevolle Pflegefamilie wirkt dann immer heilend, selbst bei denjenigen, die sich nie ganz erholen.
Für die Studie wurden die Kinder aus den rumänischen Kinderheimen mit ganz normalen britischen Adoptivkindern verglichen. Hier kann man sie nachlesen.
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