Neuropsychologie Wer weniger Schmerz fühlt, ist weniger hilfsbereit
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29. September 2022, 20:53 Uhr
Dass die Fähigkeit für Mitgefühl an Hilfsbereitschaft geknüpft ist, wissen ForscherInnen schon länger. Unbekannt war bislang jedoch, dass Menschen mit weniger Schmerzen auch weniger hilfsbereit sind. Eine experimentelle Studie mit Placebo-Schmerzmitteln zeigt jetzt erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen eigenem Schmerzempfinden, Empathie und der Bereitschaft, anderen zu helfen. WissenschaftlerInnen warnen vor negativen sozialen Effekten.
Eine verringerte Fähigkeit, Schmerzen am eigenen Leib zu empfinden, führt zu einer verringerten Bereitschaft, anderen zu helfen, die Schmerz empfinden. Das ist das Ergebnis der Studie von KognitionspsychologInnen der Universität Wien um Claus Lamm und Helena Hartmann, die im Fachjournal "Psychological Science" veröffentlicht wurde.
Dabei wurden 90 ProbandInnen mit einer Situation konfrontiert, in der sie glaubten, einer anderen Person würden schmerzhafte elektrische Stimulationen unterschiedlicher Anzahl verabreicht. Durch das Zusammendrücken eines Kraftmessgeräts hatten sie die Möglichkeit mit eigener physischer Arbeit die Zahl dieser Stimulationen zu reduzieren.
Weniger Bereitschaft zu helfen
Vor der Durchführung dieses Versuchs erhielt die Hälfte der ProbandInnen ein vermeintliches Schmerzmittel – ein sogenanntes Placebo – die andere Hälfte nicht. Tatsächlich reduziert nämlich bereits der Glaube, ein schmerzreduzierendes Medikament eingenommen zu haben, die eigene Schmerzempfindlichkeit messbar. Im Experiment zeigte sich, dass die Gruppe, die die Schmerzmittel-Placebos erhalten hatte, weniger oft bereit war, die Zahl der elektrischen Schläge durch ihre eigene körperliche Arbeit zu reduzieren als die Gruppe, die keine Placebos erhielten.
Placebo-Schmerzmittel dämpfte Empathie
Dies war allerdings nur der Fall, wenn man der anderen Person nur wenig helfen könnte, also zum Beispiel die Reize ein wenig verringern konnte. Selbst wenn Personen sich dazu entschieden hatten, der anderen Person zu helfen, drückte die Placebo-Gruppe das Kraftmessgerät weniger stark als die Kontrollgruppe. Wichtig und spannend in diesem Zusammenhang: Dieser Effekt war davon abhängig, wie viel Empathie die Personen für die zweite Versuchsperson empfanden, die die Reize erhielt. Das Placebo-Schmerzmittel dämpfte die Empathie der Personen, was wiederum zu reduziertem Hilfeverhalten führte.
Solche Auswirkungen könnten weitreichende Folgen für Personen mit chronischen Schmerzleiden haben, aber auch für Personen, die unter dem (regelmäßigen) Einfluss von Schmerzmitteln stehen.
Folgen für Menschen mit chronischen Schmerzen
"Vorherige Studien hatten gezeigt, dass ein Scheinmedikament Empathie reduziert. Unser Experiment zeigt nun, dass dadurch auch die Bereitschaft zu tatsächlich helfendem Verhalten reduziert wird, auf Basis dieser reduzierten Empathie", erläutert Hartmann. "Die Studie weist darauf hin, dass bereits die einmalige Einnahme von Schmerzmitteln subtile Auswirkungen auf unser Verhalten gegenüber anderen haben können. Solche Auswirkungen könnten weitreichende Folgen für Personen mit chronischen Schmerzleiden haben, aber auch für Personen, die unter dem (regelmäßigen) Einfluss von Schmerzmitteln stehen."
Negativer sozialer Effekt
Sollte sich dies für tatsächliche Schmerzmedikamente und in Studien außerhalb des Labors bestätigen, müsste dieser negative soziale Nebeneffekt publik gemacht werden.
"Sollte sich dies für tatsächliche Schmerzmedikamente und in Studien außerhalb des Labors bestätigen, müsste dieser negative soziale Nebeneffekt publik gemacht werden", ergänzt Gruppenleiter und Mitautor Claus Lamm. "Denn die sozialen Folgen dieser Studie gehen über den Umgang mit Schmerzmitteln hinaus: Die Bereitschaft, anderen zu helfen, die sich in einer Notlage befinden, ist die Grundlage gesellschaftlichen Zusammenhalts und hat einen wesentlichen Einfluss auf das eigene soziale Wohlbefinden."
Links/Studien
Helena Hartmann, Paul Forbes, Markus Rütgen, & Claus Lamm: Placebo analgesia reduces costly prosocial helping to lower another’s pain. In: Psychological Science, 2022.
https://psyarxiv.com/drfht/
(idw/kt)
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