Artenvielfalt Schön und nützlich: Bienen retten mit Blühwiesen im Harz

12. Dezember 2020, 10:00 Uhr

Das Artensterben ist eines der großen Umweltprobleme unserer Zeit – seit Jahren wird es von Wissenschaftlern, Umweltschützern und Politikern diskutiert. Die tiefgreifenden Veränderungen, die viele Tierarten wirklich retten würden, bleiben aber weitgehend aus oder zumindest hinter wirtschaftlichen Interessen zurück. Wie sich das ändern kann, auch hier in Mitteldeutschland, zeigt eine Initiative von Privatleuten.

Malve in einer bunten Blumenwiese 6 min
Dass es summt und brummt auf den Wiesen, Vögel so laut zwitschern, dass man sich kaum unterhalten kann: Wer kennt das noch? Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Der Mensch ändert seine Gewohnheiten nur ungern. Damit er sich doch bewegt – davon ist der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und Artenschützer Peter Berthold überzeugt – braucht es, wie er sagt, mittlere Katastrophen. Das Bienen- und Insektensterben, so glaubt er, ist so eine mittlere Katastrophe.

Wir wissen vom Insektensterben seit 30, 40 Jahren. Ich weiß nicht, wie lange ich in meinem Leben schon erzählt habe, schaut euch eure Windschutzscheiben an, die waren vor 20, 30, 40 Jahren in einer einzigen Sommernacht so zugekleistert, dass man nicht einmal um die nächste Ecke fahren konnte.

Peter Berthold, Ornithologe

Doch interessiert hat das nur wenige, glaubt Peter Berthold, die Leute hätten das gehört und seien weitergefahren. Aber jetzt hat sich etwas verändert:

Ornithologe Peter Berthold
Peter Berthold hat als Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie die Vogelwarte Radolfzell geleitet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nachdem das Bienensterben so stark geworden ist, dass man sich Sorgen machen muss, ob wir in fünf oder zehn Jahren noch Äpfel ernten können, sind viele aufgewacht – auch die Regierung – und sagen, um Gottes willen: Die Windschutzscheiben sind leer. Wo sind die Insekten geblieben?

Peter Berthold

Insektensterben geht rasant

Insekten Studie Halle mit Audio
Bildrechte: MDR/ iDiv/ Gabriele Rada

Wo vor 30 Jahren noch zehn Insekten lebten, sind es heute gerade mal noch zwei bis drei. Das belegen unterschiedliche wissenschaftliche Studien aus allen Teilen der Welt. Australische Forscher hatten jüngst sogar gewarnt: Wenn das Insektensterben in diesem Tempo weiter geht, könnte die gesamte Art in 100 Jahren ausgestorben sein. Spätestens dann würde es auch uns an den Kragen gehen, ist sich Peter Berthold sicher, denn ohne Insekten brechen ganze Nahrungsketten und Ökosysteme zusammen. Der Ornithologe bringt es auf den Punkt:

Ohne Artenvielfalt gibt es keine stabilen Ökosysteme und ohne stabile Ökosysteme gibt es auf Dauer keine Überlebenschancen für den Menschen.

Peter Berthold

Als Vogelfreund und -forscher richtet Peter Berthold seinen Blick vor allem auf die Feldflur. Die habe, so erinnert sich der inzwischen 81-Jährige, noch in seiner Kindheit vor lauter Vögeln gewackelt. Ganze Wolken von Vögeln waren da unterwegs, Wenn die Leute früher auf dem Acker gearbeitet haben, war das ein einziges Gesinge und Gefliege, die waren von Vögeln umgeben. in einer Lautstärke, dass man sich kaum unterhalten konnte.

Ein Schwarm Stare (Sturnus vulgaris) landet in einer Wiese.
Stare in Schwärmen - eine laute Gesellschaft. Bildrechte: imago images / blickwinkel

Ich habe das erlebt, wenn wir im Heu waren, dass so viele Stare unterwegs waren, dass man sich kaum unterhalten konnte. Wenn Sie heute in der Feldflur sind, haben Sie viele Stellen, wo Sie viele Stunden keinen einzigen Vogellaut mehr hören.

Peter Berthold

Im Harzer Vorland geht man eigene Wege

Wenn Christian Ziegenhorn in seine Feldflur hineinlauscht, kann er durchaus noch Vogellaute hören, wenn auch weniger als früher. Auch summende Insekten am Feldrand hört er oder das Rascheln von Kleintieren in den Büschen, ganz so still, sagt er, sei es hier im Harzer Vorland noch nicht. Dort ist Christian Ziegenhorn als Landwirt tätig.

Mit den nahezu perfekten großen Feldern nebenan in der Magdeburger Börde ist sein Land nicht vergleichbar. Die Flächen sind kleinteilig, die Region hügelig und die Böden sind mittelmäßig. Und während die eine mittlere Katastrophe, die des Bienen- und Insektensterbens in vollem Gange ist, hat der Landwirt mit einer anderen mittleren Katastrophe zu kämpfen. Eine, die ihn direkt betrifft: Der Klimawandel.

Der Grundgedanke ist eigentlich der, dass wir jetzt schon das dritte Jahr in Folge trockene Sommer haben. Wir stehen mit dem Rücken an der Wand als Landwirte. Mit den Kulturen, die wir anbauen, haben wir schon Änderungen vollzogen, das reicht aber nicht aus. Das ist ein Baustein, aber er kann nicht die Gesamtheit verbessern.

Christian Ziegenhorn, Landwirt

Wie also soll Christian Ziegenhorn diesem Problem begegnen? Gemeinsam mit seiner Frau entstand die Idee für eine Blühwiese. Für alle möglichen Insekten, die sich da niederlassen können. Aber auch fürs sogenannte Niederwild, also sämtliche Vögel, Kleintiere, die Deckungsmöglichkeiten brauchen.

Statt Roggen oder Rübe: Klastschmohn und Ringelblume

Der Landwirt möchte einen Teil seiner Nutzfläche der Natur zurückgeben. Dort, wo er eigentlich Roggen oder Zuckerrübe angebaut hätte, sollen in Zukunft Blühpflanzen wachsen. Das Saatgut dafür hat er bestellt: Kornblumen, Ringelblumen, Klatschmohn, Luzerne und so weiter – ganze 55 Blühpflanzen sollen zunächst auf einer Fläche von drei Hektar wachsen. Zwischen kommenden März und November wird dieses Gebiet dann komplett den Insekten, Vögeln und kleineren Wildtieren zur Verfügung stehen.

Das machen wir, um dem Insektensterben entgegenzutreten.

Christian Ziegenhorn

Was tun? Ein Landwirkt packt an

Und damit führt also die eine mittlere Katastrophe, von der Christian Ziegenhorn direkt betroffen ist, die des Klimawandels, dazu, dass er etwas tut, was der anderen mittleren Katastrophe, der des Insektensterbens, entgegenwirkt. Aber er will und kann es nicht allein tun. Mit Blühwiesen kann Christian Ziegenhorn kein Geld verdienen. Deshalb bietet er sogenannte Blühpatenschaften an. Für 60 Euro im Jahr bestellt der Landwirt jeweils eine Fläche von 100 Quadratmetern mit Blühsamen. Soviel Geld würde er auch bekommen, wenn er auf der gleichen Fläche Feldfrüchte anbauen würde. 60 Blühpaten haben sich bereits gefunden. Bis März 2021 sollen es noch mehr werden.

Wir haben das Ziel, die größte Blühwiese Deutschlands zu schaffen. Wir haben auch für 10.000 Leute Platz.

Christian Ziegenhorn

Den Projektnamen "Ode an die Biene" hat sich seine Frau Nancy ausgedacht. Sie ist mit viel Herz dabei und arbeitet Seite an Seite mit ihrem Mann, um das Projekt zum Laufen zu bringen. Stolz und mit viel Elan blickt sie über die Felder rund um Altgerode, die ihr Mann zunächst als Blühwiesen vorgesehen hat.

Sandbiene
Sandbienen bauen ihre Nester im sandigen Boden Bildrechte: imago images / blickwinkel

Wir wollen noch Sandhaufen anlegen, weil viele Wildbienen im Sand nisten. Und Insektenhotels wollen wir bauen. Das ist jetzt so eine Zeit, wo man keine Freunde treffen kann, da kann man in die Werkstatt gehen. Wir überlegen uns eins nach dem anderen, um die Leute auch ins Boot zu holen.

Nancy Ziegenhorn

Das Blühwiesen-Projekt soll wissenschaftlich begleitet und dokumentiert werden. Nancy und Christian Ziegenhorn sind dazu bereits mit Wissenschaftlern im Gespräch. Damit könne man nicht nur etwas für die Insekten und das Niederwild tun, sondern auch noch etwas für die Wissenschaft. Vielleicht, so hoffen die Ziegenhorns, werden ihre Blühwiesen irgendwann zum Vorbild für andere Projekte, die für Biodiversität und Artenschutz einstehen.

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