Zytokinsturm Immunsystem schädigt Gefäße: Wie Corona Menschen tötet
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15. Mai 2020, 10:30 Uhr
Manche Menschen merken gar nicht, wenn sie an Corona erkranken, andere sterben an der Krankheit. Neue Studien zeigen, was bei den lebensbedrohlichen Verläufen passiert – und wie Ärzte gegensteuern können.
Update vom 15. Mai 2020: Auch Hamburger Studie zeigt: Corona ist ein "Multiorganvirus"
Auch Mediziner vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf zeigen jetzt in einer Studie: Corona graift nicht nur die Atemwege an. Bei Patienten, die an Covid-19 gestorben sind, wurden zahlreiche Organe geschädigt. Vor allem Nieren wurden angegriffen, was Auffälligkeiten bei genommenen Urinproben erklärt. Wie ihre Kollegen aus Göttingen leiten auch die Hamburger Forscher aus diesen Erkenntnissen neue Möglichkeiten ab, frühzeitig auf bevorstehende schwere Verläufe von Covid-19 aufmerksam zu werden. Ihre Ergebnisse präsentieren die Forscher im New England Journal of Medicine.
Artikel vom 14. Mai 2020
Seit Dezember 2019 hat sich das neue Coronavirus Sars-CoV-2 in der ganzen Welt ausgebreitet. Über 4 Millionen Menschen in 212 Ländern haben sich angesteckt. Wissenschaftler schätzen die Zahl der Toten auf mindestens 272.000. Warum aber tötet Corona die einen, während die anderen nicht mal einen Husten davon bekommen? Das ist derzeit eine der zentralen Fragen, die die Medizin beantworten muss.
Ein chinesisches Forscherteam beschreibt jetzt in "Frontiers in Public Health" typische Verläufe der Covid-19 und zeigt darin auch noch einmal die Rolle des Immunsystems. Denn fast immer ist die Überreaktion der Körperabwehr die Ursache für den Tod von Coronapatienten. Es kommt zum Zytokinsturm, bei dem Entzündungen überall im Körper die Gefäße schädigen.
Undichte Gefäße und Organe führen zu Entzündungen und Zweitinfektionen
Bei einem Überschießen der Immunabwehr wird zunächst zu viel Zytokin gebildet. Das Enzym soll im Körper eigentlich von Viren infizierte Zellen markieren, damit diese von weißen Blutkörperchen zerstört werden können. Bei einer Überreaktion werden aber auch viele gesunde Zellen markiert, wodurch das Immunsystem die Selbstzerstörung des Körpers einleitet. Im Lungengewebe, aber auch in anderen Organen und den Blutgefäßen, werden gesunde Zellen zerstört. Gewebe wird porös und Blut tritt aus den Adern in den Körper aus. Dadurch sinkt der Blutdruck, es kommt zur Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff und das Blut wird zunehmend sauer. In den Lungen sammelt sich Flüssigkeit, es kommt zur Lungenentzündung.
Außerdem kann sich das Virus im Darm ausbreiten. Auch dort wird das Gewebe durch die Immunreaktion undicht. Oft treten dann weitere Keime aus dem Verdauungstrakt in den Körper ein. Die chinesischen Mediziner betonen, wie wichtig es sei, hier zusätzliche Infektionen zu vermeiden, etwa, indem die Darmflora von Patienten durch die richtige Ernährung gestärkt wird.
Urintest zeigt frühzeitig, ob es zu schwerem Verlauf von Covid-19 kommt
Göttinger Mediziner haben in einer Studie gezeigt, dass ein Überschießen der Immunabwehr und die daraus folgenden Gefäßschädigungen bereits frühzeitig am Urin erkannt werden können. Sind Gefäße undicht, werden die Nieren beschädigt. Im Urin finden sich dann rote und weiße Blutkörperchen und auch das Protein Albumin. Es weist auf ein "Capillary-Leak-Syndrom" hin, auf leckende Blutgefäße.
Der Vorteil: Im Urin sind diese Anzeichen oft bereits vier oder fünf Tage sichtbar, bevor sich der Gesundheitszustand eines Patienten rapide verschlechtert. Zudem sind die Urintests schnell und leicht durchführbar.
Dem Patienten beim Überleben helfen
Sowohl die chinesischen als auch die Göttinger Mediziner betonen, dass es darauf ankomme, den Patienten beim überleben der Krankheit zu helfen. Solange es keine Medikamente gibt, die direkt auf die Viren einwirken, könnten etwa der Blutkreislauf, aber auch das Entzündungsgeschehen mit Medikamenten kontrolliert werden. So lässt sich möglicherweise verhindern, dass es zu besonders schweren Komplikationen kommt.