Interview Gerald H. Haug: "Eine globale CO2-Steuer wäre ein ganz großer Erfolg"
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22. Februar 2021, 09:50 Uhr
Gerald H. Haug ist neuer Präsident der Leopoldina. Er will Deutschlands nationaler Akademie der Wissenschaften mehr Gehör verschaffen, etwa, wenn die Forscher einhellig eine globale Steuer auf das Klimagas CO2 fordern.
MDR WISSEN: Viele Menschen kennen die Leopoldina kaum. Wer nicht Teil des Wissenschaftsbetriebs ist, bei dem ist die Nationale Akademie der Wissenschaften noch nicht richtig angekommen.
Gerald H. Haug: Ja, das stimmt schon. Es würde uns gut zu Gesicht stehen, wenn wir bekannter machen, welche sehr vornehme Aufgabe die Leopoldina hat. Sie stellt faktenbasierte Gesellschafts- und Politikberatung bereit, mit wirklich fantastischen Mitgliedern.
Die Leopoldina meldet sich mit sehr gründlichen, sehr umfangreichen Stellungnahmen zu Wort, zu Klimawandel, Biosprit und Feinstaubbelastung. Aber: Diese Stellungnahmen brauchen sehr lange und kommen oft erst, wenn die gesellschaftliche Diskussion schon stattgefunden hat. Ist das Teil des Wahrnehmungsproblems?
Das liegt in der Natur der Wissenschaft. Viele der Stellungnahmen sind intellektuelle Tiefbohrungen, die brauchen Zeit. Auch eine hart arbeitende Arbeitsgruppe braucht für so eine Tiefbohrung zwei Jahre. Jetzt haben sie ein aktuelles Thema, unsere Arbeitsgruppe publiziert aber erst nach zwei Jahren als System, da ist das Thema aus der Presse raus. Und die Öffentlichkeit hat es wahrgenommen, ohne dass wir einen direkten Beitrag dazu geleistet haben. Was wir letztes Jahr geschafft haben - mit der Stellungnahme zur Feinstaub-, saubere Luft und NOx Problematik - da wurden wir sogar von Bundeskanzlerin Merkel eingeladen. Da konnten wir in wenigen Wochen was liefern, als die Diskussion voll im Gange war. Und das Beeindruckende: Mit der Stellungnahme konnte die teilweise irrationale Diskussion abrupt beendet werden. Alle Entscheidungsträger und gesellschaftlichen Diskutanten konnten dann auf Faktenbasis etwas finden. Das hat den Wildwuchs der Diskussion beendet.
Mit den Klimazielen 2030 haben wir es auch geschafft, eine Stellungnahme in weniger als drei Monaten zu publizieren. Und sie wurde punktgenau veröffentlicht, als das Klimakabinett getagt hat und als es in die Entscheidungsprozesse ging. Wenn so eine Arbeitsgruppe aus Physikern, Chemikern, Ingenieuren, Ökonom bis zur Verhaltenswissenschaft ein solches Integral macht und das punktgenau zeitlich richtig liefert, dann hat das natürlich eine größere Wahrnehmung, als wenn man das Gleiche ein Jahr oder zwei Jahre später liefern würde. Da können wir noch besser werden und haben gezeigt, dass man die aktuellen Themen dann vorlegen muss, wenn sie diskutiert werden.
Wie kriegt man das denn hin? Einerseits, wissenschaftlich sauber und gleichzeitig schnell aktuell und am Puls der Zeit zu sein?
Wir dürfen niemals Qualitätsabstriche machen. Ein bisschen Zeit braucht es auch. Aber die Leopoldina ist ja nie als nörgelnde Stimme wahrzunehmen. Es ist ein Wohlklang, die Leopoldina kann Konsens schaffen, hat diese Möglichkeit zu integrieren. Ich fand von unserer Bundeskanzlerin die Harvard-Rede sehr schön. Es ist manchmal gut, etwas inne zu halten und sich dann erst zu äußern. Das ist überhaupt Stil der Wissenschaft und besonders einer nationalen Akademie.
Jetzt haben wir das Corona-Thema und ein neues Format: Das Leopoldina-Gespräch. Da nehmen Sie die vier Top-Wissenschaftler der Republik und laden einfach zu einer Gesprächsrunde ein. Das kann gewinnbringend sein und man kann es innerhalb von zwei, drei Wochen organisieren. Ich halte es für wichtig, dass man diese zeitliche Punktlandung dann auch hinbekommt.
Ich vermisse einen Punkt, der vielleicht auch zur geringen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit beiträgt: Wenn man eine Stellungnahme abgibt und die Politik macht aber ihre Hausaufgaben nicht, wo ist dann die Stimme der Leopoldina, die fragt: Habt ihr das nicht gehört, was wir gesagt haben?
Die Politik muss schon selbst entscheiden. Die Leopoldina und die Wissenschaft sollten Szenarien aufzeigen. Die Politik ist aber noch nie der Wissenschaft eins zu eins gefolgt. Das darf man auch nicht erwarten. Aber man kann hoffen, dass fakten-basiert entschieden wird. Aber es ist nicht die Aufgabe der Leopoldina, der Politik vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hat.
Herr Haug, Sie werden Leopoldina Präsident in einer Zeit, in der möglicherweise Antworten auf Schicksalsfragen für die Menschheit nötig werden. Klimawandel, Artensterben, Welternährung, Energiewende und so weiter: Wo sehen Sie denn die Leopoldina inmitten dieser Herausforderung?
Viele dieser Themen sind nur in einem internationalen Kontext zu lösen. Und da ist es schon so, dass eher die wissenschaftliche Gemeinde zu einem Konsens und zu guten Vorschlägen kommt, als es der Politik möglich ist. Man kann vorangehen, kann intelligente Texte vorbereiten und hoffen, dass etwas umgesetzt wird. Die Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen geht nicht ohne einen globalen CO2-Preis. Das ist das wichtigste Steuerinstrument. Wenn wir das in den nächsten fünf Jahren, in der Zeit meiner Präsidentschaft, auf G20-Ebene nicht hinbekommen, dann wird es ganz schwierig, das Zwei-Grad-Ziel zu halten. Da ist die Wissenschaft eine der stabilisierenden Säulen. Wenn sie gehört wird, kann sie hervorragende Beiträge leisten.
Wie empfinden Sie als Klimaforscher und als Leopoldinapräsident die momentane öffentliche Debatte über die Klimakrise?
Mir ist die Diskussion manchmal zu angespitzt und auch zu laut. Es ist ganz entscheidend, dass wir - als Leopoldina allemal, aber auch die Kollegen - niemals die Faktenbasis verlassen. Man muss nicht immer einer Meinung sein. Aber das große Bild vom Klimawandel ist völlig klar. Völlig klar ist auch, dass in den nächsten fünf Jahren etwa passieren muss. In zehn bis 15 Jahren ist das Zwei-Grad-Ziel verloren. Ohne die breite, öffentliche Informationen funktioniert es nicht, dass sich etwas bewegt in der Gesellschaft. Das ist eine ganz wichtige Diskussion.
Eine Frage bleibt Ihnen jetzt nicht erspart: Was halten Sie von Greta Thunberg?
Ich finde die prima. Überhaupt finde ich die Fridays-for-Future-Bewegung wichtig. Ihr Einfluss ist eindrücklich. Die haben politisch mehr erreicht, als wir in zwanzig Jahren Klimaforschung. Die Friday-Schüler sagen ja: Sprecht mit der Wissenschaft. Man kann die junge Frau nur bewundern, was sie alles aushalten muss. Sie hat meinen allergrößten Respekt.
Sie haben jetzt fünf Jahre Amtszeit vor sich. Was nehmen Sie sich vor, was wünschen Sie sich?
Ein globaler CO-2-Preis, das wäre schön für mein Thema. Wenn wir das vermitteln können, wäre das ein ganz großer Erfolg. Und ich nehme mir vor, dass wir es öfter schaffen, bei wichtigen Themen in der Gesellschaft mit verschiedenen Formaten punktgenau und fakten-basiert kommunizieren können in die Politik, aber vor allem auch in die Gesellschaft.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 01. März 2020 | 08:17 Uhr
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