Grünes Wunder? Landwirtschaft: Weniger düngen, weniger Lebensmittelsicherheit?
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13. Juni 2023, 17:11 Uhr
Der European Green Deal soll Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Dabei spielt auch die Landwirtschaft eine Rolle. Bis 2030 soll der Düngemitteleinsatz um zwanzig Prozent reduziert werden. Noch gibt es keine konkreten Regelungen dazu. Klar ist nur: Auch in Deutschland gibt es Flächen, in denen der Nitratgehalt im Grundwasser deutlich zu hoch ist. Zwei Landwirte berichten über ihre Düngepraxis und was die Entscheidung aus Brüssel für sie bedeutet.
An einem lauen Donnerstagmorgen mache ich mich auf den Weg in ein kleines Dorf südwestlich von Leipzig. Aus der Großstadt hinaus aufs Land. Von vierspurigen Bundesstraßen geht es auf schmale Landstraßen, die rechts und links von Bäumen gesäumt sind. Dahinter erstrecken sich scheinbar unendliche, gelb leuchtende Rapsfelder. Ich biege in einen unscheinbaren Weg ein. Linker Hand liegt eine Tankstelle, rechts ein langgestrecktes einstöckiges Gebäude und weiter hinten reihen sich große Maschinenhallen aneinander. Ich parke das Auto auf dem letzten freien Platz auf einer geschotterten Fläche vor dem Bungalow.
Stefan Heilmann, einer der drei Vorstände der Agrarprodukte Kitzen e.G. erwartet mich schon. Aus dem Fenster des rechten Gebäudes winkt er mir zu und bittet mich in sein Büro. Wir nehmen an einem langen Konferenztisch Platz. "Wir sind Agrarprodukte Kitzen und bewirtschaften hier in der Region Leipzig 3.300 Hektar Ackerland. Wir haben Milchviehhaltung, Schweinemast, Schweinezucht, Biogasanlagen und eine Direktvermarktung. Den Hofladen Leipzig bauen wir jetzt aus und versuchen, eine ordentliche und saubere Landwirtschaft zu betreiben."
Nährstoffe für die Böden
Die Genossenschaft Agrarprodukte Kitzen ist ein konventionell bewirtschafteter Betrieb. Das bedeutet, um die Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen, darf sowohl mit organischem als auch mit chemischem Dünger gearbeitet werden. Ein Unterschied zwischen beiden Dünger-Kategorien besteht darin, dass organischer Dünger aus natürlichen, organischen Stoffen wie beispielsweise Mist und Jauche gewonnen wird, während chemischer Dünger künstlich in der Industrie hergestellt wird. Ein weiterer wesentlicher Unterschied liegt darin, dass organische Düngemittel erst mithilfe von Mikroorganismen im Boden in die einzelnen Nährstoffe aufgespalten werden und dadurch auch zum Humusaufbau beitragen, während chemische Düngemittel als Ionen sofort als Nährstoff für die Pflanzen verfügbar sind.
Da die Agrarprodukte Kitzen einen eigenen großen Viehbestand besitzt, wird hier überwiegend mit organischen Düngemitteln gearbeitet, erklärt mir Stefan Heilmann: "Durch unsere Rinder und Schweine haben wir sehr viel organische Düngemittel, mit denen wir unsere Felder düngen. Einen Teil der Gülle vergären wir in unserer Biogasanlage." So wird zum einen Energie gewonnen, zum anderen werden mit dem Gärsubstrat die Felder gedüngt. Was an eigenem Wirtschaftsdünger nicht reicht, wird in Form von mineralischem Dünger zugekauft.
Stefan Heilmann betont, dass er als Landwirt sehr genau darauf achtet, wo er wie viel düngen muss: "Wir nutzen Satellitenbilder, auf denen wir sehen, wo schlechtere oder bessere Pflanzenbestände sind. So können wir den Dünger bedarfsgerecht an die Pflanze bringen."
Qualitäten gehen über alles
Ganz ohne Dünger funktioniert Landwirtschaft nicht, sagt Stefan Heilmann: "Wir düngen jetzt das, was die Pflanze braucht. Wenn wir weniger düngen würden, würde nicht der Ertrag rauskommen. Und was viel schlimmer ist, die Qualitäten würden dann auch nicht mehr kommen. In der Folge kann der Bäcker das Getreide nicht mahlen und zu Brot verarbeiten, weil die Eigenschaften dann nicht mehr gegeben sind."
Getreide ist eben nicht gleich Getreide. Es muss bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, damit es von der Lebensmittelindustrie abgenommen wird. Getreide, dass diesen Standards nicht genügt, kann sonst nur als Futtermittel verwendet werden. Ob diese Qualitätskriterien angemessen sind, steht auf einem anderen Blatt. Bernhard Osterburg, Agrarökonom am Thünen-Institut mit Forschungsschwerpunkt landwirtschaftliche Düngung und Wasserschutz erklärt: "Backweizen mit neuen Züchtungen braucht gar nicht so viel Rohprotein im Mehl oder im Saatkorn. Es ist aber trotzdem noch der Leitindikator für hohe Backqualität. Da wird viel diskutiert, auch auf Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, ob man zu neuen Qualitätsansätzen kommen kann und stärker schaut, wie viel Backweizen benötigt wird und wie viel Dünger dieser braucht.
Wenn wir weniger düngen würden, würde nicht der Ertrag und die Qualitäten rauskommen.
Neben dem Weizen gibt es noch weitere Erzeugnisse, die dank den Qualitätskriterien des Einzelhandels eine üppige Düngung erhalten: "In Deutschland gibt es ein paar Besonderheiten, zum Beispiel Blumenkohl. Dieser wird mit Blattgrün verkauft, obwohl der Blumenkohl auch sehr gut bekömmlich ist, wenn ein, zwei Blätter mal gelb sind. Gelbe Blätter zeigen auch an, dass der Kohl nicht komplett mit Stickstoff überdüngt worden ist", erläutert Bernhard Osterburg.
Das Problem mit dem Nitrat
Und da, wo viel gedüngt wird, besteht auch die Gefahr, dass die Nitratwerte im Grundwasser steigen. Schon seit mehreren Jahren ist bekannt, dass in einigen Regionen Deutschlands der Nitratgehalt im Grundwasser zu hoch ist. Um das Problem in den Griff zu bekommen, wurde die Düngeverordnung in den vergangenen Jahren mehrfach angepasst. Schaut man sich allerdings Zahlen aus den vergangenen vierzig Jahren an, so fällt auf, dass der Düngemitteleinsatz bereits Ende der Achtzigerjahre stark zurückgegangen ist.
Bernhard Osterburg erklärt das so: "Es gab vom Sachverständigenrat für Umweltfragen 1985 ein großes Umweltgutachten, wo auf die Nitratverschmutzung der Gewässer stark hingewiesen worden ist. Es gab also daher mehr Umweltbewusstsein und gleichzeitig hat man gesehen: Immer mehr Düngung bringt nicht in jedem Falle immer mehr Ertrag, sondern man kommt an Grenzen und die Düngung lohnt sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, sondern schlägt um in keinen Nutzen oder sogar Schaden. Und danach sind tatsächlich die Düngermengen zurückgegangen."
Trotz dieser Reduktion kann Deutschland an vielen Standorten den europäischen Nitrat-Schwellenwert von fünfzig Milligramm pro Liter nicht einhalten. Deshalb plant die EU mit dem Green Deal neue Regeln zu schaffen.
Die Verluste durch die Düngemittelreduktion wären aus heutiger Sicht für den Landwirt nicht zu stemmen.
Doch zurück zu Landwirt Stefan Heilmann ins sächsische Kitzen. Was würde eine Reduktion von Düngemitteln um zwanzig Prozent für ihn bedeuten? "Momentan ist das ja fiktiv. Das Wetter spielt auch immer eine große Rolle beim Wachsen der Pflanzen. Aber über die Dauer gesehen wären die Verluste schon hoch und aus heutiger Sicht nicht zu stemmen für den Landwirt."
Gemeinsam verlassen wir das Verwaltungsgebäude. Nachdem wir so viel über Pflanzenanbau und Düngung gesprochen haben, möchte mir Stefan Heilmann noch einige seiner Ackerflächen zeigen. Wir steigen in sein Auto – einen Hybrid-Geländewagen – und fahren los. Im Hintergrund dudelt leise das Radio. Während der Fahrt macht er mich auf die zwanzig Meter breiten Blühstreifen neben seinen Äckern aufmerksam. Diese sogenannten ISA-Streifen tragen zum Insektenschutz und der Artenvielfalt bei. Obwohl Stefan Heilmann höhere Erlöse erzielen könnte, würde er diese Flächen mit Getreide bepflanzen, hat er sich dazu entschieden, die Streifen zugunsten der Natur unbewirtschaftet zu lassen.
Umweltbewusstes Handeln im konventionellen Betrieb
Unser Ziel: Der gläserne Kuhstall und der Hofladen zwischen Leipzig-Knauthain und Leipzig-Grünau. Als wir ankommen, herrscht gerade Hochbetrieb vor dem Hofladen. Eine Gruppe Schulkinder in gelben Warnwesten steht in kleinen Grüppchen vor dem Laden. Zweitklässler, wie sie uns auf Nachfrage mitteilen. Sie sind gerade fertig mit der Stallbesichtigung geworden und wollen nun noch eine Kleinigkeit im Hofladen kaufen.
Transparenz und Wissensvermittlung sind Stefan Heilmann wichtig. So gibt es Angebote für Schulklassen, den Betrieb zu besichtigen und sich einen Eindruck zu machen, wie Landwirtschaft funktioniert und woher die Lebensmittel kommen. Auch für andere Interessierte öffnet die Agrarprodukte Kitzen ihr Tore: "Wir machen bei uns regelmäßig Hoffeste und zeigen den Leuten vor Ort, wie Landwirtschaft aussieht. Und wir spüren dort auch großes Verständnis. Deswegen würde ich mir wünschen, dass die Leute uns besuchen, sich das angucken und Landwirtschaft besser verstehen lernen."
Nach einer kleinen Führung durch den modernen Kuhstall, der im Landeswettbewerb 2021/2022 für seine artgerechte Haltung von Milchkühen ausgezeichnet wurde, und einer Besichtigung des nicht nur durch Schulkinder gut besuchten Hofladens machen wir uns auf den Rückweg nach Kitzen. Ich frage Stefan Heilmann nach seinen Wünschen für die Zukunft. "Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass man viel näher an Entscheidungen mit teilhaben kann. Ob das jetzt der Bauernverband ist – das kann ja nicht jeder Landwirt sein – aber dass einfach viel, viel mehr gesprochen wird. Ich würde mir wünschen, wenn man über solche Themen wie Landwirtschaft spricht, dass die Bauern mit ins Boot geholt werden, die haben einfach das Fachwissen."
Landwirt Heilmann lebt von der Natur und mit der Natur. Breite Blühstreifen am Feld, ein gläserner Kuhstall und eine bedarfsgerechte Düngung der Felder. Das geht auch mit konventioneller Landwirtschaft. Doch wie machen das eigentlich Bio-Landwirte? Was machen sie anderes? Und was sagen sie dazu, dass Brüssel strengere Düngerichtlinien plant?
Ich würde mir wünschen, dass die Bauern mit ins Boot geholt werden, wenn man über Landwirtschaft spricht, denn die haben das Fachwissen.
Eine Woche später bin ich wieder unterwegs. Dieses Mal geht es an den Rand der Dübener Heide zum Hof Prautzsch. Hier bin ich mit Werner Prautzsch verabredet. Der hochgewachsene 81-Jährige hat mit seiner Frau nach der Wende die Ackerflächen der Familie aus der alten LPG herausgenommen und mit der Bewirtschaftung begonnen. Was 1994 mit vierzig Hektar im Nebenerwerb begann, ist heute mit 180 Hektar Haupterwerb. In der Zwischenzeit führt seine Tochter Sylvia den Betrieb weiter. Das Besondere: Hof Prautzsch wurde schon immer biologisch bewirtschaftet. "Ich habe zuerst Autoschlosser gelernt und dann habe ich studiert, Ingenieurökonomie. Anschließend war ich als Diplomingenieurökonom in einer LGV-Abteilung tätig, zu DDR-Zeiten. Erst nach der Wende habe ich mit der Landwirtschaft angefangen", erzählt mir Werner Prautzsch. "Da ich keine Ahnung hatte von Ackerbau und Viehzucht, habe ich gesagt, ehe du jetzt das Düngen und die Chemie lernst, fängst du gleich von Anfang an mit Bio an. Darauf habe ich mich konzentriert und mich dementsprechend weitergebildet. Ich habe alle Vorträge und Lehrgänge, die es gab, genutzt und habe mir all das Wissen angeeignet."
Wie geht's bio?
Seit einigen Jahren ist Hof Prautzsch sogar ein Demonstrationsbetrieb im bundesweiten Netzwerk Ökologischer Landbau, der Landwirten und Verbrauchern Einblick in die Öko-Landwirtschaft gibt. Heute sind Bauer Prautzsch und seine Tochter Gastgeber für einen Praxistag der Gäa Vereinigung Ökologischer Landbau. Es geht um die Frage, wie Ackerfutterbau und Grünlandbewirtschaftung bei immer weniger Niederschlag möglich sind. Auf dem schönen Dreiseitenhof direkt im Zentrum des kleinen Örtchens Krippehna herrscht ein regelrechtes Gewusel. Ungefähr dreißig Landwirte sind da, sogar aus Franken sind welche angereist. Ich werde eingeladen, mich der Gruppe anzuschließen. Wir fahren raus auf die Weide zu der Herde Angus-Rinder, circa dreißig Mutterkühe mit ihrem Nachwuchs und dem Deckbullen. Durchs kniehohe Gras stapfen wir an die Weide heran, die Rinder kommen neugierig muhend zum Zaun gelaufen. Aus der Ferne müssen wir ein lustiges Bild abgeben: Eine Gruppe Menschen, die einer Gruppe Rinder in allen möglichen Größen gegenübersteht, nur getrennt durch einen dünnen Stromzaun. Nachdem wir uns im Halbkreis um ihn versammelt haben, beginnt Edmund Leisen vom Öko-Team der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen seinen Vortrag über Grünlandbewirtschaftung.
Nährstoffgewinnung aus der Fruchtfolge
Was kann ich wo anpflanzen, wie viel Wasser braucht eine bestimmte Ackerfrucht und habe ich dafür genug Niederschlag und einen Boden, der dieses Niederschlagswasser ausreichend speichern kann? Das sind Fragen, mit denen sich auch Landwirt Werner Prautzsch seit knapp dreißig Jahren täglich beschäftigt. Er hat sich dafür entschieden, auf Stickstoffdünger gänzlich zu verzichten. Doch wie funktioniert das? Werner Prautzsch erklärt: "Wir machen das aus der Fruchtfolge. Als Fruchtfolge habe ich mir angewöhnt, drei Jahre Getreide anzubauen, Weizen, Roggen, Gerste und Hafer. Und nach drei Jahren sind ja praktisch die Nährstoffe im Boden so gut wie verbraucht. Dann habe ich ein Jahr Leguminosen angebaut, Erbsen oder Lupinen. Die binden den Stickstoff aus der Luft und bringen den wieder in den Boden. Aber das reicht nicht lange, das reicht nur für die Frucht, die da steht. Und dann machen wir noch zwei Jahre Getreide. Und wenn das vorbei ist, wenn die gesamte Zeit dann vorbei ist, dann machen wir Ackerfutter. Und das drei Jahre lang. In den drei Jahren bauen wir ein Gemisch aus Luzerne, Weißklee und Gras an."
Und vor allem Luzerne, so erklärt mir Werner Prautzsch weiter, hat die Eigenschaft, Stickstoff aus der Luft zu binden. Außerdem reichen die Wurzeln der Pflanze tief in die Erde. Wenn dann schließlich die Fläche umgebrochen wird, wird durch die vielen Wurzeln der Humus angereichert. Erst dann kann wieder mit Getreide eine neue Fruchtfolge begonnen werden.
Das Wetter macht den Unterschied
Durch die Fruchtfolge den Boden mit Nährstoffen versorgen – das klingt kompliziert und zeitaufwendig und vor allem muss langfristig die Fruchtfolge geplant werden. Aber kann Hof Prautzsch dann überhaupt mit Erträgen von konventionellen Landwirten mithalten? Rechnen sich die Arbeit und das Warten? "In den zurückliegenden Trockenjahren hat sich meine Tochter mit den konventionellen Nachbarn verglichen. Und da hat sich herausgestellt, dass die beim Getreide auch nicht mehr geerntet haben als wir. Die haben zwar gedüngt, aber durch die Trockenheit ist der Dünger nicht wirksam geworden. Und dadurch ist die Differenz zwischen konventionellen und ökologischen Äckern nicht vorhanden gewesen", erzählt mir Werner Prautzsch.
In den zurückliegenden Trockenjahren haben die konventionellen Nachbarn auch nicht mehr Getreide geerntet als wir, weil ihr Dünger durch die Trockenheit nicht wirksam geworden ist.
Landwirtschaft ist nicht nur vom Wetter abhängig, sondern auch von der Beschaffenheit der Böden. Und auch beim Düngen spielen Niederschlag und Bodenbeschaffenheit eine große Rolle. So entscheiden sie darüber, wie schnell der Dünger von der Oberfläche an die Pflanzenwurzeln gelangt und wie rasch er aus dieser durchwurzelten Zone ins Grundwasser ausgewaschen wird. Heißt: Ohne Niederschlag kann Düngemittel gar nicht wirksam werden. Das gilt sowohl für chemische als auch für organische Dünger.
Bioprodukte bis Anfang 2022 auf dem Vormarsch
Werner Prautzsch hat sich damals bewusst für die ökologische Landwirtschaft und gegen den Einsatz von Stickstoffdüngern entschieden. Doch diese Entscheidung hat auch Auswirkungen auf seinen Ertrag und seinen Umsatz: "Ich muss mal so sagen, wir kommen auch so zurecht. Als wir damals angefangen haben, galt der Grundsatz, dass Ökobetriebe fünfzig Prozent des Ertrags von den konventionellen ernten. Und dafür muss die Preiserhöhung bei fünfzig Prozent liegen. "
Durch die Preissteigerung in den letzten anderthalb Jahren gab es einen deutlichen Einbruch bei der Nachfrage von Bio-Produkten
Bio statt Billig. Ein Trend, der sich gerade in den letzten zehn Jahren immer mehr bei Verbraucherinnen und Verbrauchern durchgesetzt hat, bestätigt mir auch Frank Eulenstein. Er ist Agraringenieur beim Leibniz-Institut für Agrarlandschaftsforschung ZALF und forscht unter anderem zu ressourcenschonenden Düngestrategien. "Es ist eine reine Bewusstseinsfrage, das ist einfach so. Wir haben gerade eine Bewusstsein-Umstellung, das merken wir schon. Bewusste Ernährung ist ja gerade bei den jungen Leuten sehr viel stärker ausgeprägt." 2021 erreichte der Umsatz von Bio-Lebensmitteln in Deutschland mit knapp 16 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert.
Doch seit Anfang 2022 hat sich das Einkaufsverhalten verändert. Vebrauchende schauen zunehmend auf den Preis, sagt Frank Eulenstein: "Das kann man ihnen ja auch nicht verdenken, weil die Preise für Lebensmittel in den letzten zwei Jahren durch die Decke gegangen sind. Das merken wir auch, also es ist ein deutlicher Einbruch bei der Nachfrage von Bio-Produkten in den letzten anderthalb Jahren erfolgt durch die Preissteigerung und durch das veränderte Kaufkraftverhalten. Die Leute haben nicht mehr so die Kaufkraft, denn sie benötigen das Geld für Heizöl, Treibstoffe, Gas usw. Und sie harren erst mal und schauen: Was kommt an Rechnungen für diesen Bereich auf uns zu, bevor sie dann in anderen Bereichen investieren. Und dazu gehören eben auch Lebensmittel."
Es wird viel darauf geachtet, dass das Tierwohl eingehalten wird. Ich würde mir wünschen, dass das Menschenwohl für Bauern eingehalten wird.
Eine Entwicklung, die mittlerweile auch bei Werner Prautzsch angekommen ist: "Wir kriegen nicht mehr fünfzig Prozent mehr, also den doppelten Preis gegenüber konventionellen." Trotzdem kommen sie mit dem Verkauf ihrer Produkte über die Erzeugergemeinschaft ÖBS, "Öko-Bauernhöfe Sachsen" über die Runden. So hat sich Tochter Sylvia entschieden, den Hof am Rande der Dübener Heide mit seinen 140 Hektar Land und den fünfzig Angus-Rindern zu übernehmen und so weiterzuführen, wie ihr Vater vor ihr.
Vorschriften fesseln Landwirtinnen und Landwirte ans Büro
In der Zwischenzeit ist es ruhig geworden auf Hof Prautzsch. Die anderen Teilnehmenden des Praxistages sind auf dem Weg zu einem weiteren Betrieb. Macht sich Werner Prautzsch Sorgen, sollten die neuen Düngemittelregeln aus Brüssel tatsächlich kommen?
"Nö, das interessiert uns nicht", sagt er gelassen. Davon ist der Betrieb nicht betroffen. Von anderen Vorschriften hingegen schon: "Es gibt laufend neue Vorschriften. Meine Tochter muss ja mindestens fünfzig Prozent ihrer Zeit im Büro verbringen, mit den Nachweisen, die sie zu erledigen hat. Und wenn Kontrollen sind, muss sie alles vorbereiten. Also das ist ermüdend." Daher wünscht er sich: "Es wird viel vom Tierwohl geredet und darauf geachtet, dass das Tierwohl eingehalten wird. Ich würde mir wünschen, dass das Menschenwohl für Bauern eingehalten wird."
Crossborder Journalism Campus Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Apolline Le Romanser, Emilie Andrieux, Tobias Alexander, Suzanna de Vries, Karlijn Frederique Stenvers.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 11. Juni 2023 | 09:17 Uhr
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