Genforschung Masseneinwanderung nach Großbritannien in der Bronzezeit
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23. Dezember 2021, 09:01 Uhr
Migration ist keine Erscheinung der Neuzeit. Schon in der Bronzezeit hat es riesige Einwanderungsbewegungen gegeben, zum Beispiel auf die Inseln Nordeuropas, das alte Britannien. Nicht nur Bauern aus Europa, sondern auch von Hirten abstammende Kontinentaleuropäer aus dem Westteil der eurasischen Steppe wanderten in das Gebiet des heutigen Großbritannien aus. Später kamen sogar die Franzosen auf den Geschmack und migrierten massenhaft auf die Insel.
- Wanderungsbewegungen prägen die gesamte Menschheitsgeschichte
- Die britischen Inseln erlebten mindestens drei solcher Einwanderungswellen
- Vor rund 3.000 Jahren brachte die letzte Welle die keltische Sprache und die Milchverträglichkeit
Seit jeher wandern Menschen aus verschiedenen Gründen in andere Regionen aus und ein. Migration ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Eine Masseneinwanderung vom europäischen Festland erlebte zum Beispiel das Gebiet des heutigen Großbritannien in der mittleren bis späten Bronzezeit. Das ist das Ergebnis einer Studie von mehr als 200 internationalen Forschenden unter der Leitung der Genetiker David Reich und Nick Patterson an der Harvard Medical School in Boston in den USA. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Verbreitung keltischer Sprachen begünstigt
Den Forschenden zufolge könnte die Massenmigration in das alte Britannien die Verbreitung früher keltischer Sprachen begünstigt haben. Die Forscher fanden in der DNA sogar Hinweise auf Veränderungen im Milchkonsum. "Das deutet darauf hin, dass in der Bronzezeit Milchprodukte in Großbritannien und Europa unterschiedlich verwendet worden sind", erklären die Autoren der Studien.
Dies zeigt, wie viel uns die Zusammenführung großer Datensätze aus der Genetik mit archäologischen sowie anderen Daten aus der Vergangenheit verraten kann. Darin steckt das Potenzial, reichhaltige Informationen über eine Zeit zu bekommen, in der es die Schrift noch nicht gab.
Einwanderung von Bauern und Jägern aus Europa
David Reich und Kollegen analysierten für die Studien die Genomdaten von 793 Personen, die in der Bronzezeit gelebt haben. Es handle sich nach ihren Angaben um die "größte DNA-Studie, über die bisher berichtet wurde".
Den Forschenden zufolge wanderten in der Bronzezeit vermutlich viele Bauern und Jäger aus Europa nach Britannien. Diese seien die Vorfahren der späteren neolithischen Bauern gewesen, die um 3950-2450 v. Chr. lebten. Die Genom-Analysen zeigten eine Abstammung zwischen 20 bis 80 Prozent.
Aus der Steppe nach Britannien
Die zweite Masseneinwanderung um 2450 v. Chr. war mit der Ankunft der Kontinentaleuropäer verbunden, die ihre Vorfahren aus der pontisch-kaspischen Steppe mitbrachten und von den dort lebenden Hirten abstammten. Diese Steppe zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer ist der Westteil der sogenannten eurasischen Steppe. "Die große Migrationsbewegung führte dazu, dass die Abstammung der Bevölkerung nahezu komplett (zu etwa 90 Prozent) ausgetauscht wurde, so dass sich die Anteile der Steppenabstammung in England und Schottland nicht mehr voneinander unterschieden", schreiben die Autorinnen und Autoren. "Heute sei der Anteil der Steppenvorfahren in England jedoch deutlich geringer. "Diese Veränderung muss durch spätere Ereignisse verursacht worden sein, die jedoch bis heute ein Rätsel geblieben sind", hieß es.
Masseneinwanderung aus Frankreich
Auch auf die Franzosen schien Großbritannien eine enorme Anziehungskraft gehabt zu haben. Tausende machten sich auch in der auf die Bronzezeit folgenden Eisenzeit auf den Weg in den Norden. Das internationale Forschungsteam analysierte eine bislang unbekannte Masseneinwanderung in das alte Britannien, die ihren Höhepunkt zwischen den Jahren 1.000 und 875 v. Chr. erreichte. "Wir nehmen an, dass diese Einwanderer aus Frankreich kamen und etwa die Hälfte der eisenzeitlichen Bevölkerung in England und Wales ausmachten", hieß es.
Milch-Verträglichkeit als Überlebensvorteil?
Da sich die Sprache in der Regel durch die Wanderung von Menschen ausbreitet, stützen die Ergebnisse auch die Annahme, dass die keltischen Sprachen in der späten Bronzezeit aus Frankreich nach Großbritannien kamen. "Mit den genetischen Daten der großen Wanderungsbewegungen können wir plausible Zeiten für eine Sprachverschiebung identifizieren", erklärte Studienleiter Reich. Der Wissenschaftler fand zudem mit einem Team heraus, dass die Fähigkeit, Kuhmilch zu verdauen, in Britannien zwischen 1.200 und 200 v. Chr. dramatisch zunahm. Dies sei damit etwa ein Jahrtausend früher als in Mitteleuropa geschehen.
"Diese Ergebnisse zeigen, dass der Milchkonsum in Britannien in diesem Zeitraum eine andere Rolle spielte als auf dem übrigen europäischen Festland", erklärte Reich. Es seien jedoch weitere Studien erforderlich, um diese Rolle zu definieren. Fest stehe, dass eine erhöhte Milchtoleranz die Überlebenschancen für Kinder deutlich erhöht habe.
(kt)