Lerndefizit Generation Corona: Schülern fehlt im Schnitt ein Drittel Schuljahr
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30. Januar 2023, 17:00 Uhr
Lockdowns und Quarantäne-Maßnahmen während der Corona-Pandemie haben zu einem enormen Bildungsdefizit bei Schülern weltweit geführt. Der Rückstand entspricht rund 35 Prozent eines Schuljahrs, so eine neue Metastudie.
- Weltweit waren rund 1,6 Millionen Kinder von Lockdownmaßnahmen während der Pandemie betroffen.
- Forscher: Nicht nur der Unterrichtsstoff fehlt, auch die Unterrichtskultur muss erst wieder aufgebaut werden. Die Digitalisierung von Unterricht hat an vielen Schulen nicht funktioniert.
- Bundesgesundheitsminister Lauterbach: Schulschließungen waren ein Fehler.
Schulschließungen und andere Quarantäne-Maßnahmen, die den Schulunterricht unterbrochen haben, haben zu einem enormen Bildungsdefizit bei Schülerinnen und Schülern geführt und zwar weltweit. Das ist das Ergebnis einer neuen Metastudie, in die Daten aus 42 Einzelstudien aus 15 Ländern eingeflossen sind.
Demnach verpassten die Kinder und Jugendlichen während der Corona-Pandemie im Durchschnitt 35 Prozent des sonst in einem Schuljahr erzielten Lernfortschritts. Dieser Rückstand konnte auch im Verlauf zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Infektionen nicht aufgeholt werden, so das Forscherteam um Bastian Betthäuser vom Forschungszentrum zu Sozialer Ungleichheit der Universität Science Po in Paris im Fachjournal "Nature Human Behaviour".
Aus diesen 15 Ländern stammen die Daten Australien, Belgien, Brasilien, Kolumbien, Dänemark, Deutschland, Italien, Mexiko, Niederlande, Südafrika, Spanien, Schweden, Schweiz, Vereinigtes Königreich, USA
1,6 Millionen Kinder weltweit betroffen – Defizite hielten bis in Mai 2022 an
Den Autoren der Studie zufolge waren etwa 95 Prozent der Schülerinnen und Schüler während der Pandemie von Maßnahmen betroffen, die zu Unterrichtsausfall führten. Laut Daten der UN waren das etwa 1,6 Millionen Kinder und Jugendliche. Dramatisch daran ist vor allem, dass wieder die Schwächsten am stärksten betroffen waren: sozial benachteiligte Kinder aus ärmeren Haushalten, deren Eltern selbst nicht über höhere Bildung verfügen.
Am stärksten seien die Defizite in Mathematik, so die Forscher. Grund dafür sei, dass in den Familien häufiger Lesen geübt werde, als rechnen. Ein weiterer Grund dürfte aber auch sein, dass in Mathematik Lerninhalte aufeinander aufbauen. Werden einzelne Inhalte nicht verstanden, kommt es zu Folgeproblemen beim nachfolgenden Stoff.
Die analysierten Daten zeigten auch, dass die Defizite über den Verlauf der Pandemie anhielten und sowohl im Mai 2020, als auch zwei Jahre später im Mai 2022 bestanden.
Sozial benachteiligte Schüler besonders schwer getroffen
Benjamin Fauth vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg, hält diese Ergebnisse für sehr aussagekräftig, denn die einbezogenen Einzelstudien seien sehr sorgfältig geprüft worden. "Bei der Arbeit handelt es sich wahrscheinlich um die bislang umfassendste Studie zu Lernrückständen nach der Coronapandemie."
Fauth zufolge habe die Pandemie vor allem schon vorher bestehende Ungleichgewichte verstärkt. "Wir sehen in den Daten deutlich, dass ganz bestimmte Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise unter der Pandemie gelitten haben – und zwar genau jene, die es ohnehin schon schwer hatten. Es muss jetzt darum gehen, genau diese Schülerinnen und Schüler gezielt zu unterstützen – auch im Regelunterricht."
Schülerinnen und Schülern aus vermögenden Haushalten holen locker auf
Ein Problem sei nicht nur das verpasste Wissen. "Wenn man Lehrkräfte befragt, so wird deutlich, dass neben den eigentlichen Lernrückständen noch ein anderes Problem im Vordergrund steht, nämlich der ganze psychosoziale Bereich. Mein Eindruck ist, dass die Schulen zurzeit in diesem Bereich sehr viel Arbeit damit haben, bestimmte Lernroutinen wieder einzuüben und das ganze soziale Miteinander wieder auf die Reihe zu bekommen", so Fauth.
Viele Schülerinnen und Schüler mit dem entsprechenden sozialen Hintergrund werden das ohne Weiteres wieder aufholen können.
Vor allem "bei Leistungsschwächeren und bei Lernenden aus eher bildungsfernen Elternhäusern" würden die Folgen der Lernrückstände aber gravierender sein, so Fauth.
Forscher erwartet, dass sich eine "Generation Corona" bildet
Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik der Universität Augsburg hat zwei der in die Metaanalyse einbezogenen Studien durchgeführt. Er hält die zusammenfassende Auswertung von Betthäuser und Kollegen für "State of the Art". Das Ergebnis sei dramatisch, denn es zeige die nun aufgehäuften Probleme. "Je geringer die Lernleistungen sind, desto schwieriger wird es für die Lernenden, die von den Curricula geforderten Standards zu erreichen. In der Folge ist zu erwarten, dass sich eine 'Generation Corona' bildet, die besonders stark unter der Pandemie gelitten hat."
Zierer bedauert, dass nach den langen Ausfällen im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/21 kaum Sommerschulen eingerichtet wurden, um den verpassten Schulstoff nachzuholen. Den Grund dafür sieht er in einem alten, strukturellen Problem: "Das Problem ist sicherlich, dass angesichts eines (weltweiten) Lehrermangels vor allem das Personal fehlt."
Digitalisierung verstärkt Ungleichheit - Lauterbach bezeichnet Schulschließungen als Fehler
Die eilig durchgeführte, oftmals unvollständige Digitalisierung des Unterrichts habe die Probleme nicht ausgeglichen, sondern teilweise noch verschärft. So hätte bei manchen Schülern eher der Freizeitkonsum elektronischer Medien wie Games und Videos zugenommen, was die Bildungslücken noch vergrößert habe. "Was vielfach geschehen ist – Lernenden Tablets in die Hände zu drücken und zu hoffen, dass diese positiv wirken –, ist als gescheitert anzusehen und es wird höchste Zeit, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig die Gefahren zu vermeiden", sagt Zierer.
Bereits am Montagmorgen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die lange Schließung von Schulen und Kitas während der Corona-Pandemie als Fehler bezeichnet. Unternehmen seien relativ geschont worden, sagte der SPD-Politiker im ARD-Morgenmagazin. "Wir sind aber bei den Schulen und bei den Kindern sehr hart eingestiegen." Das könne durchaus kritisiert werden. "Damals wurde das aber von den Wissenschaftlern, die die Bundesregierung beraten haben, angeraten", erklärte Lauterbach. Zu dem Zeitpunkt sei noch zu wenig über die Übertragung des Virus bekannt gewesen.
Würden an nächste Pandemie anders herangehen
Mit Blick in die Zukunft zeigte Lauterbach sich in Bezug auf eine mögliche nächste Pandemie optimistisch: "Wir sind sehr viel besser vorbereitet, wir haben viel gelernt und wir würden ganz anders herangehen." Im Vergleich mit anderen Ländern mit einer ähnlich alten Bevölkerung sei Deutschland zudem noch relativ gut durchgekommen.
Links/Studien
- Betthäuser, Bach-Mortensen, Engzell: A systematic review and meta-analysis of the evidence on learning during the COVID-19 pandemic, Nature Human Behaviour
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist | 26. April 2021 | 21:00 Uhr
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