Covid-19 Anteil von Geboosterten auf den Intensivstationen nimmt rasant zu
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07. Mai 2022, 15:13 Uhr
Auf den Intensivstationen liegen immer mehr Menschen, die bereits eine Booster-Impfung bekommen haben. Liegt das am nachlassenden Schutz oder an der steigenden Menge geboosterter Menschen? Die Datenlage ist schwierig.
Vorbemerkung: Wir haben diesen Artikel nach fundierter inhaltlicher Kritik am 8. und 9. März gründlich überarbeitet, insbesondere was die Rolle der Altersgruppen bei der Einschätzung der Impfeffektivität angeht, inkl. der Grafik, die zu Missverständnissen geführt hatte. Vielen Dank für die Diskussion und die Anregungen.
Update 7. Juni 2022: Aufgrund der stark rückläufigen Zahlen an Covid-19-Intensivpatienten insgesamt und wegen des immer größer werdenden Zeitraums, seit dem die Booster-Impfung bei den meisten Menschen zurückliegt, wurden die Berechnungen und Diagramme seit Frühjahr 2022 immer weniger aussagekräftig. Deshalb haben wir uns entschieden, die zeitlichen Verlaufsdiagramme in diesem Artikel nicht weiter zu aktualisieren.
Auf den Instensivstationen steigt der Anteil der Patienten, die eine Booster-Impfung bekommen haben. Das geht aus den aktuellen Berichten des Robert Koch-Instituts hervor. Im folgenden Diagramm zeigen wir die aktuellen Zahlen für den Anteil Geboosterter unter allen Covid-19-Intensivpatienten mit bekanntem Impfstatus. Jeder Balken steht für einen Vier-Wochen-Zeitraum. Während der Geboosterten-Anteil also rund um den Jahreswechsel 2021/22 bei knapp sechs Prozent lag, beträgt er jetzt schon mehr als 30 Prozent.
Wie ist das zu erklären? Und spricht das gegen die vom RKI veröffentlichten Zahlen, dass die Booster-Impfeffektivität, was den Schutz vor Intensivstation angeht, weiterhin bei mehr als 90 Prozent liegt? Die RKI-Zahlen zur Impfeffektivität, aber auch die folgenden Berechnungen werfen viele Fragen auf, die mit den vorliegenden Daten nur schlecht beantwortet werden können.
Zunächst: Die Booster-Impfungen sind nach allen bisherigen Erkenntnissen der beste Schutz, den wir vor einer schweren Erkrankung mit dem Corona-Virus bekommen können. Allerdings deuten die veröffentlichten Daten darauf hin, dass diese Wirksamkeit mit der Zeit nachlässt. Wie schnell geht das? Das kann man anhand zweier Datenquellen versuchen herauszubekommen.
Intesivregister-Daten
Seit Mitte Dezember 2021 wird im DIVI-Intensivregister der Impfstatus von neu aufgenommenen Covid-19-Intensivpatienten erfasst. Die Daten werden dann für die jeweils zurückliegenden vier Wochen im RKI-Wochenbericht im Fließtext unter der Überschrift "Daten aus dem Intensivregister" vermeldet. Für die zurückliegenden vier Kalenderwochen heißt es im Wochenbericht:
"Für den Zeitraum vom 31.01.2022 bis 27.02.2022 (KW 05 - KW 08/2022) wurde der Impfstatus von 5.252 COVID-19-ITS-Aufnahmen berichtet, das entspricht etwa 81,4 % der für diesen Zeitraum übermittelten Fälle (6.454). 34,3 % (1.803 Fälle) aller COVID-19-Neuaufnahmen mit bekanntem Impfstatus waren ungeimpft. Rund 11 % (579 Fälle) wiesen einen unvollständigen Immunschutz auf (Genesen ohne Impfung oder Teil-Immunisierung). 54,6 % (2.870 Fälle) hatten einen vollständigen Impfschutz (Grundimmunisierung oder Booster), der Anteil mit Boosterimpfung lag dabei bei ca. 31,9 % (1.675 Fälle)."
Von mehr als 80 Prozent aller Neuaufnahmen auf der Intensivstation ist also der Impfstatus bekannt. Und das schon seit Wochen.
IfSG-Daten
Wir selbst haben schon oft über die Impfstatus-Verteilung bei verschieden schweren Fällen (Symptome, Hospitalisierung, Intensivstation, Tod) berichtet. Grundlage dafür waren immer die Zahlen, die das RKI in seinen Wochenberichten unter der Überschrift "Impfdurchbrüche" vermeldet. Diese Zahlen haben aber seit geraumer Zeit ein Problem: Sie wirken kaum noch repräsentativ.
Das RKI nutzt für seine Berechnungen der Impfeffektivität die sogenannten IfSG-Daten. IfSG steht für Infektionsschutzgesetz, es sind also die Zahlen, die die Gesundheitsämter erfassen und ans RKI übermitteln. Seit Einsetzen der Omikron-Welle kommen die Gesundheitsämter aber offenbar nicht mehr mit der Erfassung und Übermittlung hinterher.
Nehmen wir als Beispiel den aktuellen Wochenbericht vom 3. März. Auf Seite 28 sind dort für die Kalenderwochen 5 bis 8, wenn man alle Altersgruppen zusammenzählt, insgesamt 4.200 Hospitalisierungsfälle, 294 Fälle auf Intensivstation und 422 Todesfälle verzeichnet.
Aus Daten, die man ebenfalls beim RKI finden kann (Hospitalisierungs- und Todesfälle hier, Fälle auf Intensivstation im Wochenbericht auf Seite 19) wird aber deutlich, wie viele Fälle der jeweiligen Art in diesem Vier-Wochen-Zeitraum tatsächlich schon erfasst sind. Nämlich 33.186 Hospitalisierungsfälle, 6.454 Fälle auf Intensivstation und 2.930 Todesfälle. Das heißt, in der Impfdurchbruch-Tabelle taucht nur ein geringer Anteil aller wirklichen Fälle auf, bei den Intensivstationsfällen sind es derzeit nicht einmal fünf Prozent.
Warum nutzt man immer noch die IfSG-Daten, die von Woche zu Woche weniger repräsentativ erscheinen? Auf unserer Anfrage schrieb das RKI: "Da bei den Impfeffektivitätsberechnungen anhand IfSG-Daten nur symptomatische COVID-19-Fälle berücksichtigt werden, eine Stratifizierung in Altersgruppen möglich ist, verschiedene klinische Endpunkte betrachtet werden können (z.B. Hospitalisierung, Tod) und die Impfstatus-Definitionen denen des Bevölkerungs-Impfquotenmonitorings am ähnlichsten sind, halten wir die IfSG-Datenquelle weiterhin für gut geeignet, um Impfeffektivitäten abzuschätzen."
Impfeffektivität
Aus welchen Daten sollte man nun die geschätzte Impfeffektivität berechnen, also mit wie viel Prozent Wahrscheinlichkeit die Impfung vor verschiedenen Verläufen schützt? Das RKI nimmt dafür die IfSG-Daten. Laut letztem Wochenbericht vom 3. März liegt demnach der Schutz für geboosterte Erwachsene vor einem Intensivstationsaufenthalt immer noch bei über 90 Prozent.
Aber sprechen nicht die Intensivregister-Daten mit dem rasanten Anstieg des Geboosterten-Anteils an den Covid-19-Intensivpatienten dagegen?
Im ersten gemeldeten Vier-Wochen-Zeitraum (Mitte Dezember bis Mitte Januar) machten sie gerade einmal 5,8 Prozent aller Covid-19-Intensivpatienten aus. Mittlerweile sind es mehr als 30 Prozent. Im Gegensatz dazu sank der Anteil Ungeimpfter erheblich. Im Diagramm können Sie auch noch die "unvollständig Immunisierten" und "vollständig Immunisierten, aber nicht Geboosterten" hinzuschalten, aber deren Anteil blieb über die Zeit relativ konstant, und sie sind für unsere Rechnung mit den Geboosterten auch unerheblich.
Wenn Sie auf die einzelnen Balken im Diagramm klicken, erscheinen außerdem noch die genauen Fallzahlen aus dem jeweiligen Zeitraum.
Für eine Berechnung der geschätzten Impfeffektivität aus diesen Daten ist auch die Impfquote im jeweiligen Zeitraum wichtig. Wir haben für jeden Vier-Wochen-Zeitraum die vom RKI gemeldete Booster-Impfquote aus der Mitte des Zeitraums (Montag der dritten Woche) verwendet. Die Impfquote ändert sich binnen vier Wochen nicht dramatisch, so dass dieser Näherungswert die Rechnung kaum verfälschen dürfte.
Wie man aus den beiden Werten (Anteil an allen Fällen und Impfquote) dann die geschätzte Impfeffektivität berechnet, gibt das RKI in jedem Wochenbericht selbst an (wenngleich für die IfSG-Daten), nämlich mit der Formel:
VE = 1 – 𝑃𝐶𝑉/(1−𝑃𝐶𝑉) ∗ (1−𝑃𝑃𝑉)/𝑃𝑃𝑉
Dabei ist VE die Impfeffektivität, PCV (proportion of cases vaccinated) der Anteil der geimpften Fälle und PPV (proportion of population vaccinated) der Anteil der geimpften Bevölkerung. Wenn wir diese Formel auf die Intensivregister-Daten anwenden würden, ergäber sich sich ein rechnerischer Rückgang der Impfeffektivität von anfangs ca. 90 Prozent auf nur noch ca. 60 Prozent in etwa sieben Wochen.
Daten-Probleme
Wäre so eine Rechnung zulässig? In den Wochenberichten des RKI heißt es, die Intensivregister-Daten seien in dieser Form nicht geeignet, um die Wirksamkeit der Impfung einzuschätzen. Es müsse die generelle Altersverteilung von Intensivpatienten sowie die Entwicklung der allgemeinen Impfquote der Bevölkerung berücksichtigt werden.
Außerdem schrieb uns das RKI: "Zum anderen sollten Impfeffektivitäten nur für einzelne Altersgruppen berechnet werden, da davon auszugehen ist, dass diese sich in den Altersgruppen deutlich unterscheiden können. Die Differenzierung nach Altersgruppen ist mit den Intensivregister-Daten nicht möglich."
Die Impfquote könnte man berücksichtigen. Die Definition von "geboostert" ist dabei in der Impfquote und auch auf den Intensivstationen deckungsgleich, wie im Intensivregister nachzulesen ist, nämlich: Drei Impfungen – egal, wann sie waren und egal, ob noch ein Genesenenstatus hinzukommt oder nicht. Bleibt das Problem der Altersgruppen. Bei den Impfquoten könnte man nach Alter unterscheiden, diese Daten gibt es. Aber tatsächlich fehlen die Altersdaten, was die Intensivstationen angeht. Denn man bräuchte dort das Alter bzw. die Altersgruppe von "Neuankömmlingen", so dass jeder Patient genau einmal gezählt wird, analog zur Impfstatuserfassung. Es gibt aber nur die tägliche Entwicklung der Altersstruktur insgesamt. Dort fließen Intensivpatienten unterschiedlich oft ein, je nachdem, wie lange sie auf der Station liegen. Eine Tendenz zeigen diese Zahlen trotzdem.
Der Anteil älterer Covid-19-Intensivpatienten (über 60 Jahre) ist also zumindest seit Mitte/Ende Januar angestiegen. Wenn man im Diagramm die Anteile aller Patienten über 60 Jahre (60-69, 70-79, 80+) addiert, kommt man zu Beginn des ersten Melde-Zeitraums (14.12.) auf etwa 62 Prozent - und am Ende des (vorläufig) letzten Melde-Zeitraums (27.2.) auf etwa 73 Prozent.
Dieser steigende Anteil älterer Patienten wird mit Sicherheit ein Grund für die steigenden Geboosterten-Zahlen sein, denn der Anteil Geboosterter ist im gesamten Beobachtungszeitraum bei den Über-60-Jährigen um einige Prozentpunkte höher als bei den 18- bis 59-Jährigen.
Aber dieser Unterschied wird tendenziell geringer (im ersten Vier-Wochen-Zeitraum ca. 24 Prozentpunkte, im achten nur noch ca. 16 Prozentpunkte). Die alleinige Erklärung dürfte die Altersstruktur kaum sein, zumal sie bis Mitte/Ende Januar in etwa gleich geblieben ist und schon damals der Anteil der Geboosterten Woche für Woche stieg.
Weitere Unsicherheiten
Eine zweite Unsicherheit, die eine Rechnung mit den Intensivregister-Daten in Frage stellt, gibt es auch noch. Bei den Intensivpatienten wird nicht unterschieden, ob sie wegen oder "nur" mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Insofern kann es sein, dass es eine Anzahl Patienten gibt, die zwar Covid-19-positiv, aber aus anderen Gründen intensivpflichtig sind. Diese Anzahl ist leider unbekannt.
Und außerdem - nur mal angenommen, die Rechnung trifft zu, dass es derzeit nach der Booster-Impfung im Schnitt nur noch einen ca. 60-prozentigen Schutz gibt, im Fall einer Erkrankung auf einer Intensivstation behandelt werden zu müssen: Der Wert in den einzelnen Altersgruppen (18-59 und 60+) kann trotzdem jeweils höher sein. Das liegt am sogenannten Simpson-Paradoxon.
Für bessere Rechnungen fehlen aber leider die Daten. Berechnungen auf Grundlage der IfSG-Daten erscheinen uns fragwürdig, denn nach aktuellem Stand beleuchten diese Daten nur knapp fünf Prozent aller Intensivstationsfälle, ca. 300 von ca. 6.000. Das RKI verwendet diese Datengrundlage trotzdem. Zum Thema Impfeffektivität teilt die Behörde mit: "Wir sehen weder in den IfSG-Meldedaten noch in den Studienergebnissen anderer Länder starke Hinweise darauf, dass die Effektivität der Booster-Impfung gegenüber schwersten Verläufen wie intensivstationäre Betreuung oder Tod deutlich nachlässt."
Am Ende bleibt vor allem eine Erkenntnis: Die zur Verfügung stehenden Daten sind mangelhaft. Warum wird neben dem Impfstatus nicht auch das Alter bzw. die Altersgruppe von neuen Intensivpatienten erfasst und übermittelt? Das wäre extrem wünschenswert und nützlich.
(rr)
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