Vorsorge Wer kriegt unseren digitalen Nachlass?
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26. Februar 2020, 15:03 Uhr
Alle drei Minuten stirbt in Deutschland ein Facebook-Nutzer. Im sozialen Netzwerk lebt er jedoch erst einmal weiter, bekommt Freundschafts-Anfragen, Glückwünsche und Einladungen. Zumindest so lange, bis sein Account geschlossen wird. Und selbst dann ist seine digitale Existenz noch nicht ausgelöscht. Denn überall da, wo wir im Internet unterwegs waren, hinterlassen wir Spuren. Sie erinnern an uns, geben Persönliches preis. Und sie können für unsere Erben wirtschaftliche Konsequenzen haben.
Hand aufs Herz: Wem von uns ist schon bewusst, dass er über einen digitalen Besitz verfügt, der eines Tages zur Erbmasse gehört? Wer hat sich Gedanken darüber gemacht, was aus all den Posts wird, den Fotos in sozialen Netzwerken und den Chats in Datingportalen? Wer soll dazu Zugang bekommen, wer soll dann was noch lesen dürfen und was kann man tun, damit das privateste, persönlichste digitale Gut geschützt bleibt? Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit Jahren Anwälte und Gerichte.
Erst 2018 erzwang eine Mutter Zugang zum Facebook-Account ihrer Tochter, der nach deren Tod für fünf Jahre gesperrt war. In zwei Instanzen hatten die Richter den Facebookvertrag der Tochter zum Teil des Erbes erklärt und damit der Mutter endlich den Zugang ermöglicht. Damit fällten sie auch ein Grundsatzurteil - zumindest für Umgang mit dem digitalen Nachlass Minderjähriger.
Facebook wird im Jahr 2100 fünf Milliarden tote Nutzer verwalten
Facebook wird im Jahr 2100 fünf Milliarden tote Nutzer verwalten. Das ergab eine Analyse des Oxford Internet Institutes, die im April 2019 veröffentlicht wurde. Diese Zahl allein für ein soziales Netzwerk veranlasste neben Juristen auch Wissenschaftler, sich mit der Frage nach dem Umgang mit digitalem Nachlass zu beschäftigen. Faheem Hussain von der Arizona State University hat dazu geforscht und seine Ergebnisse unter dem Titel "Unser digitales Leben nach dem Tod" Mitte Februar 2020 auf einer Fachtagung vorgestellt. Er untersucht seit vielen Jahren, wie neue Technologien unsere Gesellschaft und damit einen jeden von uns beeinflussen. Für seine aktuelle Forschung hat er ausgewertet, wie zum Beispiel soziale Netzwerke inzwischen mit den Daten Verstorbener umgehen und welche gesetzlichen Regelungen es bislang gibt. Dazu hat er gemeinsam mit seinen Kollegen einzelne Fälle analysiert und Benutzerfeedbacks ausgewertet.
In den Entwicklungsländern ist die Situation besonders prekär. Dort werden die Nutzer weitestgehend alleingelassen, zu wenig ist gesetzlich geregelt. Datenschutz hat nicht den Stellenwert wie in den Industrieländern.
Forscher fordern inklusive und globale Lösungen
Soziale Netzwerke sind weltweit verfügbar, doch sterben die Nutzer, greifen oft nationale Regelungen. Damit entsteht eine Kluft besonders zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Faheem Hussain hat auf Grundlage seiner Untersuchungen Richtlinien erarbeitet, damit sich das ändert. Das wichtigste für ihn ist jedoch, dass sich jeder einzelne von uns diesem Thema überhaupt erst einmal öffnet.
Es ist wichtig, dass wir über das digitale Leben nach unserem Tod sprechen.
Der digitale Nachlass lässt sich regeln - man muss es nur tun
Inzwischen gibt es verschiedene Möglichkeiten, seinen digitalen Nachlass zu Lebzeiten zu regeln. Doch einer repräsentativen Umfrage von Bitkom Research zufolge nutzten 2017 hierzulande gerade einmal 18 Prozent diese Möglichkeit. Sicher verständlich, denn wer setzt sich schon gern aktiv mit dem eigenen Tod auseinander. Um diese Hemmschwelle zu senken, nimmt eine Studie der TU München, die 2019 veröffentlicht wurde, die Nutzerbedürfnisse in dieser Hinsicht genauer unter die Lupe. Dazu befragte Studienleiterin Lena Nellius 55 Personen im Alter von 14 bis 75 Jahren, die regelmäßig mindestens ein soziales Netzwerk nutzten.
Dabei zeigte sich: Obwohl es inzwischen digitale Nachlassfunktionen bei Facebook und Co. gibt, nutzten mehr als 90 Prozent der Befragten sie nicht. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer wünschte sich jedoch mehr Information dazu. Es solle schon bei der Anmeldung einen Hinweis auf die Möglichkeiten geben und einen direkten Zugang in Form eines Reiters oder Tabs, wie diese im Fachjargon heißen, auf der Seite, über den man sich jederzeit Auskunft darüber einholen kann. Außerdem wollten 40 Prozent eine andere Person im Netzwerk dafür vormerken können, die sich um den digitalen Nachlass kümmern solle. Und die Teilnehmer der Studie wünschten sich, einfach per Häkchen festlegen zu können, welche Daten vererbt werden dürfen und welche nicht.
Welche "digitalen Bestattungsfunktionen" gibt es eigentlich schon?
Viele Provider haben das Problem inzwischen erkannt und bieten entsprechende Möglichkeiten an. Facebook zum Beispiel verwandelt die Seite des Verstorbenen in ein Denkmal und man kann einen bestehenden Kontakt benennen, der sich um das Konto kümmern soll. Auch bei Google kann man festlegen, wer nach dem Tod Zugriff auf das Konto erhält - oder zumindest auf Teile davon. Dafür reicht schon aus, dass man selbst für einen bestimmten Zeitraum inaktiv war.
Überraschung aus dem digitalen Nirvana
Dass Anbieter in sozialen Netzwerken Möglichkeiten zur Nachlassverwaltung anbieten, ist das eine. Dass jeder für sich selbst vorsorgt, das andere. Denn woher sollen die Hinterbliebenen wissen, wo wir im Internet unterwegs waren und welche Konsequenzen das für sie hat? Zumal oft keine Klarnamen, sondern Pseudonyme verwendet werden. Und dabei geht es nicht nur um Posts und Tweets, sondern auch um Prozesse, aus denen Verbindlichkeiten entstehen. Abos von Streamingdiensten, Onlinegeschäfte, Banking und möglicherweise sogar Wertpapierdepots. Jeder Anbieter wird möglicherweise andere Papiere haben wollen, damit Erben überhaupt eine Chance haben, etwas zu regeln. Erbschein, Ausweis des Toten, Sterbeurkunde? Um den Lieben das zu ersparen, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Digitales Testament und "Gruß aus dem Jenseits": Zettel, Stick oder Online-Dienstleister oder IT-Experte?
Wer einmal auf einem Zettel notiert, welche Zugänge mit welchen Passwörtern er hat, wird erst einmal staunen, wie umfangreich sein digitaler Nachlass tatsächlich ist. Aber er gibt seinen Angehörigen damit die Möglichkeit, ungehindert und zügig handeln zu können. Natürlich müssen sie wissen, wo der Zettel hinterlegt ist. Dasselbe gilt auch für einen Datenstick, auf dem man diese Informationen speichern kann. Inzwischen gibt es auch Onlinedienste, denen man diese Daten übermitteln kann und die sogar noch dafür sorgen, dass man einen Gruß aus dem Jenseits schicken kann: Indem man vorher eine Botschaft festlegt, die nach dem Tod über die eigenen Accounts bei sozialen Netzwerken verbreitet werden kann. Tut man all das nicht, bleibt den Hinterbliebenen nur, mit der Festplatte zum IT-Experten zu gehen, alle Daten auslesen und Passwörter knacken zu lassen. Auch dafür gibt es inzwischen Firmen, die sich auf digitale Erbfälle spezialisiert haben.
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