MDR KLIMA-UPDATE | 22. Juli 2022 Geht doch! Was wir in Deutschland richtig machen (können)
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22. Juli 2022, 18:00 Uhr
Werdet krativ! Forscher stellen fest: Solarzellen in andere Richtungen zu orientieren, löst sehr viele Probleme beim Sonnenstrom und spart den Speicherbedarf. Außerdem: Vorbild Wasserversorgung.
Liebe Lesende,
werden wir kreativer beim Solarstrom! Zum Beispiel: Neue Anlagen sollten nicht mehr nach Süden ausgerichtet werden, sondern nach Osten und Westen zeigen. Und: Die Photovoltaikmodule sollten senkrecht stehen und Sonnenlicht von beiden Seiten in Strom umwandeln können. Schon würde die Erzeugung von Sonnenstrom viel gleichmäßiger über den Tag verteilt und Stromspeicher deutlich unwichtiger. Das haben Leipziger Forscher jetzt in einer Simulation vorgerechnet.
Ist das nicht fantastisch? Je mehr kluge Köpfe sich mit der Energiewende beschäftigen, umso vielfältigere Potenziale werden entdeckt, wie unsere Energieerzeugung klimaneutral werden kann. Gleich mehr dazu.
Vorweg: ich hoffe, Sie haben wie ich den Höhepunkt der Hitzewelle gut überstanden! Ich freue mich jedenfalls gerade darüber, die Vorhänge und ein Fenster wieder öffnen zu können, ohne von einer Hitzewalze umgehauen zu werden. Dass wir in Deutschland (im Vergleich zu Spanien und Frankreich) bislang relativ glimpflich durch die heißen Tage gekommen sind (ohne dass gewaltige Waldbrände ausgebrochen oder Infrastruktur zusammengebrochen wäre), ist einerseits vielleicht das pure Glück der (jetzt ausnahmsweise mal) „besseren“ geografischen Lage. Andererseits glaube ich aber, dass es ein paar Dinge gibt, die wir in Deutschland richtig gut machen und die uns in dieser Situation helfen.
Dazu zählt beispielsweise die Versorgung mit Trinkwasser. Zwar haben viele Landkreise und Gemeinden wegen der Dürre beschränkt, wann und wofür Wasser genutzt werden darf. Doch in unseren Wohnungen haben wir in der Regel rund um die Uhr Zugang zu Wasser in einem der weltweit höchsten Qualitätsstandards. Und das alles für…
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... ... Cent: So viel kostet in Leipzig der Verbrauch von einem Liter Trinkwasser, das aus dem Wasserhahn kommt. Da kommen natürlich noch ein paar fixe Gebühren für den jeweiligen Wasseranschluss dazu. Aber grundsätzlich ist das doch krass: Wir bekommen das wichtigste Lebensmittel, sauberes Wasser, in einer Qualität aus unseren Hähnen, die oft noch über dem von Mineralwasser liegt, das wir abgepackt in Flaschen im Supermarkt kaufen können. Für den Preis von 99 Cent für eine Flasche kommen aus der Leitung übrigens über 475 Liter Wasser.
Auch wenn viele Landkreise in den vergangenen Tagen die Verwendung von Wasser (auch solchem aus Brunnen oder offenen Gewässern) wegen der Hitze eingeschränkt haben – die Versorgung der Privathaushalte mit Wasser war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.
Die Versorgung mit hochwertigem, Trinkwasser ist wahrscheinlich eine der größten Errungenschaften, die wir in Deutschland je erreicht haben. Möglich gemacht haben das öffentliche Unternehmen, die lokalen Wasserwerke, die sich im Eigentum der Städte und Gemeinden befinden und deren primärer Zweck die Versorgung ist, nicht der wirtschaftliche Gewinn. Vielleicht können wir aus diesem positiven Beispiel lernen und auch andere Infrastruktur – etwa unsere Energieversorgung – wieder stärker auf nachhaltige Herstellung und Versorgung ausrichten, statt auf kurzfristigen Gewinn.
Senkrechte Solarpanele: Wie Kreativität die Energiewende vorantreibt
Als ein Kollege vor ein paar Tagen sagte, eine neue Studie zeige, dass nach Osten und Westen ausgerichtete, senkrechte Solarmodule viel besser sein, als unsere jetzt oft nach Süden zeigenden Panele, da habe ich das erst gar nicht verstanden. Die Sonne scheint doch fast den ganzen Tag von oben auf uns herab. Was sollen da gen Horizont zeigende Photovoltaik-Zellen bringen?
Doch dann habe ich angefangen zu lesen und festgestellt: Ein paar kreative Köpfe haben gerade des Thema PV-Stromerzeugung neu gedacht und dabei ein ganz neues Potenzial entdeckt. Zur Morgen- und Abendsonne ausgerichtete Module liefern zwar etwas weniger Strom als solche, die nach Süden zeigen. Aber dafür gleichen sie die bislang kleine Sonnenstromeinspeisung am Morgen und am Abend aus und sorgen für deutlich mehr Kontinuität.
Wie sich senkrechte und südwärts ausgerichtete PV-Anlagen ergänzen:
Sophia Reker und Kollegen von der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) haben das ganze mal hochgerechnet und in Bezug zu den deutschen Klimazielen gesetzt. Ergebnis: Wir müssen bis 2030 massenhaft neue Solarmodule zubauen. Wenn wir dann rund 80 Prozent senkrecht installierte, nach Osten und Westen zeigende PV-Anlagen haben, können wir ohne einen einzigen Stromspeicher schon über 10 Megatonnen CO2 pro Jahr einsparen. Das ist richtig viel.
Karl Wild von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Dresden testet mit seinen Kollegen solche senkrechten Module gerade in einem landwirtschaftlichen Betrieb am Rand der Elbestadt. Dabei zeigen sich noch viele weitere Vorteile: Senkrechte Module brauchen kaum Platz, können einfach in Reihen am Rand von Feldern oder auch in der Mitte davon aufgestellt werden, ohne Landmaschinen und die Bodenbewirtschaftung stark zu behindern. Und: Sie bieten etwas Windschutz und Schatten wie eine große Hecke, verdienen im Unterschied zur Hecke aber Geld für die Landwirte. Diese Kombination aus Landwirtschaft und Solarstromerzeugung – Fachbegriff Agriphotovolatik (APV) – gilt aktuell als eine der besten Möglichkeiten, die Energiewende zu bewältigen. Auch in Thüringen hat APV große Potenziale, so eine Studie der Fachhochschule in Erfurt.
Interessant ist übrigens, dass alle drei hier erwähnten Studien von Fachhochschulen (FH) kommen. Denn hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt: Während an Universitäten vor allem allgemeine Grundlagen erforscht werden, die mehr oder weniger der Menschheit zu Gute kommen, geht es an den FHs um Fragen, die die Wirtschaft vor Ort betreffen. Dass sich nun vor allem unsere regionalen FHs mit senkrechten Solarzellen (oder Stromspeicherung mit Dampf) befassen zeigt: Die Energiewende ist eine riesige Chance für mittelständische Unternehmen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Wenn sie rechtzeitig einsteigen, können sie viel Wertschöpfung und damit auch Arbeitsplätze vor Ort schaffen.
🗓 Klimatermine
MITTWOCH, 28. JULI, 16 UHR, ONLINE
Vortrag: Wie Küstenökosysteme an der Ostsee und am Golf von Mexiko wiederbelebt wurden – Zwei Naturschützer berichten von den Anstrengungen, Erfolgen und Rückschlägen bei der ökologischen Sanierung von wertvollen Küstenökosystemen.
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📰 Klimaforschung und Menschheit
Längere Trockenperioden treffen vor allem den Osten
Längere Trockenperioden und andauernde Hitze treffen aus Sicht eines Leipziger Klimaforschers vor allem den Osten Deutschlands. "Ich würde absolut erwarten, dass wir uns hier im Osten auf so etwas häufiger einstellen müssen", sagte Karsten Haustein, Klimawissenschaftler am Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig. In Regionen östlich des Harzes und des Thüringer Waldes, also vor allem in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, sei generell der mittlere Niederschlag im Vergleich zu weiter westlich oder südlich gelegenen Bundesländern geringer. Dazu kämen eher versteppte Gebiete wie in Brandenburg, die allgemein schon trockener seien. Dadurch gebe es eine höhere Gefahr von Trockenheit im Sommer.
Ein weiterer Punkt ist nach Erkenntnissen von Haustein die Lage von Bundesländern wie Sachsen auf dem Kontinent: Je weiter weg eine Region von großen Wassermassen wie etwa dem Meer liegt, desto schwieriger sei es, Regen aus verdunstetem Wasser zu generieren. Der Boden trockne auf diese Weise schneller aus und gleichzeitig fehle die Feuchte, um vor allem im Sommer die Reservoirs wieder aufzufüllen. "Das ist so eine Art Teufelskreislauf", erklärte Haustein, der zum Schwerpunkt Extremwetter forscht. (dpa)
Saharastaub und Waldbrände dämpfen vermutlich Temperaturen
Reste von Saharastaub und Partikel aus den Waldbränden in Südeuropa haben die Hitze in Deutschland in der vergangenen Woche abgeschwächt. Das schließen Forscher des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (Tropos) aus Messungen über Leipzig. In mehreren Kilometern Höhe gebe es derzeit Schichten aus Saharastaub und Aerosolen von Waldbränden, teilte das Institut am Mittwoch mit. Darum sei der Himmel trotz Hochdruckwetters nicht strahlend blau sondern ganz leicht milchig. "Das kann am Mittwoch in Leipzig rund 0,5 Grad Unterschied ausgemacht haben", sagte Albert Ansmannn, Leiter der Arbeitsgruppe Bodengebundene Fernerkundung am Tropos.
Auch in anderen Teilen Deutschlands gebe es dieses Phänomen. "Was sich gerade über unseren Köpfen abspielt, wirkt sich auch auf die Temperaturen am Boden aus", erklärte Ansmannn. "Weil die Rauchpartikel das Sonnenlicht dimmen, kühlen sie ganz leicht. Konkret bedeutet das, dass die Luft am Boden dann nicht ganz so heiß wird wie es die Wettermodelle vorhersagen." In der Nähe von Waldbränden sei sogar ein Unterschied durch Aerosole von drei bis vier Grad auf die Temperatur möglich. (dpa)
Studie: Klimawandel kostet in Deutschland jährlich 6,6 Milliarden
Der Klimawandel hat in Deutschland seit 2000 jährliche Schäden von durchschnittlich 6,6 Milliarden Euro verursacht. Insgesamt seien es rund 145 Milliarden Euro gewesen. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beauftragte Studie zu den Kosten der Klimawandelfolgen in Deutschland, die am Montag veröffentlicht wurde. (dpa)
MANCHE GEBIETE IN DEUTSCHLAND SIND NICHT MEHR BESIEDELBAR
Das sagte der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler, Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es gebe keinen Ort oder Landstrich in Deutschland, bei dem man nicht genauer hinsehen müsse, ob er angesichts von Unwettern und Flutkatastrophen besiedelt werden sollte oder nicht. Dazu zählen laut Tiesler nicht nur Gebiete in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die vergangenen Sommer von der Flutkatastrophe getroffen wurden, sondern auch Küstenregionen. In der Bevölkerung brauche es ein neues Krisenbewusstsein, erklärte Tiesler weiter: "Wir müssen lernen, dass die Krise zum Alltag gehört."
Uni Jena erhält 2,5 Millionen für Energiespeicher-Forschung
Ein Forschungsvorhaben für Batterien der Zukunft am Zentrum für Energie und Umweltchemie der Universität Jena wird vom Europäischen Forschungsrat über fünf Jahre mit 2,5 Millionen Euro gefördert. Mit dem Geld sollen acht Stellen für Forschende sowie zwei Stellen für Technikpersonal neu geschaffen werden, wie die Friedrich-Schiller-Universität vergangene Woche mitteilte. Um die Energiewende möglich zu machen, müssten leistungsfähige Speicher entwickelt werden.
Das Team um den Chemiker und Materialwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Schubert forscht zu sogenannten Redox-Flow-Batterien. Die Systeme haben den Angaben zufolge im Labor ihre Funktionsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt. Allerdings wiesen sie bisher noch deutliche Einschränkungen hinsichtlich Kapazität, Lebensdauer und Temperaturstabilität auf. Solche Einschränkungen sollen im neuen Projekt "FutureBAT" reduziert und im Idealfall beseitigt werden. (dpa)
MIT KOPFSPRUNG IN DIE KLIMAKATASTROPHE
Haben Sie in den vergangenen Wochen darauf geachtet, wie Medien die bevorstehenden heißen Tage bebildern? Sicherlich sind Sie dabei auf Bilder von Menschen im Freibad, am Strand oder am Badesee gestoßen. Das erinnert an Sommer, Freizeit, Badespaß. Tatsächlich geht es bei der Berichterstattung über Hitze mittlerweile immer öfter um drastische Gefahren für die Gesundheit, Naturkatastrophen oder landwirtschaftliche Engpässe. Diese Text-Bild-Schere sei ein Problem, erklärt der Sprecher des Netzwerks Klimajournalismus, Raphael Thelen, denn sie verzerre die Realität und mache Menschen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, unsichtbar.
Europaweite Kampagne: Wie tief gehen die Wurzeln von Ackerpflanzen?
Wie gut Weizen, Kartoffeln und Co. Dürreperioden überleben können, hängt auch davon ab, wie tief ihre Wurzeln in den Boden reichen können. Darüber weiß die Forschung bisher aber wenig, denn viele Fragen dazu, wie sich welche Pflanze auf welchem Untergrund entwickelt und wie tief sie ihre Wurzeln austreiben können, sind bislang kaum systematisch beantwortet worden. Wissenschaftler des deutschen Thünen-Instituts sind deshalb aktuell auf 12 Flächen in ganz Europa unterwegs, um Proben zu nehmen. Ende Juli sind sie deshalb für einige Tage im sächsischen Nossen, dem einzigen Standort in Deutschland im Rahmen der Kampagne. (ens)
Forscher warnen vor wachsenden, unbekannten Gefahren durch Medikamentenrückstände
Vor einer wachsenden Umweltgefährdung durch ausgeschiedene Medikamente warnt ein internationales Team von Pharmazeuten im Magazin Science. Wie die Gruppe um Professor Gorka Orive von der Universität des Baskenlandes in Spanien berichtet, sei das Wachstum an Medikamentenrückständen in der Umwelt dabei, den Beeinträchtigungen etwa durch steigende CO2 Emissionen den Rang abzulaufen. Weltweit würden immer mehr Medikamente eingesetzt, sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierzucht.
Während es dadurch unbestreitbar positive Effekte auf die Gesundheit von Menschen und Tieren gebe, wachse zugleich das Potenzial unbeabsichtigter Nebeneffekte in der Umwelt. Viele Arzneien seien noch in winzigsten Dosen wirksam auf biologische Organismen. Aus dem Abwasser würden sie entweder gar nicht oder nur unzureichend geklärt. Während die Gefahr bei Antibiotika und hormonell wirksamen Stoffen bereits diskutiert werde, seien antivirale Medikamente, wie sie auch in der aktuellen Pandemie häufig zum Einsatz kämen, in ihren Umwelteffekten praktisch kaum erforscht. (ens)
📻 Klima im MDR
👋 Zum Schluss
Zum Ende möchte ich mich noch für die Leserpost von Brigitte Stebe bedanken. Frau Stebe geht sehr sparsam mit dem Trinkwasser um, das vielleicht wenig Geld kostet, aber trotzdem extrem wertvoll ist. Sie schreibt: "Beim Duschen will keiner das kalte Vorlaufwasser haben und in der Küche laufen viele Liter vom Obst- und Gemüsewaschen in den Ausguss." Sie selbst hat deshalb an allen Wasserhähnen im Haus Eimer positioniert, in denen sie solches Wasser sammelt. "Sie würden sich wundern, welche Mengen da zusammenkommen", schreibt sie und dass das gesammelte Wasser der Garten bekommt oder die Straßenbäume in der Siedlung.
Frau Stebes Empfehlung möchte ich hier einfach weitergeben: Gehen Sie nicht nur sparsam mit Wasser um, sondern seien sie auch achtsam damit und setzen Sie es sinnvoll ein.
Herzlichst!
Ihr Clemens Haug
Danke an die aufmerksamen Lesenden, die den Kommafehler in der Zahl der Woche bemerkt haben - es muss nicht 0,00208 Cent pro Liter heißen, wie in der urpsrünglichen Fassung dieses Texts, sondern 0,208 Cent. Wir haben das korrigiert.