Wissen-News Vogelgrippe bei Rindern beunruhigt Fachwelt
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29. April 2024, 16:48 Uhr
Immer mehr Milchkühe könnten in den USA mit dem Vogelgrippevirus infiziert sein. Das legt eine landesweite Untersuchung von Supermarktmilch der US-Gesundheitsbehörde FDA nahe.
Experten von der Weltgesundheitsorganisation WHO sind besorgt über die Verbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 unter Milchkühen in den USA. Dass das Virus dort zirkuliert und damit den dauerhaften Sprung in eine Säugetierspezies geschafft hat, war durch die Untersuchung von Supermarktmilch aufgefallen.
Viren in der Milch durch Pasteurisierung unschädlich
In rund 20 Prozent der getesteten Proben fanden sich demnach Bestandteile des Vogelgrippevirus H5N1. Eine Gefahr für den Menschen bestehe derzeit nicht, da das Virus durch die Pasteurisierung abgetötet werde. Die zurückbleibenden genetischen Virusfragmente sind nicht in der Lage, eine Infektion zu verursachen.
Derzeit laufen Versuche, ob sich überhaupt infektiöse Viruspartikel aus Milchproben anzüchten lassen. Die Ergebnisse bedeuten auch nicht automatisch, dass jede fünfte Milchpackung im Supermarkt infiziert ist.
Rinder bisher nicht als Vogelgrippe-Wirte bekannt
Viele Virusbestandteile in vielen Milchproben können auch auf eine kleinere Anzahl infizierter Kühe zurückzuführen sein, die große Virusmengen ausscheiden. Der FDA zufolge ist auch kein Anstieg der Grippefälle beim Menschen zu beobachten. Bislang gebe es den Angaben nach weiterhin offiziell nur einen Fall, in dem sich ein Mensch nach direktem Kontakt mit infizierten Rindern selbst infiziert hat. H5N1-Viren der Klade 2.3.4.4b wurden erstmals im Februar bei Milchkühen in Texas nachgewiesen.
Die Lage in den USA beunruhigt die Fachwelt nun vor allem deswegen, weil Rinder bisher nicht als Wirt des Vogelgrippevirus galten. Mit jedem neuen Viruswirt, der in engerem Kontakt zu Menschen steht, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den Menschen. Aktuell sind in den USA nachweislich mindestens 33 Herden in acht Bundesstaaten infiziert. Wie Wildvögel das Virus auf die Kühe übertragen haben könnten, ist bisher nicht eindeutig geklärt.
Mit jedem neuen Viruswirt, der in engerem Kontakt zu Menschen steht, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung auf den Menschen.
Vogelgrippe-Virus erstmals 1996 in China entdeckt
Das hochpathogene Influenza-A-Virus H5N1 wurde erstmals 1996 in China entdeckt und hat seitdem mehrere Ausbrüche in Geflügelbeständen und vereinzelt auch beim Menschen verursacht. Wildvogelbestände wurden in den vergangenen Jahren durch die Pandemie stark dezimiert.
Mittlerweile ist der Erreger überall auf dem Globus zu finden. Zuletzt hatte er auch die Pinguinkolonien in der Antarktis erreicht. Immer häufiger befällt das Virus auch andere Tierarten, wie etwa Seelöwen. Hier ist aber noch unklar, ob H5N1 auch von Seelöwen zu Seelöwen übertragen wird, oder ob sich die Tiere vor allem dann anstecken, wenn sie infizierte Vögel fressen.
Übertragung zwischen über Euter der Kühe
Ob und falls ja wie Wildvögel das Virus auf die Kühe übertragen haben, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Dieser Frage gehen nun Virologen nach. Sie untersuchen auch den Infektionsweg zwischen den Kühen.
Erste Hinweise deuten auf eine Infektion des Euters hin: Das Virus könnte über die Melkgeräte oder Handschuhe der Farmbelegschaft auf andere Tiere übertragen werden. Aber auch eine Übertragung über die Atemwege ist derzeit nicht ausgeschlossen.
Verordnung: Negativer Virus-Test bei Viehtransport
Das US-Landwirtschaftsministerium hat angeordnet, dass ab dem 29. April vor jedem Milchvieh-Transport zwischen den Bundesstaaten ein negativer Influenza-A-Virus-Test nachgewiesen werden muss. Laboratorien und staatliche Tierärzte sind verpflichtet, positive Ergebnisse den Behörden zu melden.
"Da bisher keine Ergebnisse zu flächendeckenden Untersuchungen auf infizierte Milchkühe vorliegen, ist das Ausmaß der Verbreitung dieser Seuche noch unklar", erklärte Professor Martin Schwemmle, Virologe am Uniklinikum Freiburg. Die verpflichtenden Virus-Tests bei Milchviehtransporten seien positiv und hilfreich, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. "Dass Spuren dieser Viren in Milch aus Supermärkten nachgewiesen wurden, ist ein alarmierendes Signal."
Virologe: Schwer, Verbreitung des Virus in den Griff zu bekommen
Virologe Schwemmle zeigte sich überrascht, "dass es sich ausgerechnet um Milchkühe handelt" und die Viren bei den infizierten Milchkühen in den Atemwegen und dem Euter nachgewiesen wurden – und nicht im Gehirn. Bei anderen mit dem Vogelgrippe-Virus infizierten Säugetieren seien die Viren immer auch im Gehirn nachweisbar gewesen.
Schwemmle sieht bei der Eindämmung der Vogelgrippe-Infektionen eine große Herausforderung: "Das Problem besteht darin, dass in der Milch dieser Kühe sehr hohe Virus-Konzentration nachgewiesen wurden. Das bedeutet, dass das Virus nicht nur mit jedem Tropfen Milch, der in die Umwelt gelangt, verbreitet wird. Auch das gesamte für die Milchproduktion notwendige Arbeitsgerät kann mit dem infektiösem Virus kontaminiert sein. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, solche weit verbreiteten Kontaminationen in den Griff zu bekommen.“
Dass die Vogelgrippe auf den Menschen überspringen?
Schwemmle hält eine Vogelgrippe-Epidemie und -pandemie unter Menschen bislang für relativ unwahrscheinlich. Es habe zwar sporadische Vogelgrippe-Infektionen bei Menschen gegeben, die engen Kontakt zu Milchkühen hatten. Allerdings sei dies nur mit milden Symptomen einhergegangen. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung sei bisher nicht nachgewiesen worden.
Gleichwohl habe eine Studie gezeigt, "dass das HA-Oberflächenprotein des H5N1-Virus sehr wohl weitere adaptive Mutationen erwerben könnte, um von Mensch zu Mensch übertragbar zu werden". "Wir wissen aber auch, dass diese Anpassungen noch nicht ausreichen, um eine Epidemie in der menschlichen Bevölkerung zu etablieren", sagte Virologe Schwemmle.
Wir wissen aber auch, dass diese Anpassungen noch nicht ausreichen, um eine Epidemie in der menschlichen Bevölkerung zu etablieren.
Forscher erstaunt über Rinderbefall
"Mich überrascht es sehr, dass Kühe nun infiziert sind. Wir haben 2006 ein verwandtes Virus aus einer infizierten Katze isoliert. Es war ein teiladaptiertes Virus. Dieses haben wir dann in Kälber gegeben und nur ganz wenig Replikation gesehen", wundert sich Professor Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD) am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf der Greifswald-Insel Riems. Die meisten Kälber hätten Antikörper gebildet, deswegen seien diese Infektionen jetzt sehr überraschend.
"Es beunruhigt mich auch deshalb, weil wir mit dem Rind einen ganz neuen Viruswirt haben. Und das will man eigentlich überhaupt nicht. Ein an Rinder angepasstes Influenza-A-Virus müssen wir auf jeden Fall verhindern", sagte Beer. "Deshalb ist es sehr unerfreulich, dass wir aufgrund fehlender epidemiologischer Daten immer noch zum Beispiel über die Übertragungswege spekulieren müssen. Das Virus wird versuchen, sich weiterzuentwickeln, deshalb ist es wichtig, dass rasch Maßnahmen wie Transportbeschränkungen getroffen werden.“
Aufmerksamkeit sehr hoch
Laut Beer sei die "Aufmerksamkeit des Friedrich-Loeffler-Instituts und der Forschenden sehr hoch". Die Behörden würden die Optionen einer Vogelgrippe immer mitdenken. Zudem gebe es in Deutschland ein so gutes Kontrollsystem, das eigentlich als "gläsernes Rind" bezeichnet werden könnte. "Jedes Tier ist eindeutig markiert und jede Tierbewegung ist über eine Datenbank nachvollziehbar. Das ist in den USA nicht so", sagte Beer.
Jeder neuer Säugetierwirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen.
Beer hält das Risiko einer Übertragung von Mensch zu Mensch bislang für niedrig, sieht aber auch ein Risiko. "Bisher gibt es in Texas zum Glück nur einen dokumentierten Fall einer Übertragung auf den Menschen. Aber in den USA gibt es viele illegale Arbeiter, vor allem auf Rinderfarmen. Es wird sehr schwer sein, herauszufinden, wer tatsächlich Kontakt mit welchen Tieren hatte", erklärte er.
Die Vogelgrippestämme der Klade 2.3.4.4b hätten "grundsätzlich ein niedriges zoonotisches Potenzial". Es ist ja maximal an den Vogel angepasst. "Für eine Übertragung auf den Menschen muss das Virus einige Hürden überwinden, weil wir zum Beispiel eine wirksame angeborene Immunität gegen solche Influenzaviren besitzen. Die H5-Viren tun sich zum Glück bisher schwer damit, diese Hürden zu überwinden."
Jeder Säugetier-Wirt bringt das Virus dem Mensch näher
Doch für Beer ist das Risiko damit nicht vom Tisch. "Jeder neuer Säugetierwirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen. Wir können nur hoffen, dass das Virus in der Kuh auf das Euter beschränkt bleibt, denn dieser Replikationsort ist zwar erstaunlich, aber die davon abhängige Übertragung ist unter Umständen leichter zu unterbinden. Eine Übertragung über die Atemwege wäre dagegen sehr problematisch.“
cdi/tomi/smc
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 29. April 2024 | 06:54 Uhr
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