Corona-Virus Covid-19-Forschung: Geht es auch ohne Tierversuche?
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07. Juni 2020, 00:55 Uhr
Fast 7.000 Studien, mehr als 150 Impfstoffprojekte – die Forschung zu Covid-19 ist explodiert. Tierversuche spielen dabei eine wichtige Rolle. Aber wie belastbar sind die Resultate? Und geht es nicht auch ohne Tierversuche? Ein Blick auf neue Forschungsergebnisse und aktuelle Diskussionen liefert Antworten.
Mäuse: Neuzüchtung und genetische Umprogrammierung
Mäuse sind für die Forschung zu Covid-19 eigentlich nutzlos, weil das ACE2-Enzym, das als Rezeptor für das neue Coronavirus fungiert, in ihren Lungenzellen anders strukturiert ist als beim Menschen. Das Virus kann deshalb nicht andocken. Wer also mit Mäusen arbeiten will, muss sie genetisch umprogrammieren. Das wurde im Nachgang der SARS-Pandemie (2002/2003) im Jackson Laboratory in den USA getan. Allerdings verschwand SARS mit der Zeit aus dem öffentlichen Problembewusstsein. Die Folge: Es wurden kaum noch genetisch veränderte Mäuse gezüchtet. Als Covid-19 aufkam, waren deshalb viel zu wenig Tiere vorhanden. Seitdem läuft die Produktion auf Hochtouren. Weltweit haben rund 250 Labore mehr als 10.000 Mäuse bestellt.
Aber es gibt auch Neuzüchtungen, bei denen die Tiere noch genauer auf das neue Coronavirus abgestimmt werden. Chinesische Forscher haben durch DNA-Veränderungen mittels Genschere Mäuse geschaffen, die ähnlich wie Menschen auf Covid-19 reagieren. An ihnen wird jetzt weiter getestet.
Affen: infizieren, impfen - und schützen?
Affen stehen seit Langem im Mittelpunkt der Debatten um Tierversuche. In freier Wildbahn sind bisher keine Infektionen bei Affen bekannt. Dennoch ist das Coronavirus auf die Tiere übertragbar, was eine paradoxe Situation mit sich bringt: Während für viele freilebende Arten die Sicherheitsmaßnahmen verschärft wurden, werden die Affen in den Laboren bewusst mit Covid-19 infiziert. Das Ergebnis der ersten Studien: Rhesusaffen entwickeln ähnliche Symptome wie Menschen. Auch die altersspezifischen Risiken (Ältere sind mehr gefährdet als Jüngere) und der Immunisierungsprozess nach einer Infektion sind vergleichbar. Auch Impfstoffe wurden bereits an Affen getestet. Die Gabe eines Totimpfstoffs, der aus Viren eines chinesischen Corona-Patienten gewonnen wurde, führte dazu, dass die Tiere Antikörper bildeten und nicht oder nur noch schwer mit dem Virus infiziert werden konnten. Aluminiumhaltige Zusatzstoffe (sog. Adjuvantien), die die Aufnahme von Antigenen steigern, könnten laut einer aktuellen Studie die Wirkung des Impfstoffes noch fördern.
Frettchen: ein Infektionsmodell für den Menschen?
Frettchen sind bei vielen Forschern beliebt. Sie lassen sich nicht nur gut mit Covid-19 infizieren, sondern vermehren und übertragen das Virus auch ähnlich wie Menschen. Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts sind daher der Ansicht, dass Frettchen als Infektionsmodell dienen könnten. Denn genau darin liegt das Problem: Es existiert (noch) kein Tier-Krankheits-Modell zu Covid-19. Die Folge: Bekannte Tierarten werden quasi "durchprobiert".
Im Grunde ist das der typische Forschungsreflex, der bei der Entwicklung vieler Medikamente und Impfstoffe zu beobachten ist. Aber auch hier gibt es ein Problem. Denn trotz aufwendiger Forschung ist es keineswegs sicher, dass überhaupt ein passendes Tiermodell existiert. Das haben unter anderem die Forschungen zu HIV gezeigt. Zwar ließen sich in Dutzenden Studien Affen erfolgreich gegen HIV impfen, aber die Wirksamkeit beim Menschen war gering. Nur fünf Studien haben es überhaupt in die letzte klinische Phase geschafft. Auf den Markt ist bis heute kein Impfstoff gekommen. Das ist nicht ungewöhnlich. Laut Studien versagen 90 bis 95 Prozent der an Tieren getesteten Medikamente und Impfstoffe bei der Erprobung am Menschen. Betrachtet man nur die Gruppe der Atemwegserkrankungen, so sind es immer noch 87 Prozent. Das liegt auch an der Art und dem Aufbau der Tierversuche.
Möglicher Paradigmenwechsel bei Tierversuchen
Prof. Dr. Hanno Würbel von der Universität Bern beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Tierversuchen. Das Ergebnis seiner Forschungen: Durch die hohe Standardisierung der Tiere und Haltungsbedingungen ist die Aussagekraft vieler Studien gering und die Ergebnisse oft nicht reproduzierbar. Die Folge: Es müssen ständig neue Tierversuche gemacht werden. Würbels Forderung: Mehr biologische Variation und Heterogenität im Versuchsdesign. Dadurch, so Würbel, lässt sich die Aussagekraft pro Versuch erhöhen und die Gesamtzahl der benötigten Tiere senken. Der von ihm geforderte Paradigmenwechsel ist aber nicht leicht zu erreichen, denn:
Das etablierte Forschungssystem belohnt kleine Einzelstudien statt umfassendere oder kollaborative Studien, der ethische Fokus liegt auf der Anzahl Tiere pro Versuch statt auf dem Erkenntnisgewinn pro Tier oder Tierversuch. Zudem befürchten viele, dass 'Heterogenisierung' zu größeren und komplexeren und damit auch länger dauernden und teureren Versuchen führt, und sie kennen die konkreten Lösungen (noch) nicht, d.h. der Wechsel ist auch mit Aufwand verbunden.
Neben effektiveren Tierversuchen gibt es aber auch Ansätze ohne Tierversuche. Computersimulationen, Multi-Organ-Chips und künstlich hergestellte Organoide versprechen hierbei Erfolge. Dabei handelt es sich um dreidimensionale Zellkulturen, die die Funktion und das Aussehen menschlicher Organe haben und auf Basis menschlicher Stammzellen gezüchtet werden. An der Universität Konstanz arbeitet Prof. Marcel Leist an dem Thema.
Tierversuchsfreie Ansätze
In einer neuen Studie zeigt Leist Möglichkeiten, Medikamente und Impfstoffe gegen Covid-19 zu entwickeln, ohne auf Tierversuche zurückgreifen zu müssen. Dabei setzt er u.a. auf künstliche 3D-Lymphknoten-Modelle. Sie haben schon bei der Bekämpfung der Grippe Erfolge erzielt und könnten auch bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 eingesetzt werden. Der Vorteil: Da ausschließlich mit menschlichen Zellen gearbeitet wird, fallen die Unsicherheiten bei der Übertragung vom Tier auf den Menschen weg. Auch Lungenmodelle sind eine Option. Sie verbinden menschliches Lungengewebe mit Chiptechnologie. Der Transport von Medikamenten in die Lunge kann dadurch genau untersucht werden – ein Ansatz, der bei einer Atemwegserkrankung wie Covid-19 Erfolge verspricht. Leist sieht aber auch einen Zeitvorteil:
Wenn sie wissen wollen, ob eine neue Substanz die Erbsubstanz schädigt, bekommen sie diese Info innerhalb von Tagen, mit modernen Methoden. Das ist extrem aufwändig in Tieren.
Seit 1980 werden tierversuchsfreie Alternativmethoden in Deutschland staatlich gefördert. 190 Millionen Euro hat das Bundesforschungsministerium bisher dafür ausgegeben. Zu wenig, finden Tierschützer, aber auch Ärzte.
In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich sehr deutlich, welch großer Fehler es in der Vergangenheit war, die tierversuchsfreien, humanbasierten Forschungsmethoden wie menschliche 3D-Lungenmodelle und Multi-Organ-Chips nicht ausreichend zu fördern.
Der Verein fordert, genau wie Tierschutzorganisationen, die Coronakrise zu nutzen und Tierversuche generell abzuschaffen. Darauf hofft auch Hanno Würbel. Er gibt aber zu bedenken, dass es Bereiche gibt, in denen das nicht möglich sein wird, etwa bei der Erforschung höhere Hirnleistungen oder wenn Versuchstiere selbst das Forschungsobjekt sind, wie z.B. in klinischen Studien in der Veterinärmedizin. Dennoch ist Würbel optimistisch:
Ich bin zuversichtlich, dass wir zunehmend raffiniertere Möglichkeiten haben werden, um biologische und medizinische Forschung an Tieren durch Alternativmethoden zu ersetzen.
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