Frau vor Bildschirm (blaues Licht)
Schlafstörungen wegen blauem Licht von Bildschirmen. Eine neue Studie sorgt für Diskussionen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schlafforschung Was denn nun? Beeinträchtigt blaues Licht doch nicht den Schlaf?

15. Oktober 2021, 10:08 Uhr

Wenn eine Studie gar nicht so viel aussagt, wie man denken mag – dann schauen wir genauer nach. So ist es gerade mit einer Untersuchung, die so ausgelegt wird, dass blaues Licht doch nicht schlecht für unseren Schlaf sei.

Man wird ja immer hellhörig, wenn eine neue Studie etwas ins Wanken bringt, von dem man bislang fest oder doch zumindest ziemlich überzeugt war. So könnte es einem gerade wieder ergehen.
Jahrelang hieß es, Bildschirme mit ihrem blauen Licht verhindern oder erschweren das Einschlafen. Und nun liest man plötzlich von einer Entwarnung "in Bezug auf mögliche Schlafstörungen, die das Blaulicht durch abendliches Lesen an elektronischen Geräten verursachen könnte", zum Beispiel im Ärzteblatt, das nahezu wörtlich eine Pressemitteilung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft DOG (Gesellschaft für Augenheilkunde) übernommen hat.

Da heißt es ganz deutlich, diese Annahme (Blaulicht beim abendlichen Lesen an elektronischen Geräten führe zu Schlafstörungen) sei inzwischen "durch eine Studie widerlegt".

Aber widerlegt die besagte Studie das wirklich? Oder sagt sie am Ende vielleicht gar nicht viel mehr als "Die Nightshift-Funktion am iPhone nützt bei US-amerikanischen Student(inn)en mit chronischem Schlafmangel herzlich wenig"?

Weil diese beiden Deutungsmöglichkeiten doch recht unterschiedlich sind, schauen wir uns die Studie genauer an. Veröffentlicht wurde sie im Frühjahr 2021.

Sehr spezielle Voraussetzungen

Teilgenommen haben 167 Proband(inn)en mit iPhone, zufällig aufgeteilt in drei Gruppen: keine Handynutzung vor dem Schlafengehen, Handynutzung ohne Nightshift, Handynutzung mit Nightshift (automatische Reduzierung des Blauanteils in den Abendstunden).
167 kann man für eine zu geringe Zahl halten, um repräsentative Rückschlüsse zu ziehen, aber bei derlei Studien ist so eine Anzahl nicht unüblich, es gibt auch Studien mit deutlich weniger Teilnehmer(inne)n. Weitaus problematischer sind die anderen Voraussetzungen.

Ein Pärchen sitzt im Bett und starrt gebannt auf den Bildschirm ihrer Smartphones.
Smartphone im Bett - so vermutlich keine gute Einschlafhilfe. Bildrechte: Colourbox.de

Problem 1: Der Schlaf der Proband(inn)en wurde ausschließlich mit Fitness-Tracker-Uhren am Handgelenk gemessen. Sind diese Daten exakt genug? Vielleicht.

Problem 2: Alle Proband(inn)en waren sich sehr ähnlich: ausschließlich Student(inn)en zwischen 18 und 24 Jahren (119 Frauen, 48 Männer), vermutlich alle von derselben Universität wie die Studien-Autor(inn)en.

Problem 3: Es ging ausschließlich um die Nightshift-Funktion beim iPhone, nicht um Smartphones von anderen Herstellern, nicht um größere Bildschirme, auf keinen Fall um elektronische Geräte allgemein.

(Falsche) Deutung der Studie

Die Probleme 2 und 3 sind allerdings keine Probleme der Studie selbst, sondern ihrer nachträglichen Deutung. Die Studie sollte nämlich nie etwas über blaues Licht in elektronischen Geräten allgemein aussagen, sondern nur über den Nutzen der Nightshift-Funktion in iPhones. Schon aus der Überschrift geht das hervor: "Vermindert die iPhone-Nightshift-Funktion die negativen Auswirkungen der Smartphone-Nutzung auf den Schlaf von jungen Erwachsenen?"

Man sollte außerdem wissen, dass schon im November 2019 das nahezu identische Forscherteam eine nahezu identische Studie mit nahezu identischen Ergebnissen veröffentlicht hat.

In den Ergebnissen wurde auch damals in Bezug auf die iPhone-Nightshift-Funktion formuliert: "Es gab keine statistisch signifikanten Auswirkungen auf die Einschlafzeit, die Gesamtschlafzeit, die Schlafeffizienz und Aufwachphasen im Schlaf." Und damals gab es noch einen Nachsatz:

Dies könnte teilweise darauf zurückzuführen sein, dass unsere Teilnehmer chronisch schlafgestört waren.

Und man sollte vielleicht auch wissen, dass ein Studienautor nach der Veröffentlichung der neuen Studie (Ende April) in der Online-Ausgabe der Daily Mail sagte:

Ich würde nicht sagen, dass blaues Licht den Schlaf überhaupt nicht beeinträchtigt – viele Laborstudien deuten darauf hin, dass dies der Fall ist.

Chad Jensen, Studienautor und Psychologie-Professor an der Brigham Young University in Utah

Es gebe viele Hinweise darauf, so Jensen im selben Artikel weiter, dass blaues Licht die Wachsamkeit erhöht und das Einschlafen erschwert, aber es sei wichtig, darüber nachzudenken, welcher Anteil dieser Stimulation auf die Lichtemission und welcher auf andere kognitive und psychologische Stimulationen zurückzuführen ist.

Fazit

Aus dieser Studie allein abzuleiten, es sei nun widerlegt, dass das Blaulicht beim abendlichen Lesen an elektronischen Geräten Schlafstörungen verursacht, darf man nicht nur "gewagt", sondern muss man "falsch" nennen. Widerlegt ist das damit nicht.

Andersherum ist aber auch nicht belegt, dass Schlafstörungen nach Bildschirmnutzung ausschließlich am blauen Lichtanteil liegen. Die Gemengelage bleibt kompliziert, Studien sind oftmals (genau wie diese) zu wenig aussagekräftig, und damit sind wir eigentlich noch immer auf dem Stand von vor zwei Jahren: Viele Faktoren spielen zusammen, ihre Gewichtung ist nicht abschließend geklärt.

Der Ansatzpunkt der Augenheilkundler ist dennoch zu verstehen. Nach eigenen Aussagen wollen sie Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, und zwar "vor irreführender Werbung und verunsichernden Falschmeldungen, die rein kommerzielle Interessen verfolgen". Gemeint sind damit vor allem Produkte wie Brillen und Kontaktlinsen, die Blaulicht filtern sollen – und nach Ansicht der Mediziner unnötig sind. Viel wichtiger und sinnvoller sei es, abends und nachts die Helligkeit an Bildschirmen insgesamt zu reduzieren.

Aber auch das ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht neu. Vor zwei Jahren haben wir den aktuellen Wissensstand in einem Video zusammengefasst, das wir hier gern nochmal einbetten. Denn wie gesagt: An diesem Wissensstand hat sich im Prinzip nichts geändert.

(rr)

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