Interview zu Artenschutz und Klimaschutz Junge und weibliche Fledermäuse sterben an Windrädern
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17. Dezember 2021, 12:21 Uhr
Windräder stehen auf Feldern und auf dem Meer, bald möglicherweise auch in Wäldern. Und sie erzeugen sauberen Strom. Allerdings: Wie viele Tiere durch die Windräder zu Schaden kommen, das können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur schätzen. Dr. Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin macht sich im MDR WISSEN Interview Sorgen, dass Klimaschutz und Artenschutz nicht ausreichend zusammen gedacht werden.
Christian Voigt ist 54 Jahre alt und Wildtierbiologe. Er hat bereits mehr als 250 Mal zu Fledermäusen publiziert und arbeitet am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Seine neueste Erkenntnis: Wenn an Windrädern Fledermäuse sterben, sind das vor allem Jungtiere und weibliche Tiere. Das bedroht den Fledermausbestand.
Als Voigt vor einer Weile in Niedersachsen mit Ultraschall-Detektoren nach Fledermäusen suchte, blieb es "totenstill im Wald". Das habe ihn, so der Forscher, nachdenklich und traurig gemacht. Das würde ihn aber auch motivieren, weil er hofft, mit seiner Arbeit Artenschutz und Klimaschutz zu verbinden.
MDR WISSEN: Herr Voigt, wie kommen Fledermäuse an Windrädern zu Schaden?
Christian Voigt: Fledermäuse fliegen in den Einzugsbereich der Rotorblätter und kollidieren entweder mit den Rotorblättern. Dabei kommen sie sofort zu Tode. Oder sie kommen in die Luftverwirbelungen an oder hinter den Rotorblättern. Und das verursacht ein sogenanntes Barotrauma. Man findet dann äußerlich unversehrte Tiere als Schlagopfer unter den Anlagen. Bei diesen Tieren finden wir innere Blutungen. Das liegt vermutlich daran, dass die Rotorblätter schnelle Luftdruckänderungen verursachen, die die Tiere nicht ausgleichen können. Und an immer größer werdenden Anlagen wirken auch immer stärkere physische Kräfte.
So sind die Forscher zu ihren Erkenntnissen gekommen
Voigt und seine Kollegen und Kolleginnen haben die Merkmale von etwa 650 Rauhautfledermäusen untersucht, die im Sommer nach Deutschland ziehen. Sie haben Geschlecht, Alter und geografische Herkunft ausgewertet – von getöteten Fledermäusen und von Individuen aus lokalen Beständen, die in Netzen gefangen oder in künstlichen Tagesquartieren beobachtet wurden.
Jungtiere erkunden ihre Umgebung – und sterben
MDR WISSEN: Sie haben herausgefunden, dass vor allem junge Fledermäuse und weibliche Fledermäuse an Windrädern zu Schaden kommen. Gibt es dafür eine Erklärung?
Christian Voigt: Wir wussten das bereits aus Anekdoten und haben es jetzt statistisch anhand der großen Schlagopfer-Datei nachgewiesen, die am Landesamt für Umwelt in Brandenburg existiert. Dort haben wir einen höheren Anteil an Jungtieren als Schlagopfer gefunden als in der Gesamtpopulation. Wir haben auch einen relativ hohen Anteil ein Weibchen gesehen, aber das entspricht ungefähr dem Verhältnis von Männchen zu Weibchen in der Gesamtpopulation. Vermutlich kommen Jungtiere an den Anlagen zu Tode, weil sie ihre Umgebung erkunden.
MDR WISSEN: Fledermäuse sind gefährdet. Warum sind sie für ein Ökosystem wichtig?
Christian Voigt: Sie sind extrem wichtig für das Ökosystem, zum Beispiel bei der Regulation von Insektenpopulationen. Sie verzehren Schadinsekten. Eine unserer nächsten Studien zeigt, dass der Große Abendsegler zum Beispiel ungefähr 20 Prozent Schadinsekten verzehrt. Schadinsekten aus der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, aber auch Moskitos. Wenn wir diese Tiere und ihre Leistungen verlieren – und es kommen ja Zehntausende, möglicherweise Hunderttausende Tiere jedes Jahr in Deutschland zu Tode – dann müssen wir das anderweitig kompensieren. Möglicherweise, indem wir mehr Insektizide ausbringen, denn wir wollen diese Schadinsekten, die unsere Ernte reduzieren, unter Kontrolle halten.
Überall wo Windkraftanlagen stehen, sterben Fledermäuse
MDR WISSEN: Ist das nur ein Problem für Windräder an Land?
Christian Voigt: Es ist sowohl ein Problem für die Windkraftanlagen auf dem Land als auch auf der See. Wir haben in Deutschland ungefähr 30.000 sogenannte Onshore-Windkraftanlagen. Ein Viertel der Anlagen werden bei besonders hoher Fledermaus-Aktivität, bei relativ hohen Temperaturen betrieben. Bei niedrigen Windgeschwindigkeiten werden die Anlagen abgestellt, damit Fledermäuse geschützt werden. Aber 75 Prozent der Anlagen laufen ohne solche Abschaltzeiten, weil wir diese Abschaltung erst seit 2008 praktizieren.
Bei den Anlagen im Offshore-Bereich betrifft es hauptsächlich migrierende Fledermäuse. Wir wissen aus akustischen Erhebungen und aus Telemetrie-Studien, dass Tiere tatsächlich die Ostsee oder die Nordsee kreuzen. Es gibt einen regelmäßigen Flugverkehr. Aber inwiefern die Arten zu Tode kommen, das wissen wir nicht, weil wir nicht an die Anlagen kommen. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit hat das auch einen Effekt.
MDR WISSEN: Wie sähe denn eine Lösung aus? Technische Lösungen gibt es ja offenbar.
Christian Voigt: Es gibt technische Lösungen, die man durchsetzen muss. Neue Anlagen müssen Auflagen bekommen. Meine große Sorge ist, dass die Naturschutzgesetzgebung ausgehebelt wird, weil auf Windkraft gesetzt wird und dass Fledermäuse nicht mehr zählen. Und das bereitet mir große Sorge, weil es ein ökologischer Dammbruch ist. Wenn wir wegen wirtschaftlicher Interessen und denen des Klimaschutzes den Artenschutz aushebeln, kann es vielleicht in anderen Bereichen auch zu nachfolgenden Problemen kommen. Einerseits müssen wir unser Klima schützen, aber wir müssen auch Sorge tragen, dass wir unsere Biodiversität erhalten. Beides zusammenzubringen ist manchmal relativ schwierig.
Auf Windkraft verzichten wegen Fledermäusen?
MDR WISSEN: Ist es machbar?
Christian Voigt: Ja, aber man muss sich genau überlegen: Woher wollen wir unsere erneuerbaren Energien bekommen. Ich persönlich halte die Solarkraft für weniger mit Folgeschäden behaftet als die Windkraft. Die große Frage ist: Wo hat all das den geringsten ökologischen Nebeneffekt? Dann können wir tatsächlich zu einer ökologisch nachhaltigen Energiewende kommen. Aber wir dürfen jetzt nicht das übers Knie brechen. Wenn hier etwas auf Biegen und Brechen durchgepaukt wird, ist es weder für den Naturschutz noch für unsere Gesellschaft gut.
MDR WISSEN: Die Rohstoffe von Solaranlagen können am anderen Ende der Welt Schaden anrichten. Außerdem läuft uns in der Klimakrise die Zeit davon. Was also tun?
Christian Voigt: Man muss natürlich in der Gänze schauen, wie ökologisch nachhaltig diese Rohstoffe hierher geschafft und wie Bauteile auch wieder entsorgt werden. Ja, wir sind in Zeitnot. Aber wir dürfen nicht in Aktionismus verfallen, sondern wir müssen das umsetzen, was wir bereits wissen, und zu einer ökologisch nachhaltigen Energiewende kommen. Ich sehe das derzeitige politische Momentum mit großer Sorge, weil wenig wissenschaftliche Expertise aus dem Naturschutz abgefragt wird und selbst Naturschutzorganisationen den Biodiversitätsschutz vernachlässigen. Wir befinden wir uns einem riesengroßen Massenaussterben-Ereignis. Biodiversitätsschutz und Klimaschutz sind gleichwertige Ziele. Das muss in politischen Aktionen und der Energiewende beachtet werden.
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