Beschleunigung im Millisekunden-Bereich Die Erde dreht sich immer schneller
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18. Januar 2021, 13:57 Uhr
Je weiter 2020 hinter uns liegt, desto leichter fällt es, Bilanz zu ziehen und das Jahr mit anderen Jahren zu vergleichen. Dabei ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nun aufgefallen: Die abgelaufenen zwölf Monate sind so schnell vergangen wie sonst keine seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Grund für dieses beschleunigte Jahr ist unser Planet selbst: Die Erde hat sich nämlich 2020 so schnell gedreht wie nie zuvor.
Der 19. Juli 2020 war der kürzeste je gemessene Tag. Dieser Sommertag des vergangenen Jahres war 1,46 Millisekunden kürzer als ein durchschnittlicher Tag. Und das heißt: Die Erde hat sich in diesen 24 Stunden 1,46 Millisekunden schneller gedreht, als sie es sonst tut.
Wir haben seit rund 70 Jahren eine hochpräzise Aufzeichnung der Rotation der Erde. Wir haben also eine langfristige Zeitreihe, die uns zeigt, wie sich die Länge eines Tages mit der Zeit verändert.
Florian Seitz, Professor an der Technischen Universität München, ist Präsident der Kommission für die Rotation der Erde der Internationalen Astronomischen Union.
Was ist Geodäsie? Nach der klassischen Definition von Friedrich Robert Helmert (1880) ist die Geodäsie die "Wissenschaft von der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche". Diese Definition umfasst die Bestimmung der geometrischen Figur der Erde, ihres Schwerefeldes sowie ihrer Orientierung im Weltraum. TU München
Klimawandel sorgt eigentlich für langsamere Drehung
Seit den 1960er-Jahren beobachten Geodäten, welche Kapriolen die Erdachse schlägt. Und dabei gab es bisher einen ganz eindeutigen Trend: Eigentlich sollte sich der Planet immer langsamer drehen, sollten die Tage also immer länger werden. "Wie bei einem Eiskunstläufer, der während der Pirouette die Arme an den Körper zieht, beschleunigt sich die Rotation der Erde, wenn die Massen näher an die Achse rücken", erklärt Seitz. Und umgekehrt verlangsame sich die Rotation, wenn die Massen von der Achse entfernt werden.
Die Umverteilung der Wassermassen aus den Eisschilden und den Gletscherregionen in den Ozean entspricht dann sozusagen einem Ausbreiten der Arme des Eiskunstläufers. Die Masse des Wassers entfernt sich von der Achse und dadurch wird die Rotation eher verlangsamt.
Und da kein Ende des Klimawandels abzusehen ist, sollte die Erde sich eigentlich immer langsamer drehen. "Es ist also sehr überraschend zu sehen, dass in den letzten fünf bis sechs Jahren die Erdrotation kontinuierlich zugenommen hat. Das heißt, die Erde dreht sich schneller", sagt Mathis Bloßfeld vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut der Technischen Universität München.
28 Rekord-Tage in 2020
Und nun das – gleich 28 Tage unterboten im vergangenen Jahr die kürzeste Tageslänge, die Geodäten bis dahin je gemessen hatten. Den bisherigen Rekord hielt der 5. Juli 2005. Und nun gleich 28 neue Rekorde in nur zwölf Monaten. Was ist passiert? Seitz erläutert, dass wir während der letzten Jahre eine Beschleunigung der Erdrotation gesehen haben. "Die Länge eines Tages hat seit etwa 2015, 2016 um zwei Millisekunden abgenommen."
Die Erde hat sich um zwei Millisekunden schneller gedreht.
Auf der Suche nach Gründen tappen die Wissenschaftler noch im Dunkeln. Einflüsse von außerhalb, aus dem All, scheiden aus.
Bleiben Veränderungen im inneren Aufbau unseres Planeten. "Man geht davon aus, dass ein Großteil dieser langfristigen Änderungen durch Kopplungsprozesse zwischen dem flüssigen Erdkern und dem Erdmantel verursacht werden", sagt Seitz. Die da koppeln, das sind geschmolzenes Eisen und flüssiges Nickel im Kern und Gestein aus dem Erdmantel. Das alles tauscht sich untereinander aus, es reibt sich aneinander und beeinflusst dadurch den Drehimpuls des Planeten.
Wie diese Kopplungsmechanismen zwischen Kern und Mantel genau ablaufen und wie sie demnach die Erdrotation beeinflussen, ist aber nach wie vor nur sehr eingeschränkt bekannt.
Probleme durch schnellere Drehung
Sollte sich die Drehung der Erde auch 2021 beschleunigen, könnten die Zeitmesser dieser Welt in vielleicht fünf Jahren vor einem Problem stehen. Denn spätestens dann würden Erdrotation und Atomuhren nicht mehr zusammenpassen. Und dann würde es unter anderem mit dem Navigieren schwierig werden. Denn das GPS ist auf Millisekunden genaue Daten angewiesen, um die Position des Empfängers auf der Erde zu berechnen. Ansonsten würde er woanders verortet werden.
Erstmals in der Geschichte der Menschheit müsste also vielleicht bald eine Schaltsekunde nicht – wie schon 27 Mal geschehen – eingefügt, sondern abgezogen werden. "Während der letzten Dekaden war die Länge eines Tages meistens länger als 24 Stunden", erläutert Seitz. Und fügt hinzu: "Daher waren bisher alle Schaltsekunden positiv." Aber natürlich kann es auch negative Schaltsekunden geben, wenn die Tage tatsächlich längerfristig kürzer als 24 Stunden sein sollten.
Und so könnte es dann vielleicht schon in ein paar Jahren erstmals eine Zeit geben, die es nicht gibt und die in künftigen Geschichtsbüchern als Schwarzes Loch erscheinen wird: eine Nullzeit, eine ausgefallene Sekunde, die ins Nichts führt. Welch einen Stoff für Science-Fiction-Filme der Zukunft über Zeitschleifen, Zeitreisen und die ewige Wiederkehr des immer gleichen Moments würde das wohl bieten?
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