Wolfsbegegnungen Zwischen Respekt und Faszination
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19. Oktober 2020, 09:21 Uhr
Am Wolf scheiden sich in Deutschland die Geister. Die einen wollen ihn schützen um jeden Preis, die anderen seine Ausbreitung im Zaum halten, notfalls durch kontrollierte Jagd. Doch wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man fernab jeglicher Debatten einem Wolf leibhaftig in freier Wildbahn begegnet? Ganz gleich, ob er einem willkommen ist oder man ihn lieber von hinten sieht.
Dass wir einem Wolf ganz zufällig in unserem Alltag begegnen, kommt selten vor. Denn am sichersten fühlt er sich im Wald, er hält lieber Abstand zu uns Menschen. Wer sich jedoch regelmäßig in Isegrimms bevorzugtem Lebensraum aufhält, trifft ihn immer häufiger - nicht mehr nur in Brandenburg, sondern längst auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Wie es sich anfühlt, dem Rückkehrer Aug´ in Aug´ gegenüberzustehen, berichtet ein Jäger aus dem Muldental. Vor etwa 10 Jahren begegnete er zum ersten Mal gleich mehreren Wölfen - damals noch weit weg im brandenburgischen Lieberose. Er war am hellichten Tag mit seinem Auto auf einem Waldweg unterwegs gewesen, um Wildschweine anzufüttern.
Ich hatte zuerst einmal Angst um meinen Hund. Mir war klar: Den kann ich jetzt nicht laufen lassen. Der bleibt an der Leine.
Dennoch ging der Jäger zur Kanzel, um von dort aus nach Wild Ausschau zu halten - wenn auch mit einem unguten Gefühl, wie er selbst sagt. Besonders, als es dunkel wurde und er durch den Wald zum Auto zurückging, einen schmalen Weg entlang, gesäumt vom Dickicht. Er habe bis dahin nie eine Kurzwaffe, also eine Pistole dabei gehabt. Von diesem Tag an schon. Eine schlechte Erfahrung mit dem Wolf habe er nie gemacht, sei weder angeknurrt noch bedroht worden. Doch das komische Gefühl, das blieb.
Es sollte nicht die einzige Begegnung mit einem Wolf für den Jäger bleiben. Später, während eines sogenannten Morgenansitzes, hatte er ein Wildschwein erlegt. Als er sich dem Tier nähern wollte, sah er, dass sich Gäste einstellten, die sich ebenfalls dafür interessierten: Wölfe.
Ich hatte schon Bedenken, wie die Wölfe reagieren würden, wenn ich mich nähere. Aber es ist mir gelungen, sie bereits aus der Ferne zu vertreiben.
Spannend werde es noch einmal, wenn das erlegte Tier in der einbrechenden Dunkelheit am Waldboden aufgebrochen wird (waidmännisch für "ausnehmen", anm. d. Red.). Dann sei es von Vorteil, wenn man nicht allein sei, so der Jäger. Er hat das Glück, dass seine Frau ebenfalls Jägerin ist und ihm in einer solchen Situation dann und wann mit einer starken Taschenlampe und geschulterter Waffe Rückendeckung gibt.
Auch sie hat ihre ersten Wölfe in Lieberose in freier Natur gesehen, inzwischen aber auch schon öfter im heimatlichen Muldental. Dort traf sie einen Wolf vor etwa drei Jahren zum ersten Mal. Es war während eines Nachmittagsansitzes auf Rehwild - an einem Waldstück, an dem sich sonst immer Rehe zeigten, weil sie dort durch einen Salzleckstein regelmäßig angelockt werden. An diesem Tag blieben die Rehe aus, dafür zeigte sich im letzten Tageslicht ein Wolf. Die Jägerin erinnert sich noch heute genau an diesen Moment.
Das erste Gefühl war eine Gänsehaut. Dann dachte ich ein bisschen mit Sorge: Jetzt haben wir die Wölfe tatsächlich im eigenen Revier.
Diesen Wolf noch einmal vor die Kamera zu bekommen, ist nicht gelungen. Aber die Jäger sind sich sicher, dass er längere Zeit da war. Ihre Indizien: Das Rehwild sei danach zurückhaltender gewesen, habe sich im Dickicht versteckt und sei seltener zu sehen gewesen. Auch Risse hätte es in der Umgebung gegeben.
Immer häufiger sichten Jäger Wölfe oder deren Hinterlassenschaften in ihren Revieren - im Umland von Leipzig zum Beispiel im Planitzwald (ca. 30 km westlich von Leipzig), in Bad Düben, in Wermsdorf und in Arzberg (ca. 12 km südwestlich von Torgau). Sie sind in Sorge, dass der Bestand überhand nehmen könnte, wünschen sich deshalb, dass ihre Beobachtungen im Wolfsmonitoring berücksichtigt werden und haben in Zusammenarbeit mit weiteren Interessenverbänden Vorschläge für das Wolfsmanagement in Deutschland erarbeite.
Truppenübungsplatz Ohrdruff 2003: Familie Wolf "Backstage"
Aus einem ganz anderen Grund trifft Biologe und Tierfilmer Sebastian Koerner immer wieder auf Wölfe. Er studiert ihr Verhalten und ermöglicht mit seinen Aufnahmen Einblicke ins Leben wilder Rudel. Auch er kann sich noch genau an seine erste Wolfsbegegnung erinnern. Im Frühsommer 2003 war er gemeinsam mit seiner Frau Gesa Kluth auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruff, um Ausschau nach Hinweisen für Jungtiere zu halten. Zunächst fanden sie auf einem Weg eine Wolfslosung, also Wolfskot. Das war damals schon eine kleine Sensation.
Dann hörten wir ein Wuffen, schauten hoch und sahen etwa 25 Meter von uns entfernt parallel zum Weg den Wolfsvater laufen.
Ihm folgte die Mutterwölfin, die Fähe. Hätte sich der Wolf nicht durch seine Laute bemerkbar gemacht, wäre er sicher ungesehen an Sebastian Koerner und Gesa Kluth vorbeigezogen. Nur selten kommunizieren Wölfe so mit dem Menschen, Sebastian Körner hat so etwas auch nie wieder erlebt. Damals war das Verhalten des Wolfsvaters für die beiden Forscher ein sicheres Indiz dafür, dass die Welpen ganz in der Nähe waren.
Als wir uns zurückziehen wollten, begegneten wir noch einem Jährling, der laut bellte und unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Er wollte uns mit Sicherheit von den Welpen ablenken.
So erinnert sich Sebastian Koerner mit an die Situation damals. Angst hätte er keine gehabt, aber ein schlechtes Gewissen, dass sie den Jungtieren so nahe gekommen seien. Damit hätten sie den Wolfsvater und den Jährling, also ein Jahr altes Jungtier, in Aufregung versetzt. Seit diesem Erlebnis hat Koerner vor allem den Wunsch, nur noch Beobachter zu sein und zu vermeiden, dass die Wölfe ihn wahrnehmen. Denn nur so kann er mit der Kamera einfangen, was den meisten Menschen verborgen bleibt: Das natürliche Verhalten der Tiere untereinander.
Zusammenhalt und Vertrauen statt Rangkämpfe
Was Sebastian Koerner bei seinen Wolfsbeobachtungen besonders beeindruckt hat, ist der Zusammenhalt in der Kleinfamilie: Mutter, Vater, Jährlinge (große Geschwister aus dem letzten Wurf) und Welpen. Den hatte er schon in seiner ersten Wolfsbegegnung erleben können, als Vater und Jährling von den Welpen ablenken wollten. Aber auch beim Fressen unterstützen die großen Geschwister die Eltern. Sie bringen den Welpen, die oft Kilometer weit weg im Versteck sitzen, Fleisch ins Versteck und würgen es ihnen vor. Und es gibt immer einen Rendezvous-Platz, an dem die ganze Wolfsfamilie wieder zusammen kommt. Darauf können sich die Welpen verlassen und bleiben deshalb auch allein geduldig dort.
Der Herrscher des Waldes macht den schwierigsten Job
Sebastian Koerner beobachtet die Wölfe in Deutschland fast genau so lange, wie sie hier wieder ansässig sind. Sein Fazit: Der Wolf, von dem wir glauben, er sei der Herrscher des Waldes und könne jedes Tier töten, macht den schwierigsten Job von allen. Ein Pflanzenfresser müsse nur wissen, wo er seine Nahrung findet. Dann könne er da stehen, den Kopf nach unten nehmen und grasen, so Koerner. Der Wolf hingegen müsse seine Beute erst einmal ausfindig machen und dann abschätzen, ober er sie töten kann, ob sie ihn töten könnte und ob er überhaupt eine Chance hat, zum Beispiel das Reh zu greifen.
Der Wolf muss am Tag 24 Kilogramm Fleisch für sich und seine Familie erbeuten. Um das zu schaffen, muss er sehr fokussiert sein und kann nicht einem Tier nachjagen, dass er nie kriegen würde.
Zu filmen, wie Wölfe in Deutschland erfolgreich Beute machen, das steht ganz oben auf Sebastian Koerners Wunschliste. Mit einer Infrarot-Kamerafalle ist es ihm schon gelungen. Diese Bilder sind auch seinem neuesten Film "Die Wolfsaga" zu sehen:
Wie sollte man sich in Wolfsgebieten verhalten?
Menschen müssen keine besonderen Verhaltensregeln beachten, sagt Sebastian Koerner. Wer jedoch einen Hund dabei hat, sollte ihn ungedingt anleinen. In ganz seltenen Fällen interessieren sich unbedarften Jungwölfe so sehr für einen mitgeführten Hund, dass er den Menschen nicht scheut. In dem Fall sollte man den Hund ins Auto setzen und den Wolf mit Rufen und Armeschwenken vertreiben. Hilft das nicht, kann man ihn durch gezielte Würfe mit Steinen oder Stöcken in die Flucht schlagen.
In der Regel bemerkt der Wolf den Menschen zuerst und zieht sich zurück. Ist es jedoch umgekehrt, sollte man sich ruhig und respektvoll verhalten, so wie gegenüber jedem anderen Wildtier auch. Wer die Gelegenheit findet, zu fotografieren oder Filmaufnahmen zu machen, sollt sie an die Naturschutzbehörden weiterleiten.
Wenn´s einem mulmig wird: Flagge zeigen!
Sollte sich ein Wolf nähern kommt, sollte man das Tier laut Ansprechen. Auch mit Winken oder deutlichen Bewegeungen kann man auf sich aufmerksam machen. Spätestens dann wird sich der Wolf aus dem Staub machen, so Koerner. Ob mit oder ohne Foto - man sollte jede Wolfsbegegnung den regionalen Naturschutzbehörden melden.
Bitte nicht füttern!
Wer Wölfe füttert, vor allem unbedarfte und neugierige Jungtiere, lehrt ihnen damit, dass der Mensch eine Futterquelle ist. So verlieren sie ihre Scheu und können aufdringlich werden. Bekommen sie dann kein Futter, können sie sogar ärgerlich reagieren und angreifen.
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