Möhreneintopf mit Hackbällchen und Würstchen
Manche Menschen reagieren auf scheinbar harmlose Eintöpfe, weil sie keine Möhren vertragen. Bildrechte: MDR/Jens Trocha

Lebensmittelforschung Karotten-Allergie: Ob roh oder gekocht – Finger weg!

22. September 2020, 19:43 Uhr

Achtung, Lebensmittelallergiker: Finger weg von der Karotte, egal ob sie roh, gekocht, zerstampft oder pulverisiert ist: Ihr Allergenknickt nicht mal in großer Hitze nicht ein. Das zeigen Forschungen aus Bayreuth.

Bei diesem Anblick denkt man als Allergiker: "Die Möhre ist ja gut gekocht, da kann ich sie wohl ungestraft essen." Und ist dabei auf dem Holzweg. Bei Äpfeln funktioniert das – wer zwar nicht herzhaft hineinbeißen kann, ohne Jucken im Hals oder Hustenanfälle zu bekommen, verträgt sie trotzdem als Apfelmus oder gebacken im Apfelkuchen. Bei Karotten ist das anders. Wer sie roh nicht verträgt, verträgt sie auch nicht, wenn sie gekocht sind oder pulverisiert in der Soße schwimmen. Das hat ein Forschungsteam der Uni Bayreuth herausgefunden.

Bei Möhrenallergie ist auch die gekochte Möhre unverträglich

Prof. Birgitta Wöhrl am Rechner im Labor
Teamleiterin Prof. Dr. Birgitta Wöhrl bei der Analyse eines Messergebnisses. Die Kurve zeigt die UV-Absorption der aufgetrennten Proteine an. Bildrechte: Christian Wißler

Studien-Erstautorin Thessa Jacob beschreibt das Dilemma: "Menschen mit Allergie können auch auf den Verzehr frisch gekochter Karotten oder aus der Konservenbüchse allergisch reagieren." Und Professorin Dr. Birgitta Wöhrl vom Bayreuther Lehrstuhl Biopolymere rät deshalb ganz klar: Finger weg von Möhren, egal in welcher Form, wenn man auf das Allergen der Karotten reagiert. Wie die Forschungsgruppe herausgefunden hat, gehen die Proteinstrukturen, die allergische Reaktionen hervorrufen, beim Erhitzen nämlich doch nicht vollständig kaputt, wie bisher angenommen wurde. Jedenfalls bei den Karotten, mit denen im Uni-Labor gearbeitet wurde: "Herkömmliche Supermarktkarotten", sagt Jacob im Gespräch mit MDR Wissen.

Wie äußert sich die Karottenallergie?

Karottenallergiker haben oft das sogenannte "orale Allergiesyndrom". Dabei zeigen sich die allergischen Symptome wie Anschwellen und Jucken im Mund- und Rachenraum. Etwa jeder zweite Karottenallergiker zeigt einer Studie zufolge jedoch schwerere, systemische Reaktionen.

Auf was in der Möhre regiert das Immunsystem eigentlich?

Möhren im Labor
Für die Herstellung des Karottenextrakts werden die Karotten im Labor zunächst schockgefroren und anschließend gefriergetrocknet, um die Flüssigkeit schonend zu entziehen. Bildrechte: Christian Wißle

Was genau in der Karotte löst so hartnäckig allergische Reaktionen im Immunsystem des Menschen aus? Da ist zum einen das natürliche Karottenallergen Dau c 1. Es besteht aus einer Mischung aus mehreren Proteinen. Diese sogenannten Isoallergene wurden im Labor einzeln in Bakterien hergestellt. Bei Versuchen mit dem Proteingemisch des natürlichen Dau c 1 sowie mit den einzelnen Isoallergenen wurde getestet, wie deren Strukturen auf steigende und sinkende Temperatur reagieren. Sie wurden dazu bis auf 95 Grad Celsius erhitzt. Und dabei zeigte sich: Sowohl die natürliche Mischung aus mehreren Proteinen und fast alle einzelnen Isoallergene riefen nach einer Abkühlung auf 25 Grad Celsius immer noch allergische Reaktionen hervor. Die Versuche zeigten außerdem: Molekulare Teilstukturen, auf die das Immunsystem des Menschen allergisch reagiert, waren auch bei einem Säuregrad des Magens von PH-Wert 3 (den hat er nach dem Essen) und normaler Raumtemperatur aktiv.

Die Studie aus Bayreuth lesen Sie hier.

"Kann Spuren von Möhren enthalten" – Hinweise auf Lebensmitteln könnten helfen

Wer auf Birkenpollen reagiert, reagiert oft auch auf Obst wie Äpfel, Kiwi, Steinobst; aber auch auf Karotten, Sellerie und Nüsse. Dieses neue Wissen aus Bayreuth über Karotten und wie sich ihre Allergene verhalten, könnte dazu beitragen, dass sich scheinbar unerklärliche Reaktionen auf ein Mittagessen aufklären lassen. Wenn es im Hals juckt und brennt, nachdem doch nur ganz normal Kartoffeln mit Möhrenstampf, gekochte Möhren oder ein Eintopf auf den Tisch kamen, oder eine leckere Soße, der ein Karottenextrakt oder Brühepulver beigemischt war. Das wiederum schreit regelrecht nach Hinweisen auf Lebensmitteln, wie Brühe-Mischungen, Fertigsuppen und Soßenpulver, oder auch auf Speisekarten. Wenn Menschen mit Allergie darauf lesen können, "Kann Spuren von Karotten enthalten", dann würde das manche unangenehme allergische und scheinbar rätselhafte Reaktion verhindern. Wird es das in Zukunft geben? Wissenschaftlerin Thessa Jacob vermutet: "Das wäre vielleicht sinnvoll."

RKI-Schätzung: 30 Millionen Möhren-Allergiker in Deutschland

Vielleicht auch angesichts der Tatsache, dass ganz schön viele Menschen in Deutschland an Allergien leiden: Schätzungen des RKI gehen von insgesamt bis 30 Millionen Menschen aus, die in Deutschland keine Möhren vertragen. Bei einer RKI Erhebung zu Nahrungsmittelallergenen zwischen Mai 2003 und Mai 2006 stand die Karotte auf Platz zwei der Allergie-Auslöser – nur kurz nach der Erdnuss. Immerhin 10 Prozent der befragten Erwachsenen und 8,7 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen nannten die Karotte als Nahrungsmittel, auf das sie allergisch reagierten.

Eine Frau in weißem Laborkittel steht vor einem Apparat mit einer Injektionsadel
Thessa Jacob M.Sc. beim Auftragen einer Proteinprobe vor dem Test im Flüssigchromatographiegerät. Bildrechte: Christian Wißler

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