Covid-19-Forschung Ohne Labor: Tragbares System ermöglicht Corona-Diagnose to go

09. August 2022, 11:25 Uhr

Schnelle Diagnosen gelten in Pandemien als Ur-Moment, um eine gefährliche Ausbreitung zu verhindern. Bislang konnten Sars-CoV-2-Infektionen nur im Labor sicher nachgewiesen werden. Ein neues chipkartengroßes Diagnosegerät ermöglicht jetzt den Nachweis von Sars-CoV-2-RNA und Antikörper gleichzeitig – ganz ohne Labor.

"Bin ich infiziert?", "Wie stark ist meine Immunität?", "Habe ich Antikörper?" – die Corona-Pandemie stellt Fragen, deren tägliche Beantwortung essentiell sind. Forscher des Wyss-Instituts für biologisch inspirierte Technik in Harvard haben jetzt ein neues tragbares Diagnostikum entwickelt, das sowohl die RNA als auch die Antikörper von Sars-CoV-2-RNA gleichzeitig nachweisen kann.

Innerhalb weniger Stunden ist es den Forschern der Harvard University zufolge möglich, mit dem Diagnosegerät die RNA sowie die Antikörper des Coronavirus im Speichel eines Patienten nachzuweisen. Möglicherweise sei dies auch für weitere Biomarker möglich. "Diese Diagnostik kann eine billigere, multiplexe Überwachung der Infektion und Immunität in Bevölkerungsgruppen über einen längeren Zeitraum ermöglichen, und zwar mit einer Genauigkeit, die mit teuren Labortests vergleichbar ist", erklärte Devora Najjar, Doktorandin am Wyss-Institut und Ko-Erstautorin einer entsprechenden Studie. "Ein solcher Ansatz könnte die globale Reaktion auf künftige Pandemien erheblich verbessern und schneller Informationen darüber gewinnen, welche Behandlung einzelne Personen erhalten sollten."

Diese Diagnostik kann eine billigere, multiplexe Überwachung der Infektion und Immunität in Bevölkerungsgruppen über einen längeren Zeitraum ermöglichen, und zwar mit einer Genauigkeit, die mit teuren Labortests vergleichbar ist.

Diagnostik mit Crispr-Genschere und elektrochemischen Sensoren

Das Besondere an der neuen Multiplex-Plattform: Sie kombiniert die CRISPR-Genschere (Sherlock-Technologien) mit elektrochemischen Sensoren (eRapid-Verfahren). Damit ist es sogar möglich, den Verlauf der Infektion im Speichel zu verfolgen.

Diagnosegerät im Miniaturformat - klein und günstig
Das neue Diagnose-Gerät ist nur etwas größer als eine Münze und kann eine Corona-Infektion und Antikörper gleichzeitig anzeigen. Bildrechte: Wyss Institute at Harvard University

Hybrid-Gerät eigentlich für Borreliose-Diagnose gedacht

Der Ansatz: Die Harvard-Forschenden erkannten, dass das von ihnen entwickelte auf einer Crispr-Genschere beruhende Diagnose-System "Sherlock" zwar Moleküle mit exquisiter Empfindlichkeit nachweisen kann. Allerdings sei ihr fluoreszenzbasiertes Auslesesystem von Natur aus eingeschränkt.

Die Forschenden überlegten: Wenn es ihnen gelänge, die molekulare Detektion eines Crispr-basierten Systems wie "Sherlock" in ein elektrochemisches Signal wie das von "eRapid" zu übersetzen, könnten sie ein Diagnostikum mit einer Präzision auf Laborniveau entwickeln, das auch außerhalb des Labors verwendet werden könnte. Sie begannen mit dem Bau dieses Hybridgeräts und wählten die Borreliose als Zielanwendung. Innerhalb weniger Monate hatten sie das Gerät zum Laufen gebracht.

Was ist die Crispr-Genschere

Das Crispr/Cas-System ("programmierbare Gen-Schere") ist ein präzises Instrument, das gezielt punktuelle Veränderungen im Genom ermöglicht (Genome Editing). Dabei wird die DNA an einer durchtrennt. Forscher können so Gene ausschalten oder an der Schnittstelle neue Abschnitte einfügen. Auf diese Weise lässt sich das Erbgut sehr viel einfacher und schneller verändern als bisher. Quelle:transgen/mpg
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Dann brach die Pandemie aus

"In den ersten Tagen arbeiteten alle an der Entwicklung von Diagnostika, die entweder das SARS-CoV-2-Virus oder Antikörper gegen dieses Virus nachweisen konnten, aber nicht beides", erinnert sich Helena de Puig, Forscherin an der Harvard University und Erstautorin der Studie. "Dank unserer Arbeit an der Borreliose konnten wir DNA- und RNA-Molekülen erfolgreich elektrochemisch nachweisen. Wir beschlossen, herauszufinden, wie man einen All-in-One-Test entwickeln kann, der hilft, Infektionen zu verfolgen und die Pandemie zu bekämpfen."

Allerdings sei es de Puig zufolge eine Herausforderung gewesen den Nachweis der RNA von Viren mit dem Nachweis menschlicher Antikörper-Proteine in ein System zu integrieren. Die molekularen Reaktionen sei sehr unterschiedlich.

Kombination aus zwei Verfahren

Das Team entwickelte ein mikrofluidisches System, das aus mehreren Behältern, Kanälen und Heizelementen besteht und die Gen-Diagnose-Verfahren "Sherlock" mit dem elektrochemischen Diagnose-Verfahren "Rapid" verband. "Die Kombination mit dem Nachweis viraler RNA in einer tragbaren Multiplex-Diagnoseplattform bietet einen Überblick über den Gesundheitszustand eines Patienten während als auch nach einer Infektion", sagte Sanjay Sharma Timilsina, leitender Wissenschaftler bei StataDX. Das sei für die Umsetzung von politischen Maßnahmen und Impfstrategien von entscheidender Bedeutung. StataDX vermarktet eRapid für neurologische, kardiovaskuläre und renale (die Nieren betreffend) Anwendungen.

Test mit Speichel von Covid-Patienten

Schließlich testeten die Forschendem die kombinierten Virus-RNA- und Antikörper-Elektroden mit Speichel von Sars-CoV-2-Patienten. Sie teilten den Speichel in zwei Portionen auf und gaben eine Portion in das Antikörperreservoir und die zweite Portion in das RNA-Reservoir des Geräts. Nach zwei Stunden maßen sie die Messwerte der Elektroden, um festzustellen, ob sie das Vorhandensein von Antikörpern und RNA korrekt registriert hatten.

Nachweis mit 100-prozentiger Genauigkeit

Das Team stellte fest, dass die Multiplex-Chips positive und negative RNA- und Antikörperproben mit 100-prozentiger Genauigkeit und zur gleichen Zeit korrekt identifizierten. "Derzeit fehlt es an kostengünstigen Diagnoseplattformen, die einen genauen Nachweis mehrerer Molekülklassen ermöglichen, ohne dass ein Labor aufgesucht werden muss. Unser System bietet das Beste aus beiden Welten - hohe Genauigkeit und niedrige Kosten in einer Multiplex-Plattform", erklärten die Wissenschaftler. Damit können sie für die Patienten als auch Kliniken von großem Nutzen sein und für ein breites Spektrum von Anwendungen verwendet werden.

Informationen zur Studie

Online-Paper: https://www.nature.com/articles/s41551-022-00919-w

Weitere Autoren der Studie sind Mohamed Yafia, Nolan Durr und Hani Sallum vom Wyss-Institut, Galit Alter vom Ragon-Institut des MGH, MIT und Harvard, Jonathan Li vom Brigham and Women's Hospital (BWH), Xu Yu vom Ragon-Institut und BWH, David Walt vom Wyss-Institut, HMS und BWH, Joseph Paradiso vom MIT Media Lab und Pedro Estrela von der University of Bath.

Diese Forschung wurde unterstützt vom Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering an der Harvard University, der Paul G. Allen Frontiers Group, dem britischen Natural Environment Research Council (NERC) GW4 FRESH CDT, dem Fonds de recherche du Québec nature et technologie, Frau Enid Schwartz, der Mark and Lisa Schwartz Foundation, dem Massachusetts Consortium for Pathogen Readiness, dem Ragon Institute und der Harvard University Center für Aidsforschung.

(kt)

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