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Buchtipp der Woche Von der deutschen Flugscheibe zum Nazi-UFO. Metamorphosen eines medialen Phantoms
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18. Dezember 2022, 15:00 Uhr
Dass Fake News kein digitales Phänomen ist, zeigt ein neues Buch zur Geschichte der Unbekannten Flugobjekte (UFO) in Deutschland. Clemens Haug hat gelesen, wie es Gerüchte um angebliche Geheimwaffen in der Geschichte der Nachkriegs-BRD bis ins Verteidigungsministerium geschafft haben.
Außerirdische oder geheime Kriegswaffe?
Unbekannte Flugobjekte – außerirdischen Ursprungs oder doch vielleicht noch eine unbekannte Vergeltungswaffe der Nazis? Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den USA die erste Welle der UFO-Hysterie beginnt, entspinnt sich in der jungen Bundesrepublik ein ganz eigener Ableger dieser Legende. Während sich die Amerikaner auf die Jagd nach Außerirdischen machen, erfinden deutsche Revolverblätter geheime Konstruktionspläne der Luftwaffe. Kreisrunde Flugscheiben, die sagenhaft schnell und hoch fliegen und alle anderen Kampfflugzeuge austricksen können – sind sie möglicherweise eine neue Waffe aus den geheimen Laboren des dritten Reichs, die nur wegen des Kriegsendes nicht mehr zum Einsatz gekommen sind?
Die junge Bundesrepublik ist kriegstraumatisiert, hat viele offene Fragen zu vielen damals noch weitgehend unaufgeklärten Vorgängen im Nationalsozialismus, insbesondere den sogenannten V-Waffen. Zugleich sehnt sich das Publikum nach Ablenkung und Abenteuergeschichten.
Auf diesen fruchtbaren Boden fallen die Samen der bundesdeutschen Interpretation des UFO-Hypes. Verschiedene Boulevardmedien spielen sich die Bälle zu, veröffentlichen immer neue angebliche Entwurfspläne und erfinden nach und nach Konstrukteure und Piloten, bis schließlich sogar reale Personen die Bühne betreten, die behaupten, mit dem Flugscheiben-Projekt betraut gewesen zu sein. Als schließlich die Welt am Sonntag auf den Hype einsteigt, gibt es kein Halten mehr. Gegen die geballte Kraft aus phantastischen Geschichten und williger Leserschaft kommen auch die engagiertesten Faktenchecker nicht mehr an.
Das Prinzip von Fake-News - hier noch analog
Was macht gute Fake News aus und wie schaffen sie es, das Publikum zu fesseln? Die Reichsflugscheiben können hier als Musterbeispiel herangezogen werden für die sich verstärkenden Dynamiken von Falschnachrichten – nur dass diese eine bereits im analogen Zeitalter spielt.
Zunächst braucht es ein paar wahre Kerne. Zum Beispiel das V-Waffen-Programm, das ja tatsächlich existiert hat und dessen Ingenieure auch das Raketenprogramm der Amerikaner vorangetrieben haben. Oder U-Boote der Marine, die sich kurz vor der Kapitulation abgesetzt haben, über den Atlantik fuhren, um Asyl in Argentinien zu suchen – auch hier sind reale Vorgänge nachweisbar.
Als nächstes braucht es ein Publikum, das verunsichert ist, Fragen hat und von Sehnsüchten und Phantasien beseelt ist. Welche Technologien hatten die Konstrukteure des NS vielleicht noch in der Hinterhand? Hätte man den Krieg noch gewinnen können, wenn man etwas mehr Zeit gehabt hätte? Gibt es vielleicht noch geheime Stützpunkte, in denen ein Teil der Wehrmacht auf seine Rückkehr wartet?
Und schließlich braucht es Medien, die ihre Auflage im Blick haben und die zur Not auch eine Geschichte ohne überprüfbare Quellen drucken. Ihre Veröffentlichung dient dem nächsten Blatt als Vorlage. Jeder neue Artikel wartet mit ein paar neuen zusätzlichen Details auf.
Mal sind die Reichsflugscheiben gewaltige Kreisel mit 50 Metern Durchmesser, deren dreiköpfige Besatzung in einer stabilen Kapsel in der Mitte fliegt. Dann wieder sind die Flugscheiben eher klein, wobei die Scheibe selbst eine Art riesiger Propeller sein soll, der für Auf- beziehungsweise Vortrieb sorgen soll.
Zuerst wird eine Scheibe angeblich in einem Junkers Ausweichwerk in Brandis bei Leipzig gesichtet. Dann soll der erste Start in Prag erfolgt sein, im Februar 1945. Dann wiederum haben die Sowjets Pläne und Prototypen gestohlen - aus einem Werk in Breslau.
Und wenn dann schließlich noch Boulevardmedien des europäischen Auslands wie "France Soir" die Geschichten aufgreifen und weiterspinnen – dann muss doch etwas an ihr dran sein. Am Ende gelingt es sogar, echte Flugzeugkonstrukteure aus Kanada zu überzeugen. Deren Entwürfe werden dann wiederum zum neuen Beleg und so weiter.
Der Autor
Gerhard Wiechmann ist ein deutscher Militärhistoriker, der sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte der deutschen Marine beschäftigt hat und an der Universität Oldenburg lehrt.
Ein wissenschaftliches Buch - mit einem süffisanten Unterton
Das Buch ist vor allem eine akribische, wissenschaftliche Recherche und Rekonstruktion der Geschichte des Mythos vom Nazi-Ufo. Detailliert geht der Autor durch alle Veröffentlichungen, derer er habhaft geworden ist, versucht die darin erwähnten Personen zu identifizieren und zu prüfen und bespricht technische Einzelheiten der Berichte über die angeblichen Wunderflugzeuge.
Das trägt leider nicht immer zum Lesevergnügen bei, da einzelnen Passagen das Tempo fehlt. Andererseits kann man sich am süffisanten Unterton des Autors erfreuen, dem die Arbeit an seinem Thema lesbar große Freude bereitet hat.
Die Macht der Medien
Was die Geschichte der Reichsflugscheibe aber vor allem illustriert, ist die Macht großer Medienmarken. Wenn ein Haus wie die Welt sich auf eine Räuberpistole einlässt, dann kann auch ein Verteidigungsministerium nicht mehr widerstehen und verkündet in seiner farbig Illustrierten für den Bevölkerungsschutz: "Das gab's wirklich". Solche Veröffentlichungen machen eine Geschichte unsterblich – ganz gleich, ob sie wahr ist oder nicht.
Das Nazi-Ufo hat es dank der Science-Fiction-Satire "Iron Sky" sogar in die Gegenwart geschafft. Und auch im Verschwörungsuniversum ist den NS-Ufos bis heute ein Nachleben gewiss.
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