Ernährungskommunikation Essen: Warum ungesunde Nahrung im Einkaufswagen landet
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20. Mai 2021, 09:54 Uhr
Der Blick in fremde Einkaufswagen ist hochinteressant: Hier spärlich gefüllte Wagen mit Gemüse, gesundem Essen, Wasser und wenig verarbeiteten Lebensmitteln. Da solche, die randvoll sind mit zuckerhaltigen Getränken, verarbeiteten Lebensmitteln und Fertiggerichten. Warum ist das Ernährungsverhalten so verschieden? Auf einer internationalen virtuellen Konferenz vom 17. bis 19. Mai ist genau das auch Thema. Wie kommen Ernährungsthemen aus der Wissenschaft über die Medien zu den Verbrauchern?
Wer ab und an in einer bunten Zeitschrift blättert, weiß wie diese aufgebaut ist. Auf der Titelseite wird eine Wunderdiät angepriesen, auf den folgenden Seiten räkeln sich dürre Models in hautenger Kleidung und ganz zum Schluss gibt es Tortenrezepte oder komplette Festtagsmenüs zum Nachkochen. Allein beim Anschauen haben wir das Gefühl, auf der Couch zuzunehmen. Wenn es in den Medien ums Essen geht, nennen Wissenschaftler das Ernährungskommunikation.
Dazu zählen aber auch die Gespräche beim Arzt, der Plausch mit Freundinnen oder der Austausch beim Anstehen in der Kantine, erklärt Kommunikations- und Medienwissenschaftler Tobias Höhn. Er gehört zum Kompetenzcluster für kardiovaskuläre Erkrankungen der Universitäten Jena Leipzig und Halle. Hier geht es darum, die Kommunikation über gesunde Lebensmittel zu verbessern. Dem Wissenschaftler zufolge sterben in Europa jährlich mehr als vier Millionen Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen infolge schlechter Ernährung. Und das, obwohl schon so viel über die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit bekannt ist.
Ernährung hat sich in den zurückliegenden Jahren zum Trendthema entwickelt. Unterschiedliche Ernährungsstile sind en vogue. Die Medien haben das Thema auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit auf der Agenda, und viele Nutzer teilen ganz persönliche Erfahrungen und werben für bestimmte Produkte in sozialen Medien. Daraus erwächst aber auch ein Informationsdschungel.
Eine wissenschaftliche Studie schmackhaft zu machen, ist eben gar nicht so einfach. Aus Sicht von Kommunikationswissenschaftler Tobias Höhn läuft in den Medien einiges falsch. Er sagt, wissenschaftliche Parameter lassen sich nicht immer ganz einfach auf die Lebenswirklichkeit übertragen. Aber der Journalismus muss sein Angebot auf Leser, Hörer und Zuschauer ausrichten. Dann finden sich dort Überschriften wie "Vegane leben länger", "Zucker macht krank" oder "Wie Essen heilen kann". Das ist eingängig, leicht verständlich und leider falsch, weil es komplexe Forschungsergebnisse verkürzt und damit den User auch in die Irre führt.
Auch Ratschläge sind Schläge – daher führt der Dschungel wohlgemeinter Tipps zu Frustration bei Zuschauern, Lesern und Hörern. Dafür haben die Wissenschaftler Kommentare in den sozialen Medien analysiert und die klingen wie folgt, hier nur zwei Beispiele:
"Kein Alkohol, kein Nikotin, kein Fett, kein Zucker, kein Weißbrot et cetera et cetera et cetera. Übernimmt nun die Gesundheitspolizei die totale Kontrolle über uns? Wann werden wir denn dann sein wie die Amish? Leute? Ich will leben und mir nicht laufend dieses Gejammere anhören über: Tut dies nicht und tut das nicht. Es kommt hier keiner von uns lebend raus. Unser Leben wird in jedem Fall tödlich enden, ganz egal, wie asketisch ihr lebt. Also macht euch die Zeit bis dahin so angenehm und lebensbejahend wie möglich. Seid vernünftig, aber nicht kasteiend."
Oder auch:
"Egal, ob diese Studie nun stimmt oder nicht, ich glaube per se keiner einzigen Studie, Umfrage und meist selbsternannten Experten. Schuld daran sind die in den letzten Jahren in unzählbarer Menge erschienenen Studien, die nur den Zweck erfüllen, den der Auftraggeber erreichen möchte. Es ist eine Schande für die Wissenschaft, die sich immer mehr für so etwas hergibt."
Kritisches Hinterfragen fehlt: Was macht jemanden zum Experten?
Zu viel des Guten ist eben nicht gut genug. Selbstverpflichtungen und Gesetze sind aber auch nicht das Mittel der Wahl. Tobias Höhne drückt es so aus: Wir müssen vom Wissen zum Handeln kommen. Das geht natürlich mit Kochkursen im Kindergarten los und mit kulinarischen Projektwochen in der Schule weiter, aber auch im Journalismus Tätige sollen geschult werden. Es geht um ein stets präsentes Ernährungsbewusstsein. Und da kommen wieder die Medien ins Spiel:
Das Thema Ernährung geht gerne als leichtes Thema durch. Da wird derzeit über Spargel und Erdbeeren berichtet. Im Herbst ist die Kürbis-Saison. Unsere Studien zeigen, dass es in vielen Qualitätsmedien an einer ausgewogenen Berichterstattung fehlt, im Online-Bereich Ernährung schnell zu Shops für beworbene Produkte führen und Interessenkonflikte auch nicht deutlich gemacht werden.
Zu Interessenkonflikten zählen Höhn zufolge in der Ernährungsforschung, genau wie in manchen anderen Bereichen, viele Studien, aber auch Forschungen die selbst von Unternehmen finanziert werden. Das müsse mit berücksichtigt und auch transparent gemacht werden, sagt er im Gespräch mit MDR WISSEN. Es könnte das Forschungsergebnis auch beeinflussen, müsse aber nicht. Sein Rat: Auch die Rolle der Experten müsse hinterfragt werden.
Wer ist in der Ernährung ein Experte? Ein Ernährungswissenschaftler, ein Arzt, ein Heilpraktiker? Vielleicht sogar oft wird einfach etwas behauptet. Zum Beispiel, dass man mit Zwiebeln gezielt Bauchfett schmelzen lassen könne. Doch woher weiß der Autor das? Das erfährt man leider nicht. Dafür gibt es dann einen Link zu einem Shopping-Portal, und zwar zu einem Zwiebelschäler.
Leberwurst: Geht auch weniger fetthaltig
Die Wissenschaftler am Institut für Lebensmittelhygiene in Leipzig halten nun mit selbst entwickelten gesunden Lebensmitteln dagegen: Eine Leberwurst, die ein Drittel weniger Fett enthält und stattdessen wertvolle Omega-3-Fettsäuren. Oder passend zum nahenden Sommer Eissorten mit hohen Ballaststoffgehalt und nur der Hälfte Fett von herkömmlichen Eiscremes. Auch fettreduziertes Nougat-Eis mit hohem Ballaststoffgehalt oder zuckerreduziertes Vanille-Milcheis warten noch auf mögliche Hersteller. Das mitteldeutsche Wissenschaftsnetzwerk NutriCard wartet auf die Zusammenarbeit mit Hotels und Gasstätten.
Wie kommt die wissenschaftliche Erkenntnis in den Alltag?
Da aber Geschmack beim Essen so individuell wie auch bei der Musik ist, sind hier alle gefragt. Egal ob Menschen aus der Wirtschaft, der Soziologie, der Medizin, den Erziehungs- oder Sportwissenschaften – es braucht ressourcenübergreifendes Denken, auch in der Politik. Aber das sei eine Investition in die Zukunft, so Höhn, denn Prävention sei billiger als jede Therapie lebensmittelbedingter Krankheiten.
Wissensvermittlung ist dann erfolgreich, wenn der Verbraucher für sich einen Nutzen ziehen kann, also Ergebnisse in seinen ganz persönlichen Alltag integrieren kann.
Und eins gibt er den Verbraucherinnen und Verbrauchern auch gleich in die Hand: Die in der Wissenschaft entwickelte NutriCARD-Samtphone-App, ein mobiler Einkaufsberater. Dessen Prinzip ist einfach: Barcode scannen und Inhaltsstoffe checken. Wer sich dafür ein wenig Zeit nimmt, packt vielleicht den einen oder anderen Joghurt, die Kekse oder die Limonade ins Regal zurück. Damit ist dann schon ein Anfang gemacht.
Hier finden Sie mehr Informationen über das Projekt Nutricard.
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