Emissionen wie Industriestaaten Wie Kriege die Klimakrise befeuern
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30. August 2024, 10:40 Uhr
Kriege, wie die in der Ukraine und im Nahen Osten, sind nicht nur eine Katastrophe für die Menschen vor Ort, sondern auch für das Klima. Denn die Emissionen, die durch das Kriegsgeschehen und seine Folgen entstehen, sind erheblich. Und auch die Aufrüstung der Nato verschlimmert das Problem weiter.
Die Klimakrise ist die "Mutter aller Krisen", sagte der kolumbianische Präsident Gustavo Francisco Petro Urrego im vergangenen Jahr vor der UN-Generalversammlung. Und deshalb müssen die Kriege auf der Welt beendet werden, um sich diesem größten Problem der Menschheit zu widmen. Urrego zielte dabei konkret auf die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten – nicht etwa, weil das die einzigen bewaffneten Konflikte auf der Welt wären, sondern weil deren Ende Vorbild sein könnte für eine politische Praxis des Friedens. Das ist sicher ein erstrebenswerter Wunsch, aber die Realität sieht aktuell anders aus: In der Ukraine ist keine Besserung in Sicht, im Nahen Osten befürchten viele sogar, dass der Krieg sich ausweiten könnte. Und die Kriege heizen dabei auch noch den Klimawandel – besagte "Mutter aller Krisen" – weiter an.
Global betrachtet, gehört das Militär zu den größten institutionellen Treibhausgasemittenten: Ein Bericht von "Scientists for Global Responsibility" und der Organisation "The Conflict and Environment Observatory" schätzt, dass das Militär im Jahr 2022 für etwa 5,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Wären alle Streitkräfte der Welt ein Land, dann läge das auf dem vierten Platz der größten Emittenten – noch vor Russland.
Wie wirkt sich ein Krieg auf das Klima aus?
Dass akutes Kriegsgeschehen einen direkten Einfluss auf die Treibhausgasemissionen hat, ist offensichtlich: An der Front werden allein schon Milliarden Liter Treibstoff verbrannt und zahllose Brände verursacht. Aber wie groß ist der Effekt? Mit den Klimafolgen des Krieges in der Ukraine hat sich unter anderem der Report "Climate Damage Caused By Russia’s War in Ukraine" der Forschungsgruppe "Initiative On Greenhouse Gas Accounting Of War" unter der Leitung von Klimaforscher Lennard de Klerk beschäftigt. Es ist bereits der vierte Report der Gruppe zu den Emissionen des Ukraine-Kriegs. Die Forschung wird von der deutschen und der schwedischen Regierung sowie einigen internationalen Klimaschutz-Institutionen gefördert, erhebt aber nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Publikation im klassischen Sinne – es gibt also keinen peer-review, also keine Bewertung durch unabhängige Gutachter desselben Fachgebiets.
Der Untersuchung zufolge lagen die Treibhausgasemissionen der ersten zwei Kriegsjahre bei 175 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Das entspreche etwa den Emissionen eines industrialisierten Landes wie den Niederlanden pro Jahr oder aber 90 Millionen neuen Verbrenner-Pkw auf den Straßen, bilanzieren die Forschenden. In den ersten Kriegsmonaten sei der Großteil der Emissionen durch die großflächige Zerstörung der zivilen Infrastruktur verursacht worden, die einen umfangreichen Wiederaufbau nach dem Krieg nötig macht. Nach zwei Jahren Krieg, so das Forschungsteam, stamme der größte Teil der Emissionen aus einer Kombination aus Kriegsgeschehen, Flächenbränden und Schäden an der Energieinfrastruktur.
Um die Emissionen von Kriegen zu bewerten, muss man also nicht nur die akute Phase betrachten, sondern auch die Nachwehen. Der Untersuchung zufolge werden rund 32 Prozent der kriegsbedingten Emissionen durch den Wiederaufbau verursacht. Um die zerstörten Gebäude, Verkehrswege, Industrieanlagen (bis Februar 2024 gut neun Millionen Einheiten) wieder neu zu bauen oder instandzusetzen, braucht es energieintensive Baumaterialien wie Beton und Stahl, die auch transportiert werden müssen. Auch zerstörte Maschinen und Fahrzeuge, die ersetzt werden müssen, sind in der Bilanz berücksichtigt. Die Kriegshandlungen an sich seien der zweitgrößte Faktor, so die Forschenden. Sie machen demnach 29 Prozent der Emissionen aus, wobei allein für den Treibstoff für Militärfahrzeuge und Flugzeuge insgesamt 44,5 MtCO2e anfallen. Dazu kommen außerdem die Belastungen durch Artillerie, Minen, Bomben, Granaten und Munition – sowohl bei der Herstellung als auch beim Einsatz im Krieg. Außerdem betrachten die Forschenden auch militärische Bauwerke auf beiden Seiten, wie Schutzmauern, Panzersperren und Schützengräben. Insgesamt beziffert das Forschungsteam die Emissionen für den Bereich der Kriegshandlungen auf 51,6 Millionen Tonnen CO2e.
Ähnliche Analysen gibt es auch für den Krieg in Gaza im Nahen Osten. Ein Forschungsteam aus Großbritannien und den USA hat etwa die Emissionen der ersten beiden Monate errechnet. Und allein die seien größer gewesen, als der jährliche CO2-Fußabdruck von mehr als 20 der durch den Klimawandel gefährdetsten Länder der Welt. Insgesamt beziffern die Forschenden den Ausstoß in den ersten 60 Tagen des Kriegs auf 281.000 tCO2e. Der Großteil davon (mehr als 99 Prozent) sei auf die Luftangriffe und die Bodeninvasion Israels zurückzuführen. Die im selben Zeitraum auf Israel abgefeuerten Hamas-Raketen hätten etwa 713 Tonnen CO2 erzeugt. Allerdings sind in der Untersuchung nur die Emissionen von Flugverkehr und Kriegsgerät eingerechnet. Andere Aspekte wie die Waffenproduktion oder ein späterer Wiederaufbau wurden nicht berücksichtigt.
Größte Hürde: Die dünne Datenlage
Aber wie kommt die Forschungsinitiative zu diesen Zahlen? Denn natürlich ist die Datenlage dünn, Kriegsparteien möchten sich zum einen nicht in die Karten schauen lassen und zum anderen ist die Datenerfassung mitten im Krieg natürlich schwerer möglich. Im Fall von le Klerks Team ist es so, dass sie sich unter anderem auf Daten der ukrainischen Regierung, der Zivilschutzbehörden und von ukrainischen Wissenschaftseinrichtungen stützen. Für die Schätzungen und Hochrechnungen bedienen sie sich zusätzlich der Veröffentlichungen europäischer und US-amerikanischer Militärdaten sowie anderer wissenschaftlicher Quellen. Einen Anspruch auf Vollständigkeit gibt es dabei aber keinesfalls – allein schon, weil es keine konkreten Daten aus Russland gibt und auch die Daten des ukrainischen Militärs unterliegen der Geheimhaltung. Andere Forschungsteams stützen sich aber unter anderem auch auf Satellitendaten und gleichen diese mit der Berichterstattung in den (Sozialen) Medien ab.
Militärische Emissionslücke Da die Länder ihre militärischen Emissionen laut UN-Klimarahmenkonvention nur auf freiwilliger Basis melden und das Militär in den Abkommen von Kyoto und Paris ausgenommen ist, fehlen oft Daten oder sie sind unvollständig. Deshalb gibt es eine "Militärische Emissionslücke" oder "military emissions gap". Die britische NGO CEOBS stellt alle verfügbaren Daten auf der Website militaryemissions.org für die Öffentlichkeit zur Verfügung.
Größere Untersuchungen sind aber vor allem erst nach Kriegsende möglich. Im Fall des Irakkriegs etwa zeigte eine Studie der Organisation "Oil Change International", dass er Emissionen in Höhe von 141 MtCO2e verursacht hat – also etwa so viel wie ein mittleres europäisches Land im Jahr. In Syrien rechnen Fachleute indes damit, dass allein der Wiederaufbau im Land rund 22 Millionen Tonnen CO2 freisetzen wird. Das legt trotz aller Unsicherheit bei den Daten nahe: Die klimatischen Auswirkungen von Kriegen haben ein geradezu katastrophales Ausmaß.
Nato: Steigende Militärausgaben treiben den Klimawandel
Kehren wir aber zum Abschluss noch etwas deutlicher vor der eigenen Haustür: Im Juli haben sich die Mitglieder der Nato zu ihrem 75. Jubiläumsgipfel in Washington D.C. getroffen. Dabei ging es natürlich auch um die militärische Unterstützung der Ukraine. Doch seit Beginn des dortigen Krieges ist im Verteidigungsbündnis auch das Thema Aufrüstung und militärische Abschreckung gegenüber Russland wieder mehr in den Fokus gerückt. Eine Entwicklung, die eben auch Folgen über das Militärische hinaus hat. Das weiß man auch bei der Nato: Generalsekretär Stoltenberg wies selbst bereits auf die "tiefgreifenden Auswirkungen auf die Sicherheit der Bündnispartner" durch die Beschleunigung des Klimawandels hin. Schon 2021 wurde ein Klima-Aktionsplan verabschiedet. Aber geht es wirklich voran?
Ein Zusammenschluss mehrerer NGOs und Forschungsgruppen hat sich der Datenlage zum Trotz mit der Frage beschäftigt, wie hoch die Nato-Emissionen sind – insbesondere vor dem Hintergrund steigender Militärausgaben der Bündnispartner. Und in ihrem Bericht warnen die Forschenden: Die Emissionen sind nicht zu unterschätzen. Demnach haben die Militärausgaben der Nato-Staaten in Höhe von 1,34 Billionen US-Dollar im Jahr 2023 insgesamt rund 233 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verursacht. Das sei mehr als die jährlichen Treibhausgasemissionen Kolumbiens oder Katars, heißt es in dem Bericht – und es ist etwa ein Drittel der gesamten jährlichen Emissionen Deutschlands. Die Nato habe ihre Ausgaben im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2022 um 126 Billionen US-Dollar erhöht. Dadurch sei der militärische Ausstoß von CO₂-Äquivalenten der Nato-Staaten um 15 Prozent angestiegen.
Doch das Problem seien nicht nur die höheren direkten Emissionen der Nato-Streitkräfte, bilanzieren die Forschenden. Denn wenn mehr Geld für das Militär ausgegeben werde, lenke das auch dringend benötigte Finanzmittel von Klimaschutzmaßnahmen ab und konsolidiere einen Waffenhandel, der während eines Klimazusammenbruchs zu mehr Instabilität führe, so der Bericht. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Problem eher größer als kleiner wird: Erst 23 von 32 Mitgliedsstaaten sollen 2024 das Nato-Ziel erreichen, mindestens zwei Prozent ihres BIP oder mehr in die Verteidigung zu investieren. Würden dagegen alle Mitgliedsstaaten das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen, "würde dies bis 2028 zu einem geschätzten kollektiven CO2-Fußabdruck des Militärs von insgesamt 2 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalenten führen", heißt es in dem Bericht.
Und dann gibt es ja auch noch die Nato-Partner, die ihr Soll übererfüllen – allen voran natürlich die USA. Einer Studie des "Costs of War"-Projekts der Brown University zufolge trägt das US-Verteidigungsministerium allein mehr zur Klimakrise bei als Länder wie Schweden oder Portugal.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. August 2024 | 17:10 Uhr