Was wir lesen
Wissen, was wir lesen Fabelhafte Flüssigkeiten. Kuriose Fakten über alles, was durch unser Leben sickert, tröpfelt, rinnt und fließt
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03. Oktober 2021, 15:00 Uhr
Ein regelrechter Wissens-Cocktail, den Materialwissenschaftler Mark Miodownik im Buch "Fabelhafte Flüssigkeiten" angerührt hat: Chemie und Physik garniert mit Geschichte, Philosophie und Humor. Eine verblüffende Mischung, findet MDR WISSEN Autorin Liane Watzel.
"Kuriose Fakten über alles, was durch unser Leben sickert, tröpfelt, rinnt und fließt": So lautet der Untertitel des Buches, aus dem weit mehr als chemisches und physikalisches Wissen über Flüssigkeiten trieft. Wissen über Flüssigkeiten, von denen wir Normalsterblichen immer dachten, sie seien ein Bodenbelag, an dem man sich das Knie aufschürfen kann oder Cremes, die man sich zum Frühstück aufs Brot schmiert. Wer in Mark Miodowniks Buch "Fabelhafte Flüssigkeiten" eintaucht, schwimmt mit ihm durch einen Strom mäandernder Assoziationsketten: Warum ist Erdnusscreme eine Flüssigkeit, die nicht mit ins Flugzeug darf? Aber tausende Liter Kerosin sind ok, ja? Will ich da wirklich einsteigen? Lieber ginge ich eisbaden.
Fragen, auf die wir keine Antworten wollten oder hatten
Die einzelnen Kapitel lesen sich tatsächlich wie im Flug. Mit Fragen, die bei uns immer dann aufploppen, wenn wir sie garantiert nicht beantworten können oder wollen. Entweder, weil weder die Physik- noch die Chemie-Lehrkraft mehr vermittelt hat als Fragezeichen, wenn es um Flüssigkeiten, Eigenschaften und Reaktionen geht. Oder weil es Fragen rhetorischen oder philosophischen Charakters sind, die man sich lieber nicht stellen will, weil man wie Mark Miodownik in seinem Buch gerade einen Flieger besteigt. Warum dieses Sicherheits-Informationsballett, das uns auch nicht retten wird, wenn der Flieger aus himmlischen Höhen gen Ozean stürzt? Wie ist das Wasser da unten, was passiert physikalisch, wenn der Wind die Wellen über mir zusammenschlägt? Oder Fragen, bei denen man ins Schwitzen gerät, wenn die Kinder wissen wollen: Warum ist der Kühlschrank drinnen kalt, wie funktionieren Kühlflüssigkeiten? Wenn die gefährlich sind, warum dürfen die ins Flugzeug? Was sind die Vorteile von Flüssigseife und wieso darf die mitfliegen? Warum kleben Klebezettel?
Über den Wolken wimmelt es von Antworten
Das Buch wimmelt von Fragen; das ist kein Tümpel, eher ein schwappendes Meer des Unbekannten. Mit Antworten, nach denen wir nie gefragt haben, die an uns schon einmal vorbeigetrieben sind, wie das dritte Newtonsche Bewegungsgesetz zum Beispiel. Klingelt's? Oder zieht sich bei Ihnen alles im Bauch zusammen? Physik, gut nur dann, wenn die Stunde vorbei war, Chemie, die Stunde der Fragen, auf die wir keine Antwort hatten, die Lehrkraft im Blick wie der Schiffbrüchige den hungrigen Hai? Pilot Mark Miodownik fischt uns aus dem Ozean der Ungewissheit, hievt uns an Bord seines Fliegers. Seine Antworten sind wie ein sanfter Sprühregen, Nebelschwaden im kühlen Herbstmorgen, federleichtes Wissen.
"Wenn Sie schon mal einen Luftballon aufgeblasen und losgelassen haben, sodass er durch den Raum saust, dann wissen Sie auch, wie ein Düsentriebwerk funktioniert. Die zusammengedrückte Luft flieht in die eine, der Ballon in die andere Richtung: Das ist Newtons drittes Bewegungsgesetz. Nach dem jede Aktion eine gleich große Reaktion in der Gegenrichtung erzeugt."
Sätze, die komplexe Zusammenhänge so klar strukturieren, dass man sie auswendig lernen möchte, damit man auf der nächsten Party ganz nebenbei damit glänzen kann. "Dass Wodka so wenig Eigengeschmack hat, liegt daran, dass er kaum riecht." Auch wer keinen Wodka mag oder lieber Wein trinkt: Miodownik mixt einen verblüffenden Cocktail, wie hier im Kapitel "Tief". Die Zutaten: Spirituosen, Destillationsverfahren, Kohlenstoffatome, Geruchsrezeptoren und Duty-Free-Shops.
Warum wir am Buch klebenbleiben
Der Autor nutzt einen simplen literarischen Kniff, um uns sein Wissen über Flüssigkeiten einzuschenken: Als Rahmenhandlung dient ein Flug, als Strukturelemente für die Kapitel die banalen Momente unterwegs, Check-in, Sicherheitsunterweisung, Getränkelieferung, Toilettengang. Der Übergang von einem zum nächsten Kapitel ist immer fließend, garniert mit historischem Wissen, physikalischem und chemischem Hintergrund sowie ganz pragmatischen Anknüpfungsmomenten an unseren Alltag: Auf einmal befassen wir uns mit Geschmackswahrnehmung, warum Weine uns schmecken oder nicht, dann tauchen wir beim Blick in die Tiefe aus dem Flugzeugfenster mit Mark Miodownik ein in den Ozean, oder beleuchten Kühlschränke und ihre hochgefährlichen Kühlflüssigkeiten, die auch in Flugzeugen vorkommen. Oder wir verfangen uns in Kaffeeröstungs- oder 3-D-Druckverfahren.
Ein langweiliger Flug ist das nicht, sondern ein höchst unterhaltsamer. Mit Zwischenlandungen an Orten und Themeninseln, die man noch nie als Ziel auf dem Bildschirm hatte. Oder kurze Lesepausen; Stopover, um über dieses oder jenes Detail noch mal genauer nachzudenken. Vermutlich ein Buch, in das man immer mal wieder hineinschnuppert, um möglicherweise irgendwann einmal wie der Autor Kaffeebohnen mit der Heißluftpistole zu rösten. Hatte ich vor dem Lesen dieses Buches noch nicht auf dem Schirm. Nicht mal im Flugzeug.
Überraschend, wofür man sich so interessieren kann
Wissen so zu vermitteln, dass Menschen, die ihr Lebtag nicht auf die Idee kämen, sich mit der Geschichte des Kerosins, mit Flüssigkeitskristallen oder der Flüssigseife zu befassen, gespannt sind auf jedes neue Kapitel: Das ist in vielerlei Hinsicht eine ganz eigene Kunst. Hier war ein Meister der Wissensvermittlung am Werk, ein Maestro der Verpackung von sperrigen Inhalten in fließende Bilder oder - um im Motiv der Rahmenhandlung der Flugreise zu bleiben - ein ebenso eloquenter wie uneitler Pilot. Einer, der sich am Ende der Reise bei den Lesegästen bedankt und im Buchanhang noch einen freundlichen Stapel Lesetipps mitgibt, zu Themeninseln, auf denen er selbst Zwischenstopps eingelegt hat.
Die Rezensentin Liane Watzel ist Online- und Radioautorin. In der Redaktion Wissen & Bildung, weil sie Neues aus der Forschung gern so übersetzt, dass jede/r sie beim ersten Lesen oder Hören versteht und anschließend sagt: "Ach so! Wie spannend! Jetzt versteh ich das! Das hab' ich nicht gewusst!"
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