Autismus-Spektrum-Störung Ich schau dir in die Augen: Autismus per App erkennen
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01. Mai 2021, 10:00 Uhr
Bis eine Autismus-Störung als solche erkannt wird, vergeht oft viel Zeit. Solange die Störung nicht diagnostiziert ist, stoßen Menschen mit Autismus durch ihr Verhalten auf Unverständnis und Ablehnung und die Angehörigen auf einen Nebel von Fragen. Vielleicht kann eine Diagnosemethode aus den USA, für die man keine speziellen Geräte braucht, diesen Nebel früher lichten.
Eltern autistischer Kinder können ein Lied davon singen, wie lange es dauert, bis die neurologische Entwicklungsstörung in ihren vielen verschiedenen "Ausspielarten" als solche erkannt wird. Bisweilen vergehen Jahre, bis klar ist, warum der Nachwuchs bei anderen aneckt, in der Schule auffällt, ohne aber eine Erklärung dafür zu haben und zu finden, warum sie als anders wahrgenommen werden. "Bei Mädchen und Frauen wird Autismus sogar oft erst in ihren 30er-, oder 40er-Lebensjahren erkannt," sagt Professor Dr. Christian Lindemeier von der Uni Halle-Wittenberg im Gespräch mit MDR WISSEN. Er arbeitet am Institut für Rehabilitationspädagogik und ist Professor für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Autismus. "Dabei geht man davon aus, dass eine frühe Diagnose zwischen dem 18. Lebensmonat und abgeschlossenem 3. Lebensjahr ideal wäre."
App-Screening als Diagnose-Hilfe für Autismus-Spektrums-Störungen
Hoffnung auf eine frühe Diagnose macht eine neue Eye-Screening-Methode per App aus den USA, die aber noch in den Kinderschuhen steckt. Sie befasst sich mit einem der Merkmale für Autismus und nimmt den Blickkontakt bzw. die Bewegungsmuster der Augen ins Visier. Ein Forschungsteam der Duke University hat die App entwickelt, die Blickmuster von Kindern auswertet, während sie sich spezielle Filme auf einem iPhone oder iPad anschauen.
Ein Film zum Beispiel zeigt einen fröhlichen Mann, der Seifenblasen bläst. Er ist links auf dem Bildschirm, die Seifenblasen rechts. Kleinkinder ohne Autismus scannten den gesamten Bildschirm während des Videos und konzentrierten sich häufiger auf den Menschen im Bild. Kleinkinder, bei denen später Autismus diagnostiziert wurde, fokussierten sich häufiger auf die Seite des Bildschirms mit den Seifenblasen.
Was ist Autismus?
Die Wissenschaft unterscheidet in drei Subtypen: "Frühkindlicher Autismus", "Atypischer Autismus" und "Asperger-Syndrom". Im Alltag ist allerdings die Trennschärfe zwischen den Störungsarten nicht immer deutlich und medizinisch wird inzwischen von ASS, Autismus-Spektrum-Störungen, gesprochen. Einmal erkannt, können je nach Störung passende Therapien vermittelt werden, die zum Beispiel Kommunikations- oder soziale Fähigkeiten trainieren.
Blickmuster-Screening jetzt
Brandneu ist der Ansatz des Blickmuster-Trackings nicht, allerdings war dazu bisher spezielle Technik nötig und Spezialwissen zur Auswertung. Neu ist also, dass quasi Geräte aus dem Alltag ein Screening ermöglichen und eine Künstliche Intelligenz die Auswertung des Screenings übernimmt. Und dass es auch bei kleineren Kindern anwendbar ist.
Also ein Durchbruch für die Autismus-Diagnose?
Von einem Durchbruch würde Dr. Melanie Ring noch nicht sprechen, aber einem Schritt in die richtige Richtung. "Das ist ein sehr spannender und sinnvoller Ansatz, um Autismus so früh wie möglich zu erkennen und möglichst früh Therapien anzusetzen", sagt die Diplom-Psychologin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Psychologin an der Autismus-Ambulanz des Universitätsklinikums der TU Dresden. Die gängigen Diagnostikverfahren werde das Tool so schnell nicht ersetzen, meint die Spezialistin, aber als Screening-Instrument, zusätzlich zu den Fragebögen, mit denen ein Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung heute schon gestellt wird, wird es sicher nützlich werden. Der Vorteil der App aus ihrer Sicht:
Das Coole daran ist, dass das ein objektiv messbarer Marker sein wird. Die bisherige Methodik, Autismus-Spektrum-Störung zu diagnostizieren, beruht meist auf subjektiven Eindrücken von Verhaltensbeobachtungen in verschiedenen Lebenssituationen.
Also was beobachten die Eltern beim Kind, was nimmt das Kindergartenpersonal wahr, wie verhält sich das Kind in Situationen mit anderen Kindern, sowie in standardisierten Beobachtungssituationen in der Klinik.
Die App wäre aus Rings Sicht eine gute Ergänzung dazu, vorausgesetzt Validierungsstudien unabhängiger Institute würden die Ergebnisse der Duke bestätigen und Längsschnittstudien würden zeigen, ob sich die App-Diagnosen im Laufe der Kindesentwicklung als richtig oder eben Fehldiagnose erweisen.
Autismus-Screening Zukunftsmusik
Tatsächlich arbeitet das Forschungsteam der US-Universität an weiteren Tests, auch mit Säuglingen im Alter von sechs Monaten. Ihre Hoffnung: Zum einen ein vereinfachter Zugang zum Autismus-Screening, wodurch die Entwicklungsstörung früher erkannt wird und der Umgang damit dann schneller gefunden wird. Und auf lange Sicht eine einfach zu bedienende App, die die frühzeitige Diagnose der Entwicklungsstörung ermöglicht.
Link zur Studie
Die Studie "Berechnungsmethoden zur Messung von Blickmustern bei Kleinkindern mit Autismus-Spektrum-Störung" ist in jamanetwork erschienen. Hier können Sie sie lesen.
(lfw)
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