Medienwirkungsforschung 50 Jahre Tatort: Was macht Gewalt im Film mit uns?
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28. November 2020, 10:02 Uhr
Was verrät eine Soße über die Wirkung von medialer Gewalt? Warum erlebt eine siebenjährige Schauspielerin einen Film während der Dreharbeiten nicht so brutal wie später eine gleichaltrige Zuschauerin? Wir fragen Dr. Tobias Rothmund. Er ist Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forscht unter anderem zur Nutzung und Wirkung von Gewalt in Unterhaltungsmedien.
MDR WISSEN: Seit 50 Jahren werden in der Krimireihe "Tatort" Menschen erschossen, erstickt, erwürgt, erschlagen. Macht Gewalt in Film und Fernsehen auch die Zuschauer aggressiv?
Dr. Tobias Rothmund: Es gibt eine ganz umfangreiche Forschung zum Thema Mediengewalt. Zusammenfassend kann man sagen: Wenn viele Faktoren zusammenkommen, kann Mediengewalt einen Beitrag dazu leisten, dass die Aggressionsbereitschaft steigt. Aber für sich genommen ist das kein Faktor, der friedliebende Menschen jetzt plötzlich zu Gewalttätern macht. Speziell der "Tatort" ist kein Format, das typischerweise geeignet ist, Aggressivität zu steigern. Dort werden häufig Einzelschicksale in den Fokus gerückt. Es geht nicht nur um die Darstellung von körperlicher Gewalt, sondern um die damit verbundenen Emotionen und Schicksale, um das psychische Verarbeiten von Gewalt.
Wie lässt sich wissenschaftlich untersuchen, ob ein Film aggressives Verhalten fördert?
Das ist schwierig. Wenn wir Experimente durchführen, sind wir häufig in Situationen, in denen Menschen überhaupt gar keinen Anlass haben, sich aggressiv zu verhalten. Deswegen werden solche Anreize und Situationen dann künstlich entwickelt. Ein Beispiel ist das "Hot-Sauce-Paradigma".
Hier werden Versuchsteilnehmer aufgefordert, im Anschluss an einen gewalthaltigen Filmausschnitt eine Soße zuzubereiten. Dabei können sie bestimmen, wie scharf diese Soße wird. Die Soße soll dann der nächste Versuchsteilnehmer zu sich nehmen. Das Argument: Je schärfer die Soße, desto mehr Aggressivität ist im Spiel, weil man im Prinzip jemand anderem schadet, ja sich vielleicht darüber freut, dass jemand anders Leid erfährt.
Das Ganze ist nicht unumstritten, weil dieses Leid vergleichsweise recht milde ist. Aber ansonsten würde man solche Studien auch ethisch gar nicht rechtfertigen können. Da gibt es viel methodische Diskussion im Feld, weil Forscher argumentieren – möglicherweise zu Recht –, dass diese Art der Messung von Aggressivität nicht aussagekräftig ist für realweltliche Kontexte.
Manche Filme sind so brutal, dass sie keine Jugendfreigabe bekommen. Wie bewerten Sie allgemein Alterseinstufungen von Filmen?
Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir solche Alterseinstufungen haben. Über die genaue Einstufung von einzelnen Filmen wird immer kontrovers diskutiert. Auf der Seite der Erzieher, Eltern und Erziehungsberechtigten sehen wir, dass diese Empfehlungen zum Teil nicht aufgegriffen oder ernst genommen werden. Hier sollten wir darauf hinwirken, dass die Alterseinstufungen berücksichtigt werden. Natürlich, jedes Kind ist anders. Jedes Kind verarbeitet Medieninhalte anders. Das heißt, die Empfehlungen sind auch nicht als Dogma zu verstehen. Aber sie bieten Orientierung.
Ist es zu verantworten, dass Kinder und Jugendliche in Filmen und Serien mitspielen, die für ihre Altersgruppe nicht freigegeben sind?
Es ist ein Unterschied, ob eine Siebenjährige im "Tatort" mitwirkt, ob sie dabei betreut wird, ob sie einzelne ausgewählte Szenen spielt oder ob eine Siebenjährige am Ende das Produkt, diesen Film in seiner Gänze, rezipiert. Damit wäre mehr Schaden angerichtet. Denn der Kontext am Set ist anders. Der spielerische Charakter ist da ganz präsent. Es gibt immer wieder einen Wechsel zwischen Spiel und Pause. Es sind auch Personen vor Ort, die diese Kinder betreuen und ihnen sozusagen zur Seite stehen. Insofern glaube ich, dass man hier jetzt nicht unbedingt von einer Bedrohung oder einer problematischen Situation sprechen muss.
Kommen Erwachsene besser mit Gewalt in Film und Fernsehen klar?
Das ist sehr unterschiedlich. Sicherlich haben Erwachsene ein dickeres Fell, aber auch sie können in unterschiedlichen Lebensphasen wieder sensibler oder weniger sensibel sein. Beispielsweise, wenn man einen Todesfall erlebt hat. Ich kenne Menschen, die dann auch erst mal keinen "Tatort" mehr sehen wollen. Allgemein ist es gut, auf das eigene Gespür zu vertrauen und auch bei Kindern genau hinzuhören, wovor sie Angst haben, was sie berichten und dann eben entsprechend auszuwählen, was für die Kinder Sinn macht.
Warum ist Gewalt überhaupt so unterhaltsam?
Gewalt und Aggression, das zeigen viele Studien, sind Elemente unseres Lebens. Sie begleiten uns schon immer. Als Menschen sind wir biologisch darauf programmiert, Gefahren zu erkennen und abzuwehren. Das machen sich Unterhaltungsformate zunutze, um unsere Aufmerksamkeit zu binden.
Interessant ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten in unserer realen Welt einen Rückgang an Gewalt erleben. Wir erleben weniger Gewalt in Familien, immer weniger Kriege, weniger Gewalt in der Gesellschaft, weniger Menschen werden Opfer von Gewalt oder kommen dadurch zu Tode. Gleichzeitig steigt der Anteil der Gewalt in Unterhaltungsmedien in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich an. Das ist ein interessantes Spannungsfeld und wirft Fragen auf: Wieso wollen wir so viel Gewalt in Unterhaltungsmedien sehen? Und wie hängt das damit zusammen, dass wir Gewalt in unserer realen Welt eigentlich gar nicht mehr so erfahren? Möglicherweise erleben wir Gewalt und Aggression in Unterhaltungsmedien sozusagen stellvertretend.
Das Interview führte Ricarda Wenge für MDR Wissen.
Über Dr. Tobias Rothmund
Dr. Tobias Rothmund hat seit 2018 die Professur für Medien- und Kommunikationspsychologie am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne. Medien und Gewalt sind bereits seit einigen Jahren eines seiner Forschungsthemen, auch mit besonderem Blick auf Jugendliche. Andere große Themen seiner Arbeit sind gesellschaftliche Fragen wie Vertrauen in Politiker, Gerechtigkeits- und Ungleichheitsempfinden. Bereits 2014 hat er eine Studie unter dem Titel "The German Wutbürger" veröffentlicht.
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