Digital zum Arzt Bringt Corona den Boom für die Telemedizin?
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05. April 2020, 05:00 Uhr
"Schade, dass wir in Deutschland nicht mehr Telemedizin haben, dann wäre es deutlich leichter", sagte der Chef des Robert Koch-Instituts in einer Pressekonferenz fast beiläufig. Und ergänzte, unser Gesundheitssystem wäre längst nicht in dem Maße digitalisiert, wie es sich viele wünschen würden. Doch woran liegt das? Und stellt die Corona-Krise jetzt vielleicht einen Wendepunkt dar?
Fakt ist: In den letzten Jahren hat sich die Telemedizin in Deutschland nur sehr langsam weiterentwickelt. Im Dezember 2015 erließ die Bundesregierung das E-Health-Gesetz, das die Einführung digitaler Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen regelt. Dabei ging es vor allem um die elektronische Gesundheitskarte und Patientenakte, aber auch um das Versichertenstammdatenmanagement, das seit 2019 alle Ärzte nutzen müssen. Digitale Behandlungen, zum Beispiel über eine Videosprechstunde, waren nur möglich, wenn der Patient vorher regulär in der Praxis war und auch dann nur unter bestimmten Bedingungen.
2018 änderte der Bundesärztetag seine Berufsordnung und ebnete so den Weg für eine ausschließliche Fernbehandlung. Damit können Ärzte (außer in Brandenburg) über den Videochat sogar Diagnosen stellen und Medikamente verschreiben. Doch der große Boom blieb aus - im ersten Jahr nutzten dem Deutschen Ärzteblatt zufolge nur 3.000 Patienten in Deutschland die digitalen Möglichkeiten.
Das liegt an der Bequemlichkeit, das ist eingespielt, man geht zum Arzt. Deswegen ist es ein ausgewähltes Klientel, das Fernbehandlungen nutzt. Für die Ärzte ist es aufwendig, die Technik zu installieren. Da alle Ärzte ausgelastet sind und sich das finanziell nicht lohnt, wird es wenig in Anspruch genommen.
Corona als Wendepunkt?
Doch das Corona-Virus verändert die Bedingungen. Plötzlich heißt es: Abstand halten, wenn möglich zwei Meter. Alles, was geht, über Telefon, E-Mail oder Videokonferenzen klären. Das gilt auch für den Arztbesuch. Hier hätte Telemedizin helfen können.
Das wäre von großer Bedeutung für die Versorgung in Alten- und Pflegeheimen gewesen. Das heißt, wenn wir hier schon die Technik installiert und die entsprechende Routine hätten, hätte man über Telemedizin erkrankte ältere Menschen behandeln und so das Risiko einer Corona-Infektion für sie vermeiden können.
Seit Beginn der Pandemie verzeichnen Fernbehandlungen ein enormes Wachstum. Das Münchner Unternehmen Jameda, das vor allem für sein Arztbewertungsportal bekannt ist, berichtet, die Nachfrage nach Videosprechstunden auf seiner Plattform sei innerhalb eines Monats um das Zehnfache gestiegen. Allerdings möchte Jameda keine absoluten Zahlen nennen. Bei der ebenfalls in München ansässigen Firma Teleclinic hat sich die Zahl der Patienten in Online-Sprechstunden nach eigenen Angaben innerhalb eines Monats verdoppelt, auf 8.000.
Die Corona-Krise hat in vielen Bereichen für schnelle Maßnahmen und unbürokratische Entscheidungen gesorgt - auch in der medizinischen Versorgung. So können Ärzte mittlerweile Patienten mit Atemwegserkrankungen nach einem Telefonat oder Videochat für bis zu 14 Tage krankschreiben. Außerdem hat das Bundeskabinett einen Entwurf für das neue Patientendaten-Schutz-Gesetz beschlossen.
Wir erleben gerade, wie digitale Angebote helfen, Patienten besser zu versorgen. Mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz wollen wir dafür sorgen, dass solche Angebote schnell im Patienten-Alltag ankommen: Das E-Rezept wird nutzbar, Facharztüberweisungen gibt es künftig auch digital. Und jeder Versicherte bekommt die Möglichkeit, seine Daten in der elektronischen Patientenakte sicher zu speichern.
Mit dem Boom kommen auch Herausforderungen
Die Telemedizin nimmt also Fahrt auf. Gerade haben sich die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf wichtige Änderungen geeinigt. Bislang durften Ärzte und Psychotherapeuten höchstens zwanzig Prozent ihrer Behandlungen als Videosprechstunde abrechnen - diese Deckelung fällt nun weg. Für viele Ärzte ist das jedoch nicht genug, denn die Vergütung für die telemedizischen Behandlungen sei immer noch zu gering. In diesem Punkt ist Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung jedoch optimistisch.
Wir müssen das mit den Krankenkassen verhandeln. Das sind in der Vergangenheit immer sehr schwierige Verhandlungen gewesen. Jetzt, das muss man fairerweise sagen, haben die Krankenkassen sehr schnell mitgezogen, was diese Ausweitung in Zeiten von Corona angeht und nach dem Ende von Corona kann das Rad ja nicht einfach wieder zurückgedreht werden. Da wird es unser Ziel sein, die Videosprechstunde attraktiver zu machen.
Doch bei allem Boom kommt die Telemedizin oft an Grenzen, die vielleicht auch andere kennen, die gerade im Home-Office arbeiten: Eine schnelle Internetverbindung zum Beispiel. Ob auch in diesem Punkt schnelle und unbürokratische Lösungen kommen, wird darüber entscheiden, ob die Nachfrage nach telemedizinischen Anwendungen auch nach der Corona-Krise weiter steigt.