Virologe Alexander Kekulé "Mit dem Coronavirus können wir gut klarkommen"
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06. Februar 2020, 14:09 Uhr
Beim Thema Coronavirus gibt es derzeit mehr Fragen als qualifizierte Antworten. Verbunden mit der entsprechenden Unsicherheit bei vielen Menschen. Einer, der sich auskennt, ist der Virologe Alexander Kekulé aus Halle. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie gefährlich das Virus eigentlich ist, warum der Vergleich Grippe unpassend ist, was jetzt passiert und für wie außergewöhnlich er die Epidemie hält.
Herr Kekulé, viele Länder melden täglich neue Infektionsfälle mit dem Coronavirus. Wie gefährlich ist es denn nun eigentlich?
Das Virus ist, kurz gesagt, eigentlich ein Virus, das Sars erzeugt. Es ist die gleiche Krankheit wie 2003. Die Behörden sagen das nicht so offen, aber ich stelle fest, dass wir genau den gleichen Krankheitsverlauf haben und einen sehr ähnlichen Verbreitungsmechanismus. Und von der Schwere ist es nicht ganz so schlimm. Bei Sars starb jeder zehnte. Heute ist, wenn die aktuellen Daten aus China stimmen, die Letalität ungefähr bei zwei Prozent. Meine Vermutung ist, dass sie wohl noch einiges darunter liegt, also irgendwo unter zwei Prozent. Damit ist diese Erkrankung wesentlich gefährlicher als die Grippe. Es gibt viele Behörden in Deutschland, die nicht müde werden zu sagen, die Grippe sei viel schlimmer. Das ist schlichtweg falsch. Die Grippe hat eine individuelle fallbezogene Letalität von ungefähr eins zu tausend oder weniger. Bei diesem neuen Virus liegt es bei zwei Prozent. Das wäre eins zu fünfzig.
Wenn wir von Todesfällen reden, dann häufig in Zusammenhang mit einem vorab geschwächten Immunsystem. Übersteht man die Infektion im Normalfall?
Normalerweise übersteht man die Infektion natürlich schon deshalb, weil es 98 Prozent überleben, wenn zwei Prozent sterben. Es ist aber so, dass wir aus China da sehr widersprüchliche Mitteilungen haben. Am Anfang hieß es, dass überhaupt keine Mensch-zu-Mensch-Übertragungen, beobachtet werden. Nach aktuellen Informationen war das wohl bewusst eine Fehlinformation der Öffentlichkeit seitens der chinesischen Behörden. Dann hieß es, ausschließlich Menschen mit Vorerkrankungen können schwer getroffen werden – also alte Menschen, die sowieso schon herz- oder lungenkrank sind und ähnliches. Es gibt aber auch aktuelle Berichte, dass auch Ärzte gestorben sind, die eigentlich im gesunden Berufsleben standen und wahrscheinlich nicht schwer krank zur Arbeit gekommen sind. Da sind die Angaben widersprüchlich, so dass ich mich jetzt nicht darauf verlassen würde, dass für eine gesunde 35-jährige Krankenschwester oder einen Krankenpfleger keine Gefahr besteht, schwerst zu erkranken.
Zur Person
Der Arzt, Biochemiker und Virologe Prof. Alexander S. Kekulé stammt aus München und ist Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie am Uniklinikum in Halle. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bioethik, biologischer Bevölkerungsschutz, Infektionskrankheiten und Influenza-Pandemieplanung.
Womit rechnen Sie als Virologe: Wir lange werden wir es mit dem Virus zu tun haben und kann man das überhaupt so prognostizieren?
Auch hier muss ich der Prognose der chinesischen Regierung entschieden widersprechen. Die haben vor einer Woche gesagt, dass die ganze Sache in ein bis zwei Wochen ihren Höhepunkt erreichen wird. SARS hatte etwa sechs Monate gedauert und ist dann schlagartig verschwunden. Wahrscheinlich hat das auch damit zu tun gehabt, dass das Virus sich am Schluss der Sars-Epedemie 2003 verändert hat. Aber auch zu tun gehabt mit den Maßnahmen, die ergriffen wurden. Bei den Corona-Viren ist es leichter als bei der Grippe, durch Hygienemaßnahmen und das, was wir soziale Distanzierung nennen. Also gewisse Verhaltensänderung, dass man sich nicht mehr so oft umarmt, nicht so oft küsst, man sich, wenn man sich die Hand gegeben hat, die Hände wäscht und so weiter. Wir wissen, dass dadurch Corona-Viren relativ gut in den Griff zu bekommen sind. Zumindest haben wir das bei Sars und auch bei einem ähnlichen Virus vor einigen Jahren erlebt. Vor diesem Hintergrund kommt es jetzt ganz entschieden darauf an, ob China es schafft, etwa 14 Tage lang möglichst viele soziale Kontakte zu unterbrechen. Das können natürlich auch nur totalitäre Systeme machen, aber durch die sehr, sehr radikalen Maßnahmen ist es möglich, dass die Infektionskette länger als zwei Wochen generell unterbrochen wird. Und dann wäre das Virus so gut wie weg.
Die zweite Frage, die sich natürlich stellt, ist, ob im Ausland, also speziell in weniger gut entwickelten Ländern, diese Epidemie weitergeht. Da ist meine Befürchtung, dass – durch spätes Handeln der Weltgesundheitsorganisation und auch durch anfängliche Vertuschung durch die chinesische Regierung – das Virus jetzt in mehreren schlecht entwickelten Ländern ausgebrochen ist und man es sehr lange Zeit nicht unter Kontrolle bekommen wird.
Die dritte Frage, die natürlich die Deutschen interessiert: Hier bin ich der Meinung, dass es ein grober Fehler war, wirklich wochenlang Reisende aus China völlig unkontrolliert einreisen zu lassen, während in den USA und anderswo schon die Einreisekontrollen stattgefunden haben. Eigentlich hat die Lufthansa hier der Bundesregierung einen Riesengefallen getan, indem sie die Flüge abgesagt hat. Das, was der Gesundheitsminister nicht hingekriegt hat, hat die Lufthansa einfach eigenständig gemacht. Es gibt nur noch wenige Flüge aus China, die übrigens nach wie vor nicht kontrolliert werden, obwohl ich das dringend gefordert habe und weiterhin fordere. Wir können hoffen, dass möglichst wenige Infektionen eingeschleppt werden und dass man die dann, so wie in dem Fall in München, von Fall zu Fall durch sehr großen Aufwand des Gesundheitsamts wirklich erfolgreich nachverfolgen kann.
Sind die Maßnahmen, die jetzt in China und Deutschland getroffen werden, aus Ihrer Sicht wirkungsvoll?
Ob das wirkungsvoll ist, wissen wir noch nicht. Was in China passiert, ist das Maximale, was man sich überhaupt vorstellen kann. Man muss sich wirklich fragen, wie viele Schwerkranke auf Grund der Maßnahme nicht operiert werden können, wie viele Menschen erreichen aufgrund der Sperren nicht mehr das Krankenhaus, obwohl sie dahin müssen. In Deutschland ist die Situation eher andersherum. Da ist man extrem gelassen und meint, die Bevölkerung nicht verunsichern zu dürfen. Das könnte man natürlich durch gute Aufklärung besser machen. Die Alternative, die jetzt stattfindet, ist, das das Gesundheitsamt mit einem irrsinnigen Personalaufwand meines Wissens über achtzig Personen nachverfolgt hat. Also statt den Dingen dann sekundär hinterherzurennen, muss man Einreisekontrollen am Flughafen machen – und dafür ist es auch jetzt noch nicht zu spät.
Was passiert jetzt hinter den Kulissen?
Was da passiert, wenn so ein neues Virus auftaucht, ist eigentlich inzwischen zum Glück fast Routine. Wir haben diese Fälle ja immer wieder gehabt. Virologen verständigen sich darüber, welche Methoden geeignet sind, das Virus nachzuweisen. Als nächstes versuchen die Wissenschaftler, Gegenmittel zu entwickeln. Bei Corona-Viren ist es extrem schwierig. Wir haben vier verschiedene Coronavirus-Stämme, die sowieso schon immer in in Deutschland und Europa zirkulieren. Die machen bekannte Erkältungskrankheiten und gegen die hat man schon seit vielen Jahren immer wieder versucht, Gegenmittel oder auch Impfstoffe zu entwickeln. Das ist bisher immer gescheitert und extrem schwierig, weil dieses Virus sich sehr, sehr schnell genetisch verändert. Ein Impfstoff, der am Anfang einer Erkältungswelle, wirksam wäre, der ist schon seit ein, zwei Monaten nicht mehr wirksam. Kollegen in Australien ist es gelungen, das Coronavirus in der Zellkultur zu vermehren. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Aber ich bin ganz sicher, dass es während des jetzigen Ausbruchs mit dem neuen Coronavirus keine Impfstoffe geben wird. Das dauert viel zu lange.
Ich kann allgemein sagen: Es gibt eine Reihe von Wirkstoffen, die antiviral wirken, von denen wissen wir, dass sie die Vermehrung von Viren hemmen können. Da ist es so, dass einige dieser Wirkstoffe tatsächlich auch bei den Corona-Viren nach ersten, sehr vorsichtigen Schätzungen eine gewisse Wirkung haben. Ob das jetzt ausreicht, um zu bewirken, dass Patienten, die besonders schwere Verläufe haben, weniger schwer krank werden oder seltener sterben, das kann man jetzt noch überhaupt nicht sagen.
Ist das, was gerade passiert, etwas Außergewöhnliches für Sie?
Aus virologische Sicht ist das nichts, was mich jetzt schlecht schlafen lässt. Wir haben hier ein Virus, das wesentlich weniger infektiös ist als die Grippe und was auch weniger Sterblichkeitzur Folge hat als eine komplett neue Grippepandemie. Also das, wovor wir immer Angst haben, wie beispielsweise bei der Grippepandemie von 1918, der sogenannten Spanischen Grippe. Aus Sicht des nüchternen Virologen ist das ein sehr wichtiges Ereignis. Aber eins, mit dem wir zumindest in den Industrieländern ganz gut klarkommen können.
Das wievielte Interview zum Coronavirus geben Sie jetzt schon?
Oh weh, ich würde sagen: Mit Druck, Radio und Fernsehen waren es in den letzten Wochen auf keinen Fall unter 80. Ich muss sagen, ich bin überhaupt nicht dafür, dass das so durch die Medien hochgepeitscht wird. Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland sind weltweit absolutes Vorbild, das Gleiche gilt auch für die deutsche, seriöse Presse. Ein riesiges Problem sind die sozialen Medien, die in der letzten Zeit gerade bei diesem Thema enorme Mengen an Verschwörungstheorien und Fake-Fakten generiert haben. Ich habe jetzt tatsächlich angefangen, selber bei Twitter einen eigenen Kanal aufzumachen, unter meinem Namen, weil ich versuche, auch in den sozialen Medien dieser krassen Desinformationen gegenzuhalten. Mal sehen, ob es klappt.
Herr Kekule, vielen Dank!
Gespräch: Karsten Möbius
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